Wien. Die Rechtsanwaltskammer (ÖRAK) hat ihren aktuellen Wahrnehmungsbericht veröffentlicht. Eine der Haupterkenntnisse des vorliegenden Berichts: Viele Probleme ließen sich relativ einfach beseitigen.
Etwa bei den Ladungen im Zivilverfahren, bei Urkundenübermittlungen, beim Verfahren zur Aufenthaltsbewilligung, bei der Ansetzung von Verhandlungsterminen, bei der Fristsetzung für Sachverständige und bei der Gewährung des Rechtes auf Akteneinsicht im Asyl- und Strafverfahren, heißt es.
Aber auch struktureller Verbesserungsbedarf im System Justiz sei mannigfaltig möglich. So könne der lange angekündigte elektronische Strafakt weitere wesentliche Vereinfachungen und Verfahrensbeschleunigungen bewirken, so die Kammer.
Auch der Rechtsstaat als solcher müsse gestärkt werden. „Wenn die Strafverfolgungsbehörden mehr Möglichkeiten für ihre Aufgabe im Staat erhalten ist es gleichzeitig notwendig den Rechtsschutz auf Seiten der Betroffenen zu verbessern. Das ist bisher nicht der Fall. Ein stärkeres politisches Signal für eine solche Entwicklung ist notwendig“, so ÖRAK-Präsident Rupert Wolff.
Problemfelder Gesetzesbegutachtung und Bürgernähe
Rechtsanwälte waren im Beobachtungszeitraum mit 193 Gesetzesentwürfen und Verordnungen konfrontiert, und sollen dabei mit immer kürzer werdenden Begutachtungsfristen zurechtkommen müssen, die zum Teil eine gewissenhafte und detaillierte Untersuchung des Gesetzesentwurfes nur „schwer möglich machen“, so Wolff.
Negativer Rekordhalter sei das Universitätsgesetz mit einer Begutachtungsfrist von ursprünglich 4 Tagen. „Gesetzesvorlagen sollten daher erst nach nachweislicher, umfassender Begutachtung im Nationalrat beschlossen werden. Deshalb sollte der Nationalrat dann, wenn eine Begutachtung nicht oder in nicht ausreichender Frist erfolgte, die Behandlung eines Gesetzesentwurfes ablehnen“, so Wolff.
Stundenreduktion „kontraproduktiv“
Dass der öffentliche Gerichtsbetrieb und der Parteienverkehr in manchen Bundesländern mittlerweile auf wenige Stunden in der Woche beschränkt sei, scheint Wolff kontraproduktiv. So sollen etwa in Salzburg seit Juli manche Bezirksgerichte nur mehr an drei Vormittagen in der Woche geöffnet sein.
Als Grund für die Schließungen werden die hohen Kosten für Sicherheitskontrollen angeführt. „Der Zugang der Bürger zu Recht und Gericht kann aber nicht einfach aus Kostengründen eingeschränkt werden, zumal die österreichische Justiz im internationalen Vergleich einen exorbitant hohen Kostendeckungsgrad aufweist“, gibt Wolff zu bedenken.
Wenn bei hohen Gebühren Leistungen zurückgefahren werden müssen, dränge sich der Verdacht auf, dass die Justiz das Budget quersubventionieren muss, was für die österreichischen Rechtsanwälte untragbar wäre, so Wolff weiter.
Wiedereinführung der „verhandlungsfreien Zeit“ gefordert
Auch die im Zuge des letzten Budgetbegleitgesetzes umgesetzte Abschaffung der sogenannten „verhandlungsfreien Zeit“ während der Urlaubszeit im Sommer und über Weihnachten habe in der Praxis zu den befürchteten Problemen geführt, so der Bericht.
Aufgrund urlaubsbedingter Abwesenheit von Zeugen, Parteien und Sachverständigen sollen viele Verhandlungen gar nicht stattfinden haben und mussten vertagt werden, so Wolff.
Die Verfahren sollen dadurch nicht beschleunigt, sondern verzögert worden sein. „Die Rechtsanwälte fordern daher, die verhandlungsfreie Zeit wieder einzuführen, da die Verfahren durch die Abschaffung nicht effizienter sondern länger, aufwendiger und kostspieliger geworden sind“, so Wolff.
Zahlreiche Beschwerden wegen Akteneinsicht
Zahlreiche Beschwerden soll es in Zusammenhang mit verweigerter oder erschwerter Akteneinsicht gegeben haben. Insbesondere im Asylverfahren aber auch im Strafverfahren. „Das Recht auf Akteneinsicht durch Rechtsvertreter ist fundamental für ein rechtsstaatlich faires Verfahren“, erklärt Wolff. Werde Akteneinsicht nicht gewährt oder wesentlich erschwert, so sei das gesamte Verfahren rechtswidrig, meint er.
Desweiteren werde immer wieder von äußerst kurzfristigen Bestellungen von Verfahrenshilfeverteidigern durch die Gerichte berichtet. Aus Salzburg liege ein Fall vor, in dem die Bestellung so kurzfristig vor der Verhandlung erfolgte, dass der Verfahrenshilfeverteidiger keine Gelegenheit mehr hatte, den Akteninhalt mit seinem Klienten zu besprechen, heißt es.
„Auch auf diese Weise werden die Rechte des Angeklagten auf rechtsstaatlich bedenkliche Weise beschnitten. Dies erscheint in Anbetracht des Rechtes auf ein faires Verfahren als höchst bedenklich“, so Wolff.
Massive Verfahrensverschleppungen
Auch zum Teil massive Verfahrensverschleppungen sind Bestandteil des diesjährigen Wahrnehmungsberichtes. Ein besonders schwerer Fall sei aus Salzburg berichtet worden: Nach einem schweren Verkehrsunfall mit zwei Toten und mehreren Schwerverletzten wurde im Jänner 2010 ein KFZ-Sachverständiger damit beauftragt, binnen 4 Wochen ein Gutachten zum Unfallhergang zu erstellen.
Dieses liege trotz mehrfacher Urgenzen des Anwaltes der Geschädigten auch eineinhalb Jahre später immer noch nicht vor.
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