Wien. Das fahrerlose Auto rollt an: Führende Technologiekonzerne wie Google und Apple haben Großes vor, etablierte Autokonzerne ziehen nach. Zwar dürfte es Jahre dauern, bis selbststeuernde Kfz spürbare Marktanteile erringen, doch die Versicherer denken schon intensiv darüber nach, sagt VAV-Chef Norbert Griesmayr im Interview mit Extrajournal.Net: Eine große Frage ist, wer bei Unfällen haftet. Zu erwarten sei bei dem Autotyp jedenfalls ein besserer Schadensverlauf – und das könnte zu günstigeren Prämien führen.
„Die Herausforderung liegt im rechtlichen Bereich“, sagt Griesmayr – selbst Jurist – zu den Entwicklungen um fahrerlose Autos, die bei Google und anderen bekanntlich bereits jahrelange (und nicht ganz unfallfreie) Testfahrten absolviert haben.
Vor seinem Amtsantritt als Vorstandsvorsitzender des Versicherers VAV war Griesmayr mehr als 10 Jahre Mitglied der Geschäftsleitung der Gerling Allgemeine Versicherungs-AG. Die VAV ist in der Branche bekannt dafür, auf möglichst ausgefeilte Modelle der Risikoerfassung zu setzen.
Extrajournal.Net: Welche rechtlichen Probleme kommen bei fahrerlosen Autos auf die Versicherer zu?
Norbert Griesmayr: Die Herausforderung liegt vor allem im rechtlichen Bereich. Es muss die Verantwortung und Haftung bei einem Unfall rechtlich klar geregelt sein. Es stellen sich ja eine Reihe von Fragen: Hat der „Lenker“ rechtzeitig und in richtiger Weise eingegriffen? Konnte der Lenker überhaupt in das System eingreifen oder war dieses blockiert? Hat der Lenker gerade durch sein Eingreifen die Situation verschlechtert oder verbessert? Hat gar das System versagt (analog zu Berichten über außer Kontrolle geratene Computersysteme in Flugzeugen)?
Im Moment zahlt bei der Kfz-Haftpflicht der schuldige Autofahrer. Gibt es überhaupt einen Autofahrer, wenn das Auto selbst (automatisch) fährt? Wer zahlt sonst – der Hersteller?
Griesmayr: Die Verantwortung bleibt wohl immer beim Menschen. Er ist der Herr des Geschehens und bedient sich der Technik. Der Fahrer wird und muss jeder Zeit die Möglichkeit haben, in das System eingreifen zu können. Die Qualität der neuen Technik muss selbstverständlich ausreichend geprüft und getestet sein.
Nach derzeitiger Rechtslage haftet der Fahrer bzw. auch der Fahrzeughalter. Der Hersteller haftet für Konstruktions- und Baumängel und die Werkstatt für Reparatur- bzw. Wartungsfehler. Es kann sein, dass künftig die Haftungsfrage schwieriger zu klären ist. Das muss aber gar nicht sein: Die Technik ist dann so weit, dass möglicherweise sich die Unfallursache sehr genau feststellen läßt.
Besteht die Chance auf günstigere Prämien bei fahrerlosen Autos, falls Risiken wie Alkohol am Steuer, überhöhtes Tempo, etc. wegfallen?
Griesmayr: Die VAV hat als erste österreichische Versicherung das System der Typenklassen eingeführt. Das Typenklassensystem, das jedes Jahr Zig-Millionen Daten berücksichtigt, stuft die zu versichernden Fahrzeuge nach dem wahrscheinlichen Schadenverlauf ein – und zwar jedes Jahr aufs Neue. Aus heutiger Sicht wird es auch bei selbstfahrenden Autos zur Anwendung kommen und in sehr brauchbarer Weise das Risiko dieser Fahrzeuge bewerten können. Wir haben schon in der Vergangenheit die Erfahrung gemacht, dass das Typenklassensystem viel schneller als der sonstige Versicherungsmarkt auf die technologische Entwicklung reagiert.
Ob das autonome Fahren eher positive oder negative Auswirkungen nach sich zieht, wird zwar von der Umsetzung und der Sicherheit der Systeme abhängen, aber grundsätzlich ist eine positive Entwicklung zu erwarten. Der technologische Fortschritt in den letzten 20 Jahren hat sich bereits erheblich günstig auf die Verkehrssicherheit ausgewirkt. Denken Sie nur an ABS, an Spurhaltesysteme oder automatische Abstandshalter und vieles mehr. Der Rückgang der Todesfälle und der Unfälle im Straßenverkehr ist nicht unwesentlich technischen Neuerungen zu verdanken.
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