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Recht

Benn-Ibler-Experte Thurin: Höchstgericht unterstreicht Recht auf mündliche Verhandlung bei Asylverfahren

Oliver Thurin ©Rudolf Handl
Oliver Thurin ©Rudolf Handl

Wien. Der österreichische Verwaltungsgerichtshof (VwGH) ist seit 1 Jänner 2014 wieder für Angelegenheiten des Asylrechts zuständig – nach einem mehr als fünfjährigen, rechtstaatlich nicht unumstrittenen Zwischenspiel. „Nun hat er in einer der ersten Entscheidungen seit seiner >Wiedereinsetzung< zu der in der Praxis von Asyl und Abschiebefällen besonders wichtigen Frage der Verhandlungspflicht, Stellung bezogen“, so Oliver Thurin, Verwaltungsrechtsexperte der  Kanzlei Benn-Ibler Rechtsanwälte GmbH.

Konkret ging es um afghanische Asylwerberinnen, deren Asylanträge von der Asylbehörde (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl) abgewiesen worden waren. Ohne mündliche Verhandlung – und das widerspricht Europas Grundrechtscharta, so der VwGH. 

Gegen diese Entscheidungen erhoben die Betroffenen Beschwerden, die das Bundesverwaltungsgericht aber ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung, jeweils abwies. Das Bundesverwaltungsgericht begründete das Unterbleiben einer Verhandlung damit, dass Art. 47 der Europäischen Grundrechtscharta (GRC) den Gerichten im Bereich der Asylverfahren keine Verhandlungspflicht auferlegen würde, heißt es in einer Aussendung von Benn-Ibler.

„Diese Rechtsansicht teilte das Höchstgericht nicht“, so Thurin und weiter: „Der Verwaltungsgerichtshof stellte vielmehr kurz und bündig klar, dass Fragen des Asylwesens (zumeist) in den Anwendungsbereich des Europäischen Unionsrechts fallen und somit in solchen Verfahren das in der GRC gewährleistete Recht auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu beachten ist.“

Wann muss es eine mündliche Verhandlung geben

Darüber hinaus legte der Gerichtshof aber auch gleich Kriterien fest, wann das Bundesverwaltungsgericht eine Verhandlung durchzuführen hat: Im Wesentlichen dann, wenn der entscheidungswesentliche Sachverhalt von der Asylbehörde nicht ordnungsgemäß erhoben wird oder zum Zeitpunkt der Entscheidung durch das Gericht nicht mehr ausreichend aktuell ist. Ebenso bei der Behauptung neuer relevanter Tatsachen oder der substantiierten Bestreitung der von der Behörde angenommenen Faktenlage in der Beschwerde, heißt es weiter.

Der Gerichtshof kam im konkreten Fall zum Schluss, dass das Bundesverwaltungsgericht eine Verhandlung abhalten hätte müssen, da die Asylwerberinnen den von der Asylbehörde angenommenen Sachverhalt in ihren Beschwerden konkret bekämpft hatten.

Zentrale Bedeutung der Verhandlung

Die Durchführung einer Verhandlung sei das in der Praxis mit Abstand wichtigste Mittel, um die Glaubwürdigkeit von behaupteten Flucht- und Bedrohungsszenarien von Asylwerbern angemessen beurteilen zu können. Dies folgt aus der zentralen Bedeutung des persönlichen Eindrucks bei der Bewertung der Plausibilität von Aussagen eines Schutzsuchenden, ergibt sich aber auch aus dem für Asyl- und Abschiebeverfahren typischen „Beweisnotstand“ (die Beschaffung zweckdienlicher Beweise aus einem Verfolgerstaat ist oft nicht oder nur sehr schwer möglich), so der Experte.

Unzulässige Beweiswürdigung

Daneben beschäftigte sich der Verwaltungsgerichthof in diesem Fall aber auch mit dem in der behördlichen Asylpraxis immer wieder anzutreffenden >Totschlagargument<, ein Asylwerber werde immer alles, was zur Asylgewährung führen könne, bereits bei der Erstbefragung vorbringen. Nachträgliches Fluchtvorbringen sei somit als sogenannte >Steigerung< der Aussage unglaubwürdig.

Der Verwaltungsgerichtshof hielt dieser pauschalen Einschätzung zu Recht entgegen, dass nach dem Asylgesetz die Erstbefragung der Ermittlung der Identität und Reiseroute diene und sich nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen habe, so Benn-Ibler-Experte Thurin. Dennoch: so zutreffend dieses Argument dogmatisch auch erscheint, hätte sich hier mitunter auch eine grundlegendere Erwiderung angeboten. Anleihe dafür könnte etwa beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, der höchsten und wichtigsten Instanz im europäischen Menschenrechtsschutz, genommen werden, der bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit von Asylwerbern besonderes Gewicht auf deren „spezielle Situation“ legt; dem widerspreche es, die Glaubwürdigkeit schon allein aufgrund nachträglichen Vorbringens abzusprechen.

Thurin abschließend: „Alles in allem sind die Klarstellungen des Verwaltungsgerichtshofes zur Verhandlungspflicht des Bundesverwaltungsgerichts im Sinne eines möglichst effektiven präventiven Asyl- und Menschenrechtsschutzes zweifellos zu begrüßen.“ Gerade in einem hochsensiblen Rechtsbereich wie dem Asyl- und Abschiebewesen, in dem potentielle Fehlentscheidungen irreparable Schäden zeitigen können, erweise sich die Verschaffung eines unmittelbaren persönlichen Eindrucks durch einen unabhängigen Richter als besonders bedeutsam.

Link: Benn-Ibler Rechtsanwälte

 

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