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Business, Recht, Steuer

Die Vor- und Nachteile der Compliance-Welle: CHSH-Managing Partner Albert Birkner im Interview

Albert Birkner ©gst
Albert Birkner ©gst

Wien. Die Compliance-Welle rollt: Das Jahr 2014 bringt neben verschärften Berichtsregeln für die gesamte Wirtschaft unter anderem das erste volle Betriebsjahr der neuen Bilanzpolizei, auf die Banken kommen neue Stresstests durch die Europäische Zentralbank zu, auf die Versicherer das seit 20 Jahren vorbereitete Regelwerk „Solvency II“, und vieles mehr. Keine Frage: Compliance – also die Maßnahmen, die Unternehmen setzten, um sicherzustellen dass sie all die neuen Vorschriften auch einhalten – ist ein wachsendes Betätigungsfeld für Rechtsberater ebenso wie Wirtschaftsprüfer, Steuerberater und viele mehr.

Doch bringt die Compliance-Welle den Unternehmen, Wirtschaft und Gesellschaft mehr, als sie an zusätzlichem Aufwand und Kosten verursacht – und kann sie leisten, was von ihr erwartet wird: mehr Transparenz, weniger Korruption, weniger Management-Fehler und gar den Schutz vor einer Neuauflage der Finanzkrise? Anwalt und M&A-Experte Albert Birkner, Managing Partner der renommierten österreichischen Wirtschaftskanzlei CHSH, geht im Interview darauf ein.

Recht.Extrajournal.Net: Compliance bedeutet, mit einer ständig wachsenden Flut von neuen Gesetzen und Vorschriften mitzuhalten. Ist dieser Trend aus Ihrer Sicht positiv oder negativ?

Albert Birkner: Ich meine, dass wir mehr in Freiräumen denken sollten und weniger in neuen Regeln. Es herscht der Drang nach der Regelung von immer mehr und mehr Lebensbereichen mit immer komplizierteren Normen. Compliance an sich ist nichts Schlechtes. Es ist aber auch nichts Neues, es ist ein Modebegriff für eine bekannte Tatsache – nämlich dass die Gesetze einzuhalten sind. Das ist selbstverständlich. Sollte man sich da nicht die Frage stellen, ob es sinnvoll ist, wenn daher jedes größere Unternehmen neuerdings einen eigenen Compliance Officer braucht? Ich wage zu behaupten, dass in gut geführten Unternehmen schon immer darauf geachtet wurde, dass die Gesetze eingehalten werden. Immer mehr Gesetze bringen immer mehr Bedarf, deren Einhaltung zu überwachen. Der Wirtschaftsprüfer überprüft die Compliance Organisation. Die OePR prüft den Wirtschaftsprüfer. Wie weit geht das noch?

Zu den neuen Gesetzen kommen Benimmregeln wie der Corporate Governance Codex für börsenotierte Unternehmen, die von Interessengruppen und Lobbys aufgestellt werden, nicht vom Parlament. Es handelt sich hier nicht um Gesetze, sie sind aber dennoch einzuhalten wenn man nicht z.B. als börsenotiertes Unternehmen Nachteile haben will. Immerhin bringt Compliance für die Beraterberufe, allen vor an die Anwälte, aber letztlich mehr Geschäft?

Birkner: Solche Benimmregeln gelten infolge moralischen Drucks. Es ist heute kaum vorstellbar, dass ein in Wien gelistetes Unternehmen erklärt, den Corporate Governance Kodex nicht anzuwenden. Ganz im Gegenteil, die Börseregeln verpflichten die Emittenten dazu. Der Corporate Governance Kodex ist weder dem Gesetzgebungs- noch dem Normenprüfungsverfahren unterworfen. Der Gesetzgeber zieht sich hier freiwillig zurück. Denn wenn solche Regeln gelten sollen, warum nimmt er sie nicht in das Aktiengesetz auf, sondern paraphrasiert das Aktiengesetz?

Was das Geschäft betrifft: Natürlich bringt die Compliance-Welle den Anwälten Umsatz. Aber ein Mehr an neuen Vorschriften um ihrer selbst willen für gut zu halten, das halte ich für sehr problematisch. Meiner Sichtweise entspricht das jedenfalls in keiner Weise. Besonders bedauerlich ist es, wenn ein Mehr an Gesetzen mit dem Trend zur Compliance begründet wird. Das bedeutet im Klartext ja: damit man die Gesetze einhält, müssen noch mehr von ihnen erlassen werden.

Ihnen wäre eine gegenläufige Entwicklung lieber?

Birkner: Ich meine, dass man den Entscheidungsspielraum der Einzelperson vergrößern sollte. Im Moment geschieht das Gegenteil.

Viele der neuen Gesetze sollen explizit dort eingreifen, wo eine Selbstregelung keine Aussicht auf Erfolg zu haben scheint, etwa das Antikorruptionsgesetz.

Birkner: Das führt eher zur totalen Verunsicherung aller Führungskräfte als zur Bekämpfung der Korruption. Ob man jemandem eine Flasche Wein schenkt oder nicht, das betrifft allein den höchstpersönlichen Bereich. Und es wird dessen Verhalten nicht ändern. Das weiß auch der Gesetzgeber. Der Gedanke dahinter ist vermutlich der, dass man die persönlichen Beziehungen so genau und bis ins Detail reglementieren will, dass dann einfach keine Korruption mehr geht. Aber das ist ein naiver Gedanke. Denn wo es wirklich um Großes geht, wo also hohe Belohnungen für illegale Dienste versprochen werden, dort werden die Leute trotz der neuen Vorschriften auch weiterhin Korruption üben. Und das, was sie dann tun, war auch schon unter der alten Gesetzeslage verboten.

Grundsätzlich verhalten sich die meisten Menschen durchaus normgerecht – und zwar ohne dass ihnen für jeden einzelnen Schritt und jede einzelne Handlung des Tages per Gesetz, Kodex oder Norm vorgeschrieben werden muss, was sie genau zu tun haben. Natürlich ist die Bekämpfung der Korruption, das Erreichen von Zielen wie Nachhaltigkeit, Umweltfreundlichkeit, wichtig, es ist nichts dagegen zu sagen – und man kann das auch in Corporate Governance- oder CSR-Codices gießen. Aber es darf kein Selbstzweck werden. Aus meiner Erfahrung mit Klienten als Anwalt kann ich sagen: Die beste Regelung ist einfach. Dann verstehen sie alle Beteiligten auch in einigen Jahren noch, und dann hält sie auch.

Link: CHSH

 

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