
Kommentar. Wenn der einst vielgerühmte Elektronische Rechtsverkehr Österreichs nun auf die Amtsstunden von 8.00 bis 15.00 Uhr beschränkt sein soll, dann fühlt sich Wiens Anwaltskammer-Präsident Michael Enzinger aus dem 21. Jahrhundert in die Zeiten der Donaumonarchie zurückgeschleudert. „Solche Fristenfallen schaden dem Ansehen der Justiz.“
Der Elektronische Rechtsverkehr (ERV) gilt als besonders erfolgreich umgesetztes Projekt der österreichischen Justiz innerhalb Europas. Nicht ganz ohne Tücken, weswegen sich die österreichischen Gerichte mit diesem Projekt beschäftigt haben. Der Verfassungsgerichtshof hatte beispielsweise anders als der Oberste Gerichtshof keine Bedenken, dass der Gesetzgeber den Zeitpunkt von Zustellungen im Wege des ERV bei berufsmäßigen Parteienvertretern mit dem auf das Einlangen im elektronischen Verfügungsbereich des Empfängers folgenden Werktag bestimmt hat.
„Solche Fristenfallen gehören beseitigt“
Aber auch der Verwaltungsgerichtshof beschäftigte sich erst kürzlich mit dem ERV. Die an sich rechtsrichtige Entscheidung betreffend die Einbringung von Rechtsmitteln im Wege des ERV beim Bundesverwaltungsgericht liest sich allerdings wie eine Erzählung aus dem Reich von Herzmanovsky-Orlando:
Gemäß der vom Bundesverwaltungsgericht erlassenen Geschäftsordnung können im ERV eingebrachte Eingaben nur während der Amtsstunden, nämlich nur von 8.00 bis 15.00 Uhr eingebracht werden. Die in der konkreten Rechtssache am letzten Tag der Frist nach Ablauf der Amtsstunden im Wege des ERV beim Bundesverwaltungsgericht eingebrachte Revision an den Verwaltungsgerichtshof war somit verspätet.
Solche Fristenfallen gehören beseitigt. Sie beschädigen das Ansehen der Justiz. Es könnte ja der Eindruck entstehen, dass um 15.00 Uhr Stillstand der Rechtspflege eintritt. Im Übrigen gibt es gute Gründe dafür, dass diese Regelung gleichheits- und verfassungswidrig ist, denn Zustellungen seitens des Gerichtes können umgekehrt bis Mitternacht vorgenommen werden. Die Wiener Rechtsanwälte werden alles daran setzen, dass der Amtsschimmel dorthin verfrachtet wird, wohin er gehört: Zu Herzmanovsky-Orlando.
Kommentar von Univ.-Prof. Dr. Michael Enzinger, Präsident der Rechtsanwaltskammer Wien; wiedergegeben mit freundlicher Genehmigung
Link: Rechtsanwaltskammer Wien