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Business, Recht

Brexit wird den Anwälten noch viel Arbeit machen

Retter, Schmidt, Siegl, Bielesz ©Wolf Theiss / Unger
Retter, Schmidt, Siegl, Bielesz ©Wolf Theiss / Unger

Wien. Der Brexit – wahrscheinlich 2019 – hat Auswirkungen auf Verträge, Exporteure, IT-Branche, Finanzdienstleister u.v.m, so Experten von Wolf Theiss. Verlässt Großbritannien die EU, ohne z.B. als EWR-Mitglied Teile des EU-Rechtsbestands beizubehalten, dann müssen die Juristen auf der Insel ganze Gesetze neu schreiben – und ihre Kollegen diesseits des Ärmelkanals sich darauf einstellen.

Über 150 Teilnehmer – Rechtsprofis, Unternehmenspraktiker u.a. – informierten sich am Dienstag beim Wolf Theiss „Brexit-Stresstest“ über mögliche rechtliche Konsequenzen des künftigen Austrittes der zweitgrößten europäischen Wirtschaftsnation aus der EU.

Es bleibt kein Stein auf dem anderen, so die Experten Kurt Retter (Partner, Head of Regulatory), Niklas Schmidt (Partner, Head of Tax), Christine Siegl (Consultant, Banking & Finance) und Holger Bielesz (Partner, Vertragsrecht & Disputes).

Von EWR bis TTIP

Die Fragen beginnen schon bei dem Status, den Großbritannien künftig gegenüber der EU haben wird: Regelt man die Beziehungen mit bilateralen Verträgen (wie die Schweiz), geht man zurück auf Vor-EU-Zeiten (EWR/EFTA-Mitgliedschaft) oder begnügt man sich gar mit internationalen Handelsabkommen (WTO/TTIP etc.)?

Zu den Optionen für den zukünftigen Status zählen:

  • Mitgliedschaft in EFTA / EWR (Island, Liechtenstein und Norwegen)
  • Bilaterale Verträge (Schweiz)
  • Zollunion (Türkei)
  • Freihandelsabkommen (Südkorea)
  • nur WTO-Recht bzw. TTIP/CETA (USA, Kanada)

Sobald die britische Regierung die Austrittsmeldung nach Brüssel schickt, beginnt die Uhr zu ticken: Nach zwei Jahren, so schreiben es die EU-Verträge vor, ist der Austritt automatisch vollzogen. EU-Recht gilt dann einfach nicht mehr, bringen es die Wolf Theiss-Experten auf den Punkt.

Angestrebt wird freilich eine vertragliche Regelung der künftigen Beziehungen, doch wie die aussieht, steht noch in den Sternen. Klar ist: Die Auswirkungen können erheblich sein.

Unsicherheit betreffend Marktzugang

  • Die Niederlassungsfreiheit für Unternehmen und Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der EU gilt im Verhältnis zum Vereinigten Königreich künftig nicht mehr. Somit ist die freie Gründung von Niederlassungen im Vereinigten Königreich für EU-Unternehmen und vice versa ab Wirksamwerden des Brexit nicht mehr möglich.
  • Mit dem Wegfall des freien Warenverkehrs können künftig Produkte aus dem Vereinigten Königreich im EU-Binnenmarkt nicht mehr frei zirkulieren. CE-Kennzeichnungen für Produkte aus dem Vereinigten Königreich sind dann voraussichtlich nicht mehr gültig.
  • Auch die Möglichkeit des freien Dienstleistungsverkehrs über die Grenze wird im Verhältnis zum Vereinigten Königreich künftig nicht mehr bestehen, Qualifikationsnachweise nicht mehr wechselseitig anerkannt werden.
  • Weitere einschneidende Änderungen betreffen den Datenschutz, da das Vereinigte Königreich für Datenexporte künftig – wie die USA – als „unsicheres Drittland“ gelten wird.

„Importeure von Waren aus UK treffen ab Wirksamwerden des Brexit eine Reihe von Verpflichtungen, da UK nunmehr als Drittland gilt“ macht Kurt Retter, Partner und Leiter der Praxisgruppe Regulatory & Procurement bei Wolf Theiss, auf die neuen Rahmenbedingungen für Importeure aufmerksam.

Privatrechtliche Verträge: Einzelfallbetrachtung erforderlich

Wie Holger Bielesz, Partner, Praxisgruppe Dispute Resolution, berichtet, sind österreichische Unternehmen betreffend künftiger Lieferungen nach UK teilweise verunsichert: „Nach einem Brexit könnten Waren oder Dienstleistungen heimischer Unternehmen Einfuhr- oder anderen Beschränkungen unterliegen, die den bisherigen Vertrag wirtschaftlich uninteressant machen. Viele fragen sich: welche Rechte habe ich dann?“, so Bielesz.

Denkbare zivilrechtliche Folgen sind Rücktritts- oder Kündigungsrechte aus wichtigem Grund bzw. wegen Wegfall der Geschäftsgrundlage, erklärt der Vertragsrechtsexperte. Bei bestehenden Verträgen würde derzeit im Regelfall nur die Möglichkeit der einvernehmlichen Anpassung bestehen. Für künftige Verträge insbesondere mit langen Laufzeiten sollten schon heute ausdrückliche Regelungen integriert werden.

Steuerrechtliche Folgen des Brexit

Dass Brexit auch Folgen auf das Steuerrecht hat, sei evident: „Einerseits gewinnt das Vereinigte Königreich durch den Brexit die Autonomie im Bereich der Besteuerung teilweise wieder zurück, andererseits gehen für Steuerpflichtige – sowohl in der EU als auch im Vereinigten Königreich – viele  steuerliche Vorteile des Binnenmarkts verloren“, erläutert Niklas Schmidt, Partner, Leiter Praxisgruppe Steuern. „Was sich im Detail ändern wird, ist derzeit schwer zu prognostizieren, da dies v.a. von der Neugestaltung der Beziehungen zwischen der EU und UK abhängt“.

Konkrete Änderungen stehen demnach u.a. in folgenden Bereichen bevor:

  • Zölle: Die EU ist eine Zollunion und hat gegenüber Drittstaaten Zolltarife einheitliche eingeführt. Der Brexit führt mangels einer anderen Einigung zu einem Ausschluss UKs aus der Zollunion. Das Vereinigte Königreich ist dann nicht mehr an den Gemeinsamen Zolltarif gebunden und kann eine eigene Zollpolitik gegenüber der EU und anderen Staaten verfolgen. Exporte aus der EU in das Vereinigte Königreich und Importe aus dem Vereinigten Königreich in die EU werden tendenziell teurer. Damit ist eine dämpfende Wirkung auf den Außenhandel zu erwarten.
  • Umsatzsteuer: Die Umsatzsteuer ist in der EU durch die Mehrwertsteuersystem-Richtlinie harmonisiert. Künftig ist UK daran nicht mehr gebunden und kann abweichende Regelungen treffen wie z.B. eine Anpassung der Steuersätze ohne Bindung an Mindestsätze und/oder die Rechtsprechung des EuGH ignorieren. Die beiden Systeme werden sich somit wahrscheinlich auseinander entwickeln. Das Vereinigte Königreich gilt nach dem Austritt aus der EU als Drittlandsgebiet.
  • Körperschaftsteuer: Durch den Wegfall der nur punktuell eingreifenden Mutter/Tochter-Richtlinie, Zins- und Lizenzrichtlinie und Fusionsbesteuerungsrichtlinie werden grenzüberschreitende Zahlungen von Dividenden, Zinsen und Lizenzgebühren sowie grenzüberschreitende Umstrukturierungen steuerlich schlechter gestellt. Teilweise besteht Schutz durch das Doppelbesteuerungsabkommen.

Finanzdienstleistungssektor nach Brexit

Speziell für den europäischen Finanzmarkt könnte der Brexit einige wesentliche nachteilige Folgen nach sich ziehen, wie Christine Siegl, Consultant, Praxigruppe Banking & Finance, erläutert.

So ermöglicht die Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit innerhalb der EU insbesondere auch die grenzüberschreitende Erbringung von Finanzdienstleistungen („European Passporting“). Demnach ist grundsätzlich jedes Institut berechtigt, aufgrund der im Heimatmitgliedstaat erteilten Erlaubnis innerhalb des EWR konzessionspflichtige Tätigkeiten auszuüben („single license principle“). Ebenso besteht auch die Möglichkeit, Prospektbilligungen zu „passporten“:

Sollte UK nicht (mehr) dem EWR angehören, wäre es als Drittland zu behandeln und würden die Regelungen für die gegenseitige Anerkennung nicht mehr Anwendung finden.

Darüber hinaus werden auch mögliche Auswirkungen ua auf ISDA Master Agreements, LMA Standards und LCH-Clearing diskutiert und evaluiert.

Link: Wolf Theiss

 

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