Wien. Die Wirtschaft Serbiens wächst kräftig und das Land drängt in die EU. Lansky, Ganzger + Partner lud zu einer Diskussion über Chancen und Risiken des serbischen EU-Beitritts.
Der Präsident des Senat der Wirtschaft Serbien, Ivan Gros, präsentierte die Wirtschaftsdaten des Landes: Ein – weit über den Prognosen liegendes – Wirtschaftswachstum von 2,5 Prozent, und ein florierender Außenhandel, vor allem mit der EU.
Mit knapp 64 Prozent ist die EU der wichtigste Handelspartner Serbiens, davon ist Deutschland der größte, Österreich bereits der zweitgrößte Handelspartner in Europa. Aber auch mit China wurden in den letzten Jahren intensive Wirtschaftsbeziehungen geknüpft.
Keine Wachstumsbremse
Aleksandar Vlahovic, Präsident der Vereinigung serbischer Wirtschaftsmanager und Vorstandsmitglied bzw. Aufsichtsrat bei Erste Bank Serbien und der Wiener Städtischen Versicherung in Belgrad, verwies auf die Budgetkonsolidierung Serbiens seit 2014. Die Befürchtungen, der konsequente Sparkurs der Regierung werde das Wachstum bremsen, habe sich nicht bewahrheitet, so Vlahovic. Im Gegenteil: Konsum und Industrieproduktion hätten angezogen, Serbien sei wirtschaftlich auf einem sehr guten Weg, das Außenhandelsdefizit sei von 17 und rund 10 Prozent des BIP gesunken.
Funktionierender Rechtsstaat gefordert
Für Ex-Bundeskanzler Alfred Gusenbauer ist die Integration des Westbalkan die dritte große europäische Herausforderung, nach dem Friedensprojekt EU und dem Fall des Eisernen Vorhangs. Gusenbauer: „Die EU muss sich dieser Herausforderung stellen.“
Serbien sei mit einem Durchschnittseinkommen von 400 Euro im Monat mit gut ausgebildeten Arbeitskräften ein guter Platz für Investitionen. Gusenbauer nannte drei Bereiche, die für Serbien vielversprechend seien: “Erstens die Bildung eines Autoclusters nach dem slowakischen Vorbild, zweitens die Agrarindustrie und drittens, auf Grund der geographischen Lage Serbiens, Logistik und Infrastruktur für den Bahn- und Autogüterverkehr.“
Allerdings, so Gusenbauer, müsse sichergestellt sein, dass Serbien ein funktionierender Rechtsstaat sei; und das Verhältnis zum Nachbarn Kroatien müsse geklärt sein.
„Hauptstadt des Balkans“
Der stellvertretende Präsident der WKO, Christoph Matznetter, sieht in Serbien „den Tigerstaat“ Südosteuropas. Der Unternehmer Hanno Soravia berichtete indes über seine Erfahrungen als langjähriger Investor in den Staaten des Westbalkans. Für Soravia hat Belgrad das Potential „die Hauptstadt des Balkans“ zu werden.
Brexit und die Folgen
Im zweiten Teil der Konferenz lag der Fokus auf der Frage nach den politischen Herausforderungen und Chancen des serbischen Wegs in die EU, gerade auch im Hinblick auf die aktuelle Krise Europas nach dem Brexit. Für Othmar Karas, Mitglied des Europäischen Parlaments, ist die Europäische Union die einzig sinnvolle Stimme Europas in einer globalisierten Welt. Aber dieses Haus sei noch nicht fertig gebaut, wegen persönlicher und nationaler Befindlichkeiten dürfe kein Stein dieses Gebäudes herausgerissen werden. Ein wichtiger Teil dieses europäischen Gebäudes ist der Westbalkan und Serbien, daher bleibe die Erweiterung ein integraler Bestandteil und habe Priorität für die zukünftige Ausgestaltung der Europäischen Union.
Dieser Mehrwert, gemeinsam die Interessen Europas und seiner Regionen zu vertreten, sei der Hauptgewinn des Vereinigungsprozesses der letzten 60 Jahre. Dies müsse nach innen und außen kommuniziert werden, man dürfe die Regie nicht den Populisten überlassen. Serbien habe bereits viele Fortschritte und Reformen auf dem Weg in die EU gemacht, rechtlich, wirtschaftlich und auch in den Beziehungen mit seinen direkten Nachbarn.
Auch bei der letztjährigen Flüchtlingskrise habe das Land bewiesen, wie eng es bereits mit der EU kooperiere. Der EU-Abgeordnete unterstrich zudem die Brückenfunktion Serbiens für die zukünftigen Beziehungen zwischen Westeuropa und Russland. „Wir dürfen nicht locker lassen beim Erreichen des Ziels, Serbien im Haus der EU willkommen zu heißen“, so Karas.
„Herausragende Rolle Serbiens“
Der frühere Minister für Europaangelegenheiten und internationale Beziehungen Baden-Württembergs und SPD-Parteichef Peter Friedrich machte deutlich, dass geopolitische und werteorientierte Interessen nun auch wieder Teil der EU-Politik sein würden. In dieser Hinsicht spiele Serbien eine herausragende Rolle, da mitten durch Serbien die Grenze neuer Gegensätze innerhalb Europas verlaufe: ein liberales Verständnis der europäischen Idee versus neuer nationalistischer und autokratischer Tendenzen.
Dies sei für Belgrad Herausforderung und Chance zugleich. Die Hauptaufgabe der verantwortlichen Akteure des Beitritts in Brüssel und Belgrad liege auch darin, diese Werte erfolgreich in die Mitte der serbischen Gesellschaft zu tragen. Zudem unterstrich Friedrich, dass die zivilgesellschaftlichen Reformen in Serbien noch ausbaufähig seien, besonders in Fragen der Meinungs- und Pressefreiheit, Parteienvielfalt und Unabhängigkeit der Justiz. Ebenso müsse auch in der orthodoxen Kirche Serbiens der Geist eines liberalen Europas erkennbarer werden.
Wichtige Kosovo- Frage
Dusan Reljic, Leiter des Brüsseler Büros der „Stiftung Wissenschaft und Politik“ aus Berlin, unterstreicht die Relevanz von Rechtsstaatlichkeit und Meinungsfreiheit als wichtigstes Element in den Beitrittsverhandlungen Serbiens mit der EU. Die Befriedung der Kosovo- Frage müsse gerade in der serbischen Bevölkerung auch ankommen und legitimiert werden in der öffentlichen Meinung.
Zudem müsse man eine bereits länger anhaltende Vertrauenskrise zwischen den Regierungen des West-Balkans zu ihren Wählern konstatieren. Für Reljic sollte jedoch auch Brüssel notwendige interne Initiativreformen beim Beitrittsprozess flexibler umsetzen. Als konkretes Beispiel nennt der deutsche Politikberater die EU-Strukturfonds, welche nicht erst nach dem Beitritt, sondern bereits jetzt angewendet werden sollten, da diese eine Investition für die EU, nicht bloß für Serbien seien; zudem könne so die Schuldenschere rascher geschlossen werden. „Die Union sollte in ihrer Erweiterungspolitik neue Wege gehen und die Kanzleiphilosophie von LGP übernehmen „to think out of the box!“, so Reljic.
Lansky: „Globaler Wettbewerb“
Gabriel Lansky, Managing Partner bei LGP und Gastgeber der Konferenz, fasst in seinem Schluss-Statement die Diskussionen in Thesen zum Wertedenken der EU zusammen. Für ihn befinde sich die EU in einem globalen Wettbewerb um Länder und Märkte, allerdings habe sie diese Führungsrolle aufgegeben; somit sei die Präpotenz Brüssels im Widerspruch zur Realität. Dieser Gegensatz setze sich auch fort in vielen inadäquaten Strukturen der Brüsseler Politik, sei es in Fragen der Investitionen, der Flüchtlingskrise. Mit diesen werden wesentliche Elemente der europäischen Identität in Frage gestellt.
Kampf gegen Demagogen
Eine solche Politik wirke sich auch auf das Bild aus, das Brüssel bei den Beitrittskandidaten habe. Daher sollte die EU mehr als vorsichtig sein beim bloßen Proklamieren ihrer Werte, denn sie stehe im globalen Wettbewerb mit anderen Märkten und Systemen. Die Nationalisten und Populisten Europas bildeten einen Teil dieser „Ideen“: „Sie betreten die Bühne mit diesen Waffen! Unser Kampf gegen diese Demagogen muss darin bestehen, endlich wieder glaubwürdig zu werden für die Idee Europas“, so Lansky.
Für ihn brauche die EU Serbien für diese europäische Vision genauso wie umgekehrt Serbien die EU, daher müssten die Beitrittsverhandlungen auf gleicher Augenhöhe geführt werden, ohne jegliche Präpotenz Brüssels, beide Seiten müssten erkennen, dass der Weg das Ziel sei. Es wäre ein großer Fehler, wenn die Union schon jetzt Forderungen aufstellen würde bei den Verhandlungen mit Brüssel, sie dürfe sich nicht als „Diktator“ generieren. Dies gelte auch für die noch offene „Kosovo-Frage“, welche von den Beitrittsverhandlungen losgelöst werden müsse. „ Ich bin überzeugt, dass der Weg Serbiens in die EU ein erfolgreicher sein wird“, meinte Lansky.