Wien. Am 1. März 2013 ist eine umfassende Kartellrechtsnovelle in Österreich in Kraft getreten, die auf Basis des im Dezember 2012 angenommenen Kartell- und Wettbewerbsrechtsänderungsgesetzes 2012 („KaWeRÄG 2012“) umfangreiche Neuheiten für das Kartellrecht in Österreich vorsieht.
Astrid Ablasser-Neuhuber und Gerhard Fussenegger von bpv Hügel stellen in der aktuellen Ausgabe von Recht.Extrajournal.Net Dossier, unserem E-Magazin für aktuelle Rechtsthemen, die Frage, ob Österreichs Kartellgesetznovelle für Unternehmen Vorteile oder Nachteile bringt.
Betroffen von den Änderungen sind hier konkret das Kartellgesetz („KartG“) und das Wettbewerbsgesetz (WettbG) als einschlägige Normen (daneben gibt es noch, durch die Novelle bedingte, Anpassungen im UWG). Die Änderungen folgen vielfach entsprechenden Vorgaben des unionsrechtlichen und deutschen Kartellrechts.
Wesentliche Bestandteile der Reform sind vor allem:
- Eine Ausweitung der Befugnisse der Bundeswettbewerbsbehörde („BWB“) im Hinblick auf ihre Ermittlungsbefugnisse,
- Maßnahmen, die die Durchsetzung von Schadenersatzansprüchen aus Kartellverstößen bei Zivilgerichten erleichtern sollen,
- eine Neudefinition von Bagatellkartellen (dh, Kartelle, die nicht vom Kartellverbot umfasst sind),
- neue verringerte Marktanteilsschwellen im Hinblick auf den Verdacht einer kollektiven Marktbeherrschung und,
- falls vom Anmelder gewünscht, neue Fristen in der Fusionskontrolle
Auf diese Punkte soll im Folgenden kurz im Einzelnen eingegangen werden.
Ermittlungsbefugnisse der Bundeswettbewerbsbehörde
In Bezug auf die wesentlich erweiterten Befugnisse bei Hausdurchsuchungen kann die BWB nunmehr (immer unter entsprechenden Voraussetzungen) erstmals Räume versiegeln. Dokumente beschlagnahmen und von allen Vertretern oder Beschäftigten des Unternehmens auch substantielle Erläuterungen verlangen, „die mit Gegenstand und Zweck der Ermittlungen in Zusammenhang stehen“.
Wesentliche Änderung im Hinblick auf Hausdurchsuchungen ist aber, dass das Recht der Unternehmen, Widerspruch beim Kartellgericht gegen die Einsichtnahme in bzw Beschlagnahme von Dokumenten einzulegen, die nicht vom Untersuchungszweck gedeckt sind, in Zukunft massiv eingeschränkt wird.
Erstens müssen Dokumente, hinsichtlich derer Widerspruch eingelegt wird, einzeln bezeichnet werden, was sich in der Praxis oft als sehr schwierig erweisen könnte, zweites, und das ist entscheidend, kann sich das Unternehmen in Zukunft auch nur mehr auf allgemein gültige Verteidigungsrechte nach der StPO, wie zB Verschwiegenheitspflichten, berufen (gerade aber der Verweis auf das Selbstbezichtigungsverbot nach der StPO wurde nicht aufgenommen).
Hintergrund dieser Änderung ist, dass das Kartellgericht, das bis zur Reform auf Antrag verpflichtet war, jedes einzelne Dokument inhaltlich darauf zu überprüfen, ob dieses vom Untersuchungsgegenstand gedeckt war, dieser Pflicht aus Kapazitätsgründen nicht nachkommen konnte. Für die Unternehmen bedeutet diese Änderung allerdings eine massive Beschränkung der Verteidigungsrechte.
So wird es in Zukunft für Unternehmen wohl erheblich schwieriger, die Einsichtnahme in Dokumente, die zwar auch auf kartellrechtliche Problematiken verweisen, jedoch nicht vom Untersuchungsgegenstand gedeckt sind, zu verhindern.
In Bezug auf Auskunftsverlangen war bislang nur das Kartellgericht berechtigt, Unternehmen Auskunftsverlangen aufzuerlegen, die mit einer Sanktion bei nicht bzw nicht ausreichender Beantwortung verbunden waren. Nunmehr kann die BWB Unternehmen zur Erteilung von Auskünften, aber auch zur Vorlage von Unterlagen per Bescheid verpflichten und – sollten die betroffenen Unternehmen diesem Bescheid nicht nachkommen – hier auch Bußgelder bis zu EUR 75.000 verhängen.
Die Bescheide können danach beim UVS Wien, mit Einführung der Verwaltungsgerichte ebendort, angefochten werden. Das Kartellgericht ist damit mit Auskunftsverlangen nicht mehr befasst.
Maßnahmen zur Durchsetzung von Schadenersatzansprüchen
Ein wesentliches Ziel der Reform ist es, der ständig steigenden Anzahl von Geschädigten aus Kartellverstößen, die ihren Schaden zivilrechtlich geltend machen wollen, die Durchsetzung ihrer Ansprüche zu ermöglichen.
So sind diesem Ansatz folgend in Zukunft Zivilgerichte an Entscheidungen der Kartellbehörden im Hinblick auf Rechtswidrigkeit und Verschulden des inkriminierenden Verhaltens gebunden. Diese Bindung betrifft sowohl Entscheidungen der EU-Gerichte, der EU-Kommission aber auch Entscheidungen nationaler Wettbewerbsbehörden (wie zB das Bundeskartellamt in Deutschland). Darüber hinaus ist nun auch gesetzlich geregelt, dass die Verjährung von Schadenersatzansprüchen aus Kartellverstößen erst 6 Monate nach rechtskräftigem Abschluss des entsprechenden Verfahrens endet.
Aus Sicht geschädigter Unternehmen ist sicher auch zu begrüßen, dass zumindest der wesentliche Inhalt der Entscheidungen des Kartellgerichts künftig zu veröffentlichen ist (bisher werden Entscheidungen des Kartellgerichts in erster Instanz nur sehr selten veröffentlicht). Bei am Kartell beteiligten Unternehmen, die bislang darauf vertrauen konnten, dass – zumindest im Hinblick auf Verfahren, die nicht an den OGH (als Kartellobergericht) gehen – nicht zu viele Details des Verstoßes an die Öffentlichkeit gelangen, wird sich die Freude über diese Änderung in Grenzen halten.
Das Bagatellkartell
Zweischneidig ist aus Sicht der Unternehmen auch die Änderung der sogenannten Bagatellkartellausnahme, die für kartellrechtswidriges Verhalten eine Ausnahme von der Anwendung des Kartellrechts vorsieht, wenn bestimmte Marktanteilsschwellen nicht überschritten werden.
Zwar wurden – den Vorgaben des EU-Rechts entsprechend – die entsprechenden Marktanteile von zuvor 5% auf jetzt 10% (bei sogenannten „horizontalen“ Kartellen, dh, Kartelle, an denen Unternehmer beteiligt sind, die zueinander im Wettbewerb stehen) bzw auf 15% (bei vertikalen Kartellen, dh, Kartellen, an denen Unternehmer beteiligt sind, die nicht miteinander im Wettbewerb stehen) erhöht.
Allerdings sind nun erstmals durch die Reform auch dann, wenn diese Marktanteilschwellen nicht überschritten werden, bestimmte (besonders schwerwiegende) Formen eines Kartellverstoßes, wie zB die Festsetzung der Verkaufspreise oder die Aufteilung der Märkte, nicht mehr von der Anwendung des Kartellrechts bzw Ahndung durch das Kartellrecht ausgenommen.
Dies kann bei strenger Gesetzesauslegung (und unter Außerachtlassung einer gewissen „Spürbarkeit“) in Überzeichnung etwa dazu führen, dass zwei Bäckereien, die die Preise für ihre Handsemmeln absprechen, einen Verstoß gegen das Kartellgesetz begehen und dafür auch bebußt werden.
Von größerer Bedeutung in der Praxis könnte allerdings sein, dass die neue Regelung (wiederum die ohnedies nur schwer nachweisbare Spürbarkeit außeracht lassend) nunmehr auch bei an und für sich harmlosen und nicht in Betrugsabsicht eingegangenen Kooperationen relevant sein könnte (zB zwei Betriebe kooperieren aus Logistikgründen offen miteinander und erstellen ein gemeinsames Preisangebot).
Verringerung der Marktanteilsschwelle für vermutete kollektive Marktbeherrschung
Eindeutig zum Nachteil der Unternehmen wirkt sich auch die Senkung der gesetzlich festgelegten Marktanteile aus, bei deren Überschreiten vermutet wird, dass die betroffenen Unternehmen kollektiv marktbeherrschend sind. Der Gesetzgeber ist hier der Gesetzgebung in Deutschland gefolgt, hat jedoch übersehen, dass die Wirtschaftsstruktur im zehnmal so großen Deutschland nur schwer mit den Marktverhältnissen in Österreich vergleichbar ist. So besteht eine derartige Vermutung nunmehr bereits, wenn drei (oder weniger) Unternehmern am sachlich relevanten Markt einen Marktanteil von mindestens 50 % haben oder 5 (oder weniger) Unternehmen einen Anteil von mindestens zwei Dritteln am Markt haben.
Diese Novellierung nach unten hat aber weitreichende Auswirkungen in der Praxis, da der Beweis bzw Nicht-Beweis einer kollektiven Marktbeherrschung (die für sich unabdingbare Voraussetzung eines kollektiven Marktmissbrauchs ist) nur sehr schwer zu führen ist, in Zukunft aber die Unternehmen, die diese verringerten Marktanteilsschwellen überschreiten nunmehr selbst beweisen müssen, dass sie nicht kollektiv marktbeherrschend sind.
Möglichkeit der Verlängerung der Prüfungsfristen in der Fusionskontrolle
Im Bereich der Fusionskontrolle wurden die bisherigen Umsatzschwellwerte, bei deren Überschreiten eine Transaktion bei den Wettbewerbsbehörden in Österreich anzumelden ist, beibehalten.
Neu ist, dass nunmehr auf Wunsch des Anmelders sowohl die Phase I einer Zusammenschlussanmeldung (und zwar von 4 auf 6 Wochen) als auch die Phase II (und zwar von 5 auf 6 Monate) verlängert werden kann.
Insbesondere in Bezug auf die bislang sehr starre 4-Wochenfrist der Phase I könnte sich diese Änderung positiv auswirken, da anmeldenden Unternehmen damit eine erweiterte Möglichkeit eingeräumt wird, die Anmeldung zu ergänzen, zusätzliches Datenmaterial vorzubereiten, gezielt auf Marktbefragungen reagieren zu können und allenfalls Auflagen zu akzeptieren.
Abzuwarten ist allerdings auch, inwiefern die BWB diese Möglichkeit auch in unproblematischen Transaktionen als Druckmittel einsetzt, um ihre Entscheidungsfrist auf 6 Wochen zu verlängern. ?
MMag. Dr. Astrid Ablasser-Neuhuber ist Partnerin und Mag. Gerhard Fussenegger, LL.M. ist Rechtsanwalt bei bpv Hügel Rechtsanwälte OG
Link: Recht.Extrajournal.Net Dossier (aktuelle Ausgabe)
Link: Alle Meldungen der Rubrik Recht.Extrajournal.Net Dossier