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Personalia, Recht

Anwälte-Präsident Gerhard Benn-Ibler tritt nach neun Jahren ab: mit Kritik an der Politik

Gerhard Benn-Ibler © ÖRAK

Eisenstadt. Die Weichen für die Nachfolge an der Spitze des Österreichischen Rechtsanwaltskammertags (ÖRAK) werden gestellt: ÖRAK-Präsident Gerhard Benn-Ibler (71) zog sich heute mit einer Grundsatzrede aus der Standesvertretung zurück. Er kann auf eine neunjährige Amtszeit zurückblicken, in der er fünf Justizminister erlebte – und seine Kommentare deutlich an Schärfe gewannen.

Auch heute kritisierte Benn-Ibler Politikverdrossenheit, unethisches Handeln und Gefährdung der Grundrechte durch Regelungs- und Überwachungsdrang.

Vor neun Jahren war Benn-Ibler am gleichen Ort erstmals zum obersten Repräsentanten der mehr als 5600 Rechtsanwälte und 1900 Rechtsanwaltsanwärter Österreichs gewählt worden. Die österreichischen Rechtsanwälte haben sich in seiner Amtszeit „stärker als je zuvor als wesentlicher Faktor für den Rechtsstaat etabliert“, so eine Aussendung der ÖRAK.

Die Wahl des Nachfolgers findet morgen, Samstag, durch die ÖRAK-Vertreterversammlung statt. Im Rahmen der heutigen Eröffnung des Anwaltstages im Festsaal der Wirtschaftskammer Burgenland nahm Benn-Ibler nach Begrüßungsworten des Präsidenten der Rechtsanwaltskammer Burgenland, Thomas Schreiner, vor 180 geladenen Gästen aus Justiz, Politik, Anwaltschaft und Wirtschaft in seiner Eröffnungsrede eine Standortbestimmung vor, wie es heißt.

„Politikverdrossenheit verringern“

Angesichts der allgemeinen Politikverdrossenheit in der Bevölkerung zeigte sich der scheidende ÖRAK-Präsident besorgt. „Laut einer aktuellen Umfrage interessieren sich nur noch 26 Prozent der Bevölkerung überhaupt für Politik. Daran erkennt man das Unbehagen der Bevölkerung mit einer Politik, der man immer weniger Interesse und Vertrauen entgegen bringt“, so Benn-Ibler. Die Problemlösungskompetenz der Politik scheine abzunehmen, die Trennlinie zwischen den Säulen Gesetzgebung und Verwaltung verschwimme zusehends.

Gefordert seien Transparenz und Integrität, es sei dem Geist der Gesetze zu folgen, in einer neuen Qualität, aufrichtig und ehrlich. Ethisches Handeln aller Beteiligten, insbesondere der Politik, sei notwendig, um das angekratzte Vertrauen wieder herzustellen.

„Die Justiz konnte sich lange Zeit aus der Diskussion heraushalten, dies kann sie nun immer weniger“, so Benn-Ibler. Die jahrelange Unterdotierung habe zu einer personellen Ausdünnung und Schwächung auch in den Sachressourcen geführt. Die Justiz sei als Selbstläufer angesehen und jahrelang von der Politik regelrecht im Stich gelassen worden.

In Kombination mit einem höheren Anfall und der Notwendigkeit, immer kompliziertere wirtschaftliche Zusammenhänge zu erkennen und zu beurteilen, führe das dazu, dass Verfahren objektiv gesehen mitunter tatsächlich zu lange dauern.

„Gleichzeitig verteuert man aber die Justiz in völlig ungerechtfertigter Weise“, verwies Benn-Ibler auf die Gebührenerhöhungen der letzten beiden Jahre. „Rechtsgewähr durch die dritte Säule ist Staatsaufgabe“, so Benn-Ibler. Dieser Aufgabe komme der Staat aber immer weniger nach, und das, obwohl die Einnahmen durch Gebühren bereits im Jahr 2008 die Ausgaben der Justiz überschritten hätten, wie eine Studie des Europarates eindeutig belege. Nur wenn der Zugang zum Recht auch wirklich allen Bürgerinnen und Bürgern gewährleistet sei, könne Rechtsfrieden hergestellt werden.

Von einem „erfreulichen Umdenken“ sprach der ÖRAK-Präsident in Zusammenhang mit der vom Justizministerium angekündigten Halbierung der Kopierkosten von 1,10 Euro pro Seite.

Die Justiz werde in Zukunft der Bevölkerung aber auch besser verständlich machen müssen, warum gewisse Dinge eben nicht in aller Öffentlichkeit geschehen können, weil dies ein rechtsstaatliches Verfahren eben nicht zulasse. „Ebenso deutlich muss die Justiz aber auch vermitteln, dass sie ihre Aufgaben tatsächlich wahrnimmt, ohne Zuruf und ohne Ansehen der Person“, so Benn-Ibler. „Man kann der Justiz vertrauen, aber die Öffentlichkeit muss davon auch überzeugt sein. Hier tragen wir alle Verantwortung, die Politik, die rechtsberatenden Berufe, die Medien und die Justiz selbst.“

Grund- und Freiheitsrechte werden unterlaufen

Straftatbestände werden immer breiter, der Ruf nach noch mehr Überwachungsinstrumenten immer lauter: Die Rechtsentwicklung in Österreich und Europa bezeichnete Benn-Ibler als eines seiner besonderen Anliegen. Als von staatlichem Einfluss völlig unabhängige Berufsgruppe seien die Rechtsanwälte in besonderem Maße berufen, ihre Stimme dann zu erheben, wenn es rechtsstaatlich notwendig ist.

Die Rechtsanwaltschaft betrachte mit Sorge, dass mit dem Argument der Terrorbekämpfung und Gefahrenabwehr Grund- und Freiheitsrechte unterlaufen werden. Dazu gehört auch, dass Straftatbestände immer breiter würden, weil man ohne Rücksicht auf unerwünschte Nebenwirkungen möglichst alles Denkbare mit umfassen will. Dabei drohe die erforderliche Bestimmtheit der Straftatbestände verloren zu gehen, der Bürger sei immer weniger in der Lage zu erkennen, was erlaubt und was verboten ist. „Von Auswüchsen wie sie der Tierschützerprozess vorgezeigt hat ganz zu schweigen“, so Benn-Ibler.

Der Ruf der Sicherheitsbehörden nach ausgedehnten Möglichkeiten zur Gefahrenabwehr in Zusammenhang mit potentiellen, terroristischen Einzeltätern sei zwar aus Sicht der Behörden nachvollziehbar, aber dennoch in höchstem Maße bedenklich. Durch eine verdachtsunabhängige Anhäufung personenbezogener Daten Einzelner ohne richterliche Bewilligung oder Gefahr im Verzug würde tief in die verfassungsrechtlich geschützte Privatsphäre des Bürgers eingegriffen. Die im aktuellen Entwurf vorgesehene Einbeziehung eines Rechtsschutzbeauftragten sei keine Lösung des Problems.

Thomas Schreiner, Karl Korinek, Gerhard Benn-Ibler © ÖRAK

Ethikdiskussion ist notwendig

„Finanzkrise, organisierte Kriminalität, Korruption und Terrorismus sind die apokalyptischen Reiter, die unsere Welt heute heimsuchen. Wir müssen dagegen ankämpfen. Aber wir haben den Kampf schon verloren, wenn wir nicht dennoch den Menschen mit allen seinen unverbrüchlich zu haltenden Grundrechten, die seine Menschenwürde sichern, in den Mittelpunkt stellen“, so Benn-Ibler.

Es sei Aufgabe der Rechtsanwaltschaft, im Interesse des Bürgers und der Rechtsstaatlichkeit wachsam zu sein, und die Gefahr von Grundrechtseingriffen wie ein Seismograph aufzuzeigen. Gerade in einer krisenhaften Zeit komme es darauf an, dass Grundwerte hochgehalten werden, dazu gehöre auch ethisches Handeln.

„Ich danke allen Wegbegleitern aus der Anwaltschaft, der gesamten Justiz, der Politik und den Vertretern der Medien, die mich in den neun Jahren als Präsident einer, wie ich meine, maßgeblichen Institution des Rechtsstaates begleitet und uns Rechtsanwälte beim redlichen Bemühen für Freiheit, Bürgerrechte und Rechtsstaat unterstützt haben“, so Benn-Ibler abschließend.

Link: Anwaltstag

Link: ÖRAK

 

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