Open menu
x

Bequem up to date mit dem Newsletter von Extrajournal.Net!

Jetzt anmelden, regelmäßig die Liste der neuen Meldungen per E-Mail erhalten.

Weitere Informationen finden Sie auf unserer Newsletter-Seite sowie in unserer Datenschutzerklärung.

Recht

Gutachter der Verteidigung treten ab 2015 vor Gericht stärker auf: Showdowns wie im US-Film?

Erich Kandler © Kandler
Erich Kandler © Kandler

Wien. Gutachter werden in österreichischen Strafprozessen ab 2015 wichtiger – jedenfalls wenn es Gutachter der Verteidigung sind: Beschuldigte haben künftig das Recht darauf, ihren eigenen Experten in den Gerichtssaal zu holen und dort zu den Vorwürfen der Anklage Stellung nehmen zu lassen; bisher lag das im Ermessen des Gerichts. Gerade in Wirtschaftscausen werden die Gutachter der Verteidigung künftig eine wesentlich größere Rolle spielen, sagt Wirtschaftsprüfer Erich Kandler, der dadurch einen neuen Markt entstehen sieht – und auf kurze Verfahren hofft.

Aufsehenerregende Showdowns im Gerichtssaal seien dennoch keine zu befürchten, beruhigt er gleichzeitig: „Amerikanische Zustände wird es nicht geben.“

Das Strafprozessrechtsänderungsgesetz 2014 gibt den Beschuldigten konkret das Recht, mit der Gegenäußerung zur Anklageschrift eine – zum Akt zu nehmende – Stellungnahme samt sachkundiger Schlussfolgerungen einer Person mit besonderem Fachwissen („Privatsachverständiger“) vorzubringen – und es gewährt das selbständige Fragerechts des Privatsachverständigen bei der Befragung des vom Gericht bestellten Sachverständigen, wie help.gv.at darlegt.

Die Kombination dieser beiden Punkte ist von großer Bedeutung für den Ablauf künftiger Wirtschaftsstrafverfahren, sagt Kandler: „Bis jetzt war es so, dass die Staatsanwaltschaft einen Gutachter bestellt hat, der dann fast automatisch auch Gutachter des Gerichts wurde, wenn es zur Anklage kommt.“ Das Problem dabei: Der Gutachter des Staatsanwalts erscheine psychologisch eher geneigt, seine eigene Arbeit zu verteidigen – aus zutiefst menschlichen Gründen.

Das neue System

Künftig hat der Beschuldigte ein Einspruchsrecht, kann einen anderen Gutachter verlangen und darüber hinaus auch seinen eigenen Gutachter beibringen. Letzteres konnte er zwar bisher schon – aber die Gerichte lehnten es häufig ab, den Gutachter der Verteidigung in der Hauptverhandlung auch zu Wort kommen zu lassen. „Künftig wird es sogar so sein, dass der Angeklagte nicht nur das Recht auf einen Gutachter hat, der in der Verhandlung zu Wort kommt – sondern dieser Gutachter kann mit dem Gutachter des Gerichts in Zwiegespräch treten.“

Darauf freut sich Kandler, ein ehemaliger Deloitte-Partner, der selbst schon bei etlichen prominenten Wirtschaftsstrafverfahren als Berater und Gutachter aktiv war und „dabei manchmal nicht zu Wort kam – sozusagen erste Reihe fußfrei, aber ohne die Möglichkeit etwas zu tun“.

Auf den Punkt gebracht?

Die neue Rolle werde vor allem bei Strafverfahren, bei denen Gutachter eine große Rolle spielen – und das sind die meisten Wirtschaftscausen – wichtig sein, glaubt Kandler. Er sieht einen neuen Markt für sachverständige Wirtschaftsprofis mit Prüfer-Hintergrund oder anderweitigen Sach- und Rechtskenntnissen – und zwar einen Markt, bei dem die Gutachter sowohl wirksamer wie auch transparenter auftreten als bisher. Zu erwarten seien auf den Punkt gebrachte Anklagen, die dann auch schneller zu einem Urteil führen – sei es Freispruch oder Verurteilung.

„Freikaufen wird ganz sicher auch künftig nicht möglich sein, aber es wird schnellere Verfahren geben können, was ein großer Vorteil ist.“ Es liege ihm nämlich fern zu behaupten, dass alle Angeklagten in den vielen aufsehenerregenden Wirtschaftsverfahren der letzten Jahre stets unschuldig waren: „Keine Rede davon“, sagt Kandler. Aber die Öffentlichkeit wundere sich zu Recht, wenn in einem aufsehenerregenden Wirtschaftsprozess ein Dutzend Manager in 20 Anklagepunkten vor Gericht steht – nur damit nach mehreren Jahren die Hälfte von ihnen dann doch freigesprochen wird, und selbst die Verurteilten in den meisten der ursprünglichen Anlagepunkte frei gehen.

„Das kann es nicht sein. Die Menschen verstehen ja nicht, warum von der ursprünglichen Anklage am Ende so wenig übrigbleibt. Und umgekehrt ist selbst bei denen, die zur Gänze freigesprochen werden, nach so langer Zeit natürlich die Karriere ruiniert. Schnellere Verfahren sind also im Interesse aller Beteiligten“, meint Kandler.

Er sieht durch die gestärkte Rolle der Gutachter das Know-how der Sachverständigen stärker gefragt: Künftig werde schon aus der Auseinandersetzung der Gutachter rasch klar werden, welche Vorwürfe sicher substanzlos sind und welche möglicherweise „picken“ bleiben. Und nur letztere werden dann angeklagt. Künftige Verfahren könnten also pointierter, kürzer und damit für die Staatskasse wie die Angeklagten auch finanziell erträglicher sein.

Die Gefahren

Doch könnte es nicht umgekehrt gerade durch das Auftreten der mit neuer Machtvollkommenheit ausgestatteten Privatgutachter zu Verzögerungen kommen? Etwa weil zuerst ein langer Streit um die Personen der Gutachter herrscht, die Gutachter der Verteidigung sich dann erst einmal lange einarbeiten müssen – und zu guter Letzt dann auch das Hauptverfahren selbst durch endlose Sachverständigen-Diskussionen in die Länge gezogen wird?

Nein, beteuert Kandler: „Es wird keine amerikanischen Zustände bei uns geben. Die Verteidigung hat kein Interesse an einem endlosen Procedere. Und ihr Gutachter muss ja nicht bei Null anfangen. Es liegt ja in der Regel dann bereits die fertige Anklage vor, die sich auf ihre eigenen Gutachten stützt. Genau dazu gibt er dann seine Stellungnahme ab. Das Ganze bedeutet sicher keine Verdoppelung der Gutachter-Kosten.“

Es werde sicher noch ein paar Jahre dauern, bis über die neue Regelung selbst ein Urteil gesprochen werden kann, so Kandler: „die Erwartung ist jedenfalls sehr hoch, dass es ein gutes wird.“

Link: Erich Kandler Wirtschaftsprüfung

 

Weitere Meldungen:

  1. Reform der StPO: Selbst einhellige Vorhaben derzeit gebremst
  2. ZWF: Bestellung von Sachverständigen im Fokus
  3. Grünes Licht für 3. Piste: Gericht erteilt Auflagen
  4. Pflegeregress fällt: Mehr Heimbewohner, ärmere Städte?