Wien. Als der Europäische Gerichtshof (EuGH) 2014 urteilte, dass Suchmaschinenriese Google unter bestimmten Umständen Einträge in der EU löschen muss, war die Aufregung groß. Doch der Massenandrang auf Löschungen ist in Österreich ausgeblieben. „Das Urteil des EuGH ist lediglich eine gewisse Hilfestellung“, sagt Gerald Ganzger, Partner der Wiener Sozietät Lansky, Ganzger + Partner (LGP). Er schildert im Interview mit Recht.Extrajournal.Net, wie groß die Nachfrage nach Vergessenwerden tatsächlich ist – und die Spielregeln, die heute dabei gelten.
„Das Urteil des EuGH ist eine gewisse Hilfestellung, hat aber nichts an der Grundproblematik geändert. Wir sind bereits vor rund acht Jahren durch einen Klienten das erste Mal auf das Thema Löschungen bei Google aufmerksam geworden“, sagt Ganzger.
Sein Klient hatte bereits im Jahr 1998 eine Pleite gebaut, über die die Medien berichtet hatten. 10 Jahre später war diese Insolvenz – obwohl längst nicht mehr aktuell – immer noch der oberste Treffer bei einer Suchanfrage nach dem Namen des Klienten bei Google. „Die Eintragung war also veraltet und zeigte ein falsches Bild, es gab auch kein aktuelles Informationsbedürfnis der Google-User mehr“, so Ganzger.
Man wandte sich also im Namen des Klienten an Google, um den Eintrag löschen zu lassen. „Google wehrt sich in solchen Fällen mit Händen und Füßen; das Hauptargumente ist, dass sie jede Art von Zensur vermeiden wollen und dass sie ein 1:1 Abbild des Internets sein wollen“, erklärt Ganzger den darauffolgenden Vorgang – an dem sich in seinen Augen auch nach dem EuGH-Urteil (C-131/12) wenig geändert hat. „Google hatte schon vor dem EuGH-Urteil ein ähnliches System.“
Ein mehrstufiges Beschwerdesystem
Konkret wird ein Beschwerdesystem durchlaufen, bei dem eine Eingabemaske bei Google mit den entsprechenden Daten befüllt werden muss. „Je genauer man das Formular ausfüllt, desto besser“, sagt Ganzger.
Dennoch ist die erste Antwort, die Löschwillige bekommen, meist abschlägig. Außerdem wird gerne der Nachweis eines Gerichtsentscheids verlangt, dass der betreffende Eintrag, der im Google-Index erfasst wurde und nun gelöscht werden soll, rechtswidrig ist. Das kann manchmal tatsächlich der Fall sein – beispielsweise wenn der Google-Eintrag auf eine rechtsextreme Website verweist, deren Inhalte laut Gericht gegen das Verbotsgesetz verstoßen -, wird aber in vielen Fällen fehlen, erklärt Ganzger: „Wir hatten einen Fall, wo eine Medizinerin von einem früheren Kollegen im Internet belästigt und verfolgt wurde. Dieser Kollege schrieb, sie arbeite >wie die Tochter von Josef Mengele<“.
Josef Mengeles Tochter als berechtigte Kritik?
Die Antwort von Google auf die Löschungsaufforderung war, dass gerade bei Ärzten die Patienten ein Recht auf möglichst viele Meinungen hätten, wie der betreffende Arzt behandle. „Worauf ich ihnen geantwortet habe: Wissen Sie überhaupt wer Josef Mengele war?“ Zum besseren Verständnis hat Ganzger dann auch noch einen Weblink zum Wikipedia-Eintrag des SS-Arztes von Auschwitz beigefügt. „Nach 10 Minuten war der Eintrag gelöscht“, erinnert sich Ganzger.
Experten für Customer Relations im Online-Bereich haben dazu eine Vermutung: Möglicherweise erhalten Beschwerdeführer bei Google als erste Antwort einen (abschlägigen) Standardtext, der je nach Inhalt ihrer Beschwerde mehr oder minder automatisch ausgewählt wird.
Wer sich damit nicht zufriedengibt, „eskaliert“ das System, d.h. dessen Anliegen wird genauer betrachtet. Und wie stehen dann die Chancen? „Gute Chancen hat man bei veralteten (und z.B. kreditschädigenden) Informationen und bei krassen Beleidigungen, Verleumdungen, usw. Alles andere ist schwierig. Auch scharfe aktuelle Meinungsäußerungen werden nicht gelöscht. Google hat große Angst, dass ihnen Zensur vorgeworfen wird“, erklärt Ganzger.
Sein Tipp ist, bei veralteten oder schlicht falschen Informationen die betreffenden Medien oder seriösen Website-Betreiber direkt zu kontaktieren: „Meist wird sehr bereitwillig reagiert.“ Und es geht schneller als der indirekte Weg, bei Google den Sucheintrag entfernen zu lassen. „Schwierig wird das natürlich dort, wo man den Betreiber einer Website gar nicht kennt, er sich hinter weit entfernten Standorten verbirgt oder z.B. auf einem Server in den USA gehostet ist, wo die Meinungsäußerung viel weiter aufgefasst wird“, so Ganzger.
Die harten Zahlen zum Recht auf Vergessen
In Summe hatte seine Kanzlei bisher rund 20 Fälle von Löschanträgen bei Google und/oder auf Websites. „Zumindest teilweise hatten wir eigentlich immer Erfolg. Eine komplette Löschung ist aber schwierig. Google kämpft um jedes bißchen“, meint er.
Andere Suchmaschinen wie z.B. „Bing“ von Microsoft, für die grundsätzlich die gleichen Regeln gelten sollten, waren bis jetzt noch kein Praxis-Thema in Österreich. Die Google-Video-Tochter Youtube ist Ganzger dagegen schon einmal untergekommen, ebenso Löschanträge in Sachen Facebook-Einträge. „Auch da gilt: Bei krassen Fällen kann man ohne weiteres Erfolg haben“, so Ganzger.
Gute Chancen habe man auch bei Urheberrechtsverletzungen – auch bei auf Meinungsäußerungsfreiheit so bedachten Standorten wie den USA. „Ich erinnere mich an einen Fall, wo ein Video wegen übler Nachrede gelöscht werden sollte. Das wurde zunächst abgelehnt. Wir sind dann draufgekommen, dass da die Konzernzentrale unseres Klienten mit seinem Logo zu sehen war. Daraufhin haben wir Aufforderung zur Löschung wegen Markenrechtsverletzung gestellt. Es wurde sofort gelöscht.“
Eine generelle Zunahme bei Löschanfragen kann Ganzger aber nicht erkennen. „In den ersten fünf Tagen nach dem EuGH-Urteil hatten wir 10 Anfragen, dann flaute es wieder ab.“ Man hatte vor allem damit zu tun, den Klienten zu sagen wass der EuGH da eigentlich geurteilt hat, erinnert sich Ganzger: „Es gab ja zunächst vielerorts die falsche Auffassung, dass man jetzt einfach jede beliebige Information bei Google löschen lassen kann. Wir mussten den Klienten erst erklären, dass sich eigentlich nicht so viel geändert hat.“ Das EuGH-Urteil wirke unterstützend bei nicht mehr aktuellen Eintragungen, so Ganzger. „Entscheidend ist: Man braucht einen langen Atem, viel Geduld, sorgfältige Vorbereitung und stichhaltige Argumente.“
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