Wien. Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat mit Urteil vom 6. Juni 2013 (C-536/11) entschieden, dass Dritte, die Schadenersatz wegen eines Kartelles fordern, in die Akten des Kartellgerichtes unter Umständen Einsicht haben müssen.
Österreichs Bundeswettbewerbsbehörde stellt nun nach dem Grundsatzurteil des EuGH klar, dass es künftig Sache des Kartellrichters sei, ob er mutmaßlich geschädigten Dritten Einsicht in die Akten zu einem Verfahren gewährt.
Kartellabsprachen verursachen oftmals Schäden, die Geschädigte vor einem nationalen Zivilgericht einklagen können. Dafür braucht der Kläger jedoch Beweise. Deshalb beantragen Kläger Einsicht in den Akt des Kartellgerichtes. Österreichs Kartellgesetz macht eine solche Einsicht von einer „Zustimmung der Parteien“ abhängig. Wenn diese keine Zustimmung erteilen, bekommt der geschädigte Dritte keine Einsicht, so die BWB in einer Aussendung.
Der Richter muss nun beim Recht auf Akteneinsicht zwischen öffentlichem Interesse (z.B. Schutz von Kronzeugenprogrammen) und dem Interesse von Dritten (Schadenersatzklägern) auf Einsicht in den Kartellverfahrensakt abwägen können.
EuGH ändert alles
Das Kartellgesetz schloss bisher diese notwendige Interessensabwägung durch den Richter kategorisch aus, so die BWB. Das Oberlandesgericht Wien als Kartellgericht hatte diese Regelung des Kartellgesetzes dem EuGH vorgelegt, der nunmehr entschieden hat, dass sie dem Unionsrecht widerspricht. Der EuGH, unter Verweis auf die frühere Judikatur Pfleiderer, wiederholt in seinem Urteil, dass unter Anwendung des Effektivitätsgrundsatzes die „anwendbaren nationalen Rechtsvorschriften nicht so ausgestaltet“ sein dürfen, „dass sie die Erlangung eines Schadenersatzes praktisch unmöglich machten oder übermäßig erschwerten“.
Der nationale Richter muss in jedem Einzelfall über einen Antrag auf Akteneinsicht entscheiden und dabei eine Interessensabwägung vornehmen können. Und zwar zwischen den Interessen auf Schutz von Informationen im Kartellakt (z.B. Schutz von Informationen eines Kronzeugen, Geschäftsgeheimnisse) und individuellen Interessen eines Geschädigten auf Erlangung von Informationen (Pfleiderer).
Dem Unionsrecht kommt Anwendungsvorrang vor nationalem Recht zu. Deshalb ist die betreffende Bestimmung des Kartellgesetzes nach den Vorgaben des Urteiles anzuwenden. Nunmehr müsse der nationale Richter eine individuelle Interessensabwägung in jedem einzelnen Fall vornehmen und – falls er die Einzelinteressen höher bewertet – Zugang zum Akt bzw. zu einzelnen Dokumenten daraus gewähren, betont die BWB.
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