Wien. Herr M., ein Beamter der Stadt Wien, wurde auf seinen eigenen Antrag mit Wirkung zum 1. Juli 2012 in den Ruhestand versetzt. Davor war er eineinhalb Jahre lang nicht zum Dienst erschienen. Trotz Selbstkündigung wollte er – entgegen der Wiener Besoldungsordnung – seinen Resturlaub ausbezahlt erhalten. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) gab ihm prinzipiell Recht, doch fix ist die Auszahlung trotzdem nicht.
In der Zeit vom 15. November 2010 bis zum 30. Juni 2012 war Herr M. nicht zum Dienst erschienen:
- Vom 15. November bis zum 31. Dezember 2010 befand er sich in Krankheitsurlaub.
- Ab dem 1. Januar 2011 war er aufgrund einer Vereinbarung mit seinem Arbeitgeber verpflichtet, nicht zum Dienst zu erscheinen, wobei ihm sein Entgelt fortgezahlt wurde.
Nach seinem Eintritt in den Ruhestand verlangte M. von seinem Arbeitgeber (konkret dem Magistrat der Stadt Wien – Bereich Wiener Stadtwerke), ihm eine finanzielle Vergütung für nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub zu zahlen; er sei nämlich kurz vor dem Eintritt in den Ruhestand erneut erkrankt.
Sein Arbeitgeber wies diese Forderung mit der Begründung zurück, nach der Besoldungsordnung der Stadt Wien habe ein Arbeitnehmer, der von sich aus das Arbeitsverhältnis beende – u. a. indem er die Versetzung in den Ruhestand beantrage –, keinen Anspruch auf eine solche Vergütung.
Das Verwaltungsgericht Wien, bei dem M. deshalb Klage erhoben hat, wollte vom Europäischen Gerichtshof wissen, ob eine solche Regelung mit dem Unionsrecht und insbesondere mit der Richtlinie 2003/88 1 vereinbar ist.
Die Entscheidung des Europagerichts
In seinem jetzt ergangenen Urteil weist der Gerichtshof darauf hin,
- dass nach dieser Richtlinie jeder Arbeitnehmer Anspruch auf einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen hat und
- dass dieser Anspruch einen besonders bedeutsamen Grundsatz des Sozialrechts der Union darstellt. Er wird jedem Arbeitnehmer unabhängig von seinem Gesundheitszustand gewährt.
Wenn das Arbeitsverhältnis beendet wurde und es deshalb nicht mehr möglich ist, bezahlten Jahresurlaub tatsächlich zu nehmen, hat der Arbeitnehmer nach der Richtlinie Anspruch auf eine finanzielle Vergütung, um zu verhindern, dass ihm wegen dieser fehlenden Möglichkeit jeder Genuss des Urlaubsanspruchs, selbst in finanzieller Form, vorenthalten wird. Der Gerichtshof führt hierzu aus, dass der Grund für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses keine Rolle spielt.
Der EuGH schließt daraus, dass die Richtlinie nationalen Rechtsvorschriften wie der Besoldungsordnung der Stadt Wien entgegensteht. Der Gerichtshof weist ferner auf seine Rechtsprechung hin, wonach ein Arbeitnehmer beim Eintritt in den Ruhestand Anspruch auf eine finanzielle Vergütung hat, wenn er seinen bezahlten Jahresurlaub wegen einer Krankheit nicht verbrauchen konnte.
Wozu das Ganze dient
Der Gerichtshof fügt hinzu, dass mit dem Anspruch auf Jahresurlaub ein doppelter Zweck verfolgt wird, der darin besteht, es dem Arbeitnehmer zu ermöglichen, sich von der Ausübung der ihm nach seinem Arbeitsvertrag obliegenden Aufgaben zu erholen und über einen Zeitraum der Entspannung und Freizeit zu verfügen.
Der EuGH stellt daher folgenden Grundsatz auf: Ein Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis beendet wurde und der nach einer mit seinem Arbeitgeber getroffenen Vereinbarung während eines bestimmten Zeitraums vor seiner Versetzung in den Ruhestand weiterhin sein Entgelt bezog, aber verpflichtet war, nicht an seinem Arbeitsplatz zu erscheinen, hat keinen Anspruch auf eine finanzielle Vergütung für den während dieses Zeitraums nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub, es sei denn, dass er den Urlaub wegen Krankheit nicht nehmen konnte.
Das vorlegende Gericht wird daher zu prüfen haben, ob dies bei Herrn M. in der Zeit vom 1. Januar 2011 bis zum 30. Juni 2012 der Fall war. Wenn ja, hat er keinen Anspruch auf eine finanzielle Vergütung für den bezahlten Jahresurlaub, den er in dieser Zeit nicht verbrauchen konnte, es sei denn, dass er den Urlaub wegen Krankheit nicht nehmen konnte, so der EuGH.
Link: EuGH