Wien. Im März 2016 startete der Verein für Konsumenteninformation (VKI) eine Sammelaktion zu Lebensversicherungen. Konsumenten, die sich an der Aktion beteiligen, können dabei überprüfen lassen, ob ein Rücktritt von ihrem Vertrag möglich und wirtschaftlich sinnvoll wäre. Jetzt – ein halbes Jahr später – zieht der VKI Zwischenbilanz: Rund 1.300 Versicherte nahmen das Angebot der Aktion bis dato in Anspruch. In zwei Drittel der Fälle ergab die Prüfung, dass die Betroffenen fehlerhaft über ihr Rücktrittsrecht belehrt worden waren, so der VKI.
In diesen Fällen wäre damit auch ein nachträglicher Vertragsrücktritt möglich, heißt es weiter.
Die Zahl der Betroffenen, die von einem Rücktritt profitieren könnten, liege allerdings noch deutlich höher, denn Lebensversicherungen sind in Österreich ein beliebtes Finanzprodukt.
Online-Rechner des VKI
Um Versicherten eine erste Orientierung zu ermöglichen, biete der VKI daher ab sofort ein kostenloses Online-Tool an, mit dem im Einzelfall sofort errechnet werden könne, ob ein Rücktritt von der Lebensversicherung lohnenswert wäre. Auch eine Anmeldung zur VKI-Sammelaktion ist weiterhin möglich.
Geschätzt wird, dass bis zu 50 Prozent der Lebensversicherungen in Österreich vorzeitig gekündigt werden, weil sich die Versicherten das Produkt nicht mehr leisten können, weil sie das angesparte Kapital anderweitig brauchen oder die Lebensversicherung gegen ein vermeintlich besseres Produkt eintauschen wollen. Viele Anleger beklagen aber auch, dass der Ertrag nicht den seinerzeitigen Zusagen entspricht. Sie überlegen daher, die Versicherung rückzukaufen oder allenfalls stillzulegen.
Doch das vorzeitige Abstoßen einer Lebensversicherung komme teuer, so der VKI: Aufgrund der hohen Kostenbelastung, vor allem zu Beginn des Vertrages, komme es dazu, dass nach den ersten fünf bis zehn Jahren oft gerade einmal die Abschlusskosten (Vermittlerprovisionen, Gebühren) gedeckt sind. Der Rückkaufswert liege daher meist deutlich unter dem Wert des einbezahlten Kapitals – nennenswerte Vermögenszuwächse bleiben überhaupt aus.
Mangelhafte Belehrung ermöglicht Rücktritt
Ein Lösungsansatz für Verbraucher liege im nachträglichen Rücktritt von der Polizze. Denn nach einer Entscheidung des Obersten Gerichtshofes (OGH) steht Versicherten ein unbefristetes Rücktrittsrecht zu, wenn sie bei Vertragsabschluss nicht oder falsch über ihre Rücktrittsrechte belehrt wurden.
„Laut OGH-Entscheidung ist eine fehlerhafte Rücktrittsbelehrung so zu behandeln, als hätte gar keine Belehrung stattgefunden“, erklärt VKI-Juristin Ulrike Wolf. „Aus unserer Sicht bedeutet das, dass Kundinnen und Kunden bei einer Rückabwicklung alle Beiträge inklusive Abschluss- und Verwaltungskosten sowie Zinsen von den Versicherungsunternehmen zurückerhalten müssen.“
Fondsgebundene als Spitzenreiter
Die Mehrheit der 1.300 Einzelfälle, die der VKI bisher überprüfte, betrifft Inhaber von fondsgebundenen Lebensversicherungen. In zwei Drittel der geprüften Fälle wurden dabei Mängel in der Belehrung festgestellt. „Wenn eine fondsgebundene Lebensversicherung stark an Wert verloren hat, können sich die Verluste bei einem Rücktritt massiv reduzieren. Gerade hier macht ein Vertragsrücktritt oft wirtschaftlich Sinn“, so Wolf.
Lebensversicherte, die denken, dass auch sie von Belehrungsfehlern betroffen sein könnten, haben derzeit nach wie vor die Möglichkeit, sich (gegen einen Unkostenbeitrag von 95 Euro) der VKI-Sammelaktion anzuschließen. Die Aktion richte sich dabei an alle, die nach dem 1.1.1994 eine Lebensversicherung abgeschlossen haben und deren Wohnsitz zu diesem Zeitpunkt in Österreich lag. Das betreffe auch bereits gekündigte und abgelaufene Verträge.
Nach der Prüfung der Polizzen werde der VKI bei den betroffenen Versicherungsunternehmen intervenieren. Lässt sich auf diesem Weg keine Einigung erzielen, seien mit Unterstützung eines Prozessfinanzierers auch Sammelklagen möglich. Versicherte, die sich erst einmal selbst einen Überblick verschaffen möchten, können ab sofort unter www.verbraucherrecht.at/schnellrechner ein kostenloses Service-Tool nutzen.
Der Schnellrechner wurde gemeinsam mit dem deutschen Wirtschaftsmathematiker und Aktuar Dr. Philipp Schade entwickelt, der selbst lange in der Branche tätig war, so der VKI.
Die Stellungnahme der Versicherer
Der österreichische Versicherungsverband VVO spricht sich freilich in einigen Punkten entschieden gegen die Darstellung des VKI aus, wie es in einer Aussendung heißt: Betrachte man die rund 600 vom VKI beanstandeten Verträge und stellt diese in Relation zur Gesamtanzahl der bestehenden Lebensversicherungsverträge von rund 10 Millionen Verträgen, so könne man wohl zurecht von Einzelfällen sprechen.
Der VVO spreche sich jedenfalls gegen unüberlegte und voreilige Vertragsrücktritte in der Lebensversicherung aus und rate zu überlegtem Handeln aus folgenden Gründen: In Zeiten von historisch extrem niedrigen Zinsen und steigender Lebenserwartung wäre ein Rücktritt mit großen Nachteilen verbunden wie zum Beispiel dem Verlust eines attraktiven Garantiezinses. Garantieversprechen seien gerade im derzeitigen Umfeld für den Kunden sehr wertvoll.
Eine Lebensversicherung biete noch viele weitere Vorteile gegenüber anderen Vorsorgeprodukten. So beinhalte eine Lebensversicherung nicht nur die (oftmals alleinig zitierte) Sparkomponente, sondern dien vor allem auch der Vorsorge bei Schicksalsschlägen (Absicherung der Hinterbliebenen, Pflegevorsorge, Absicherung bei Berufsunfähigkeit).
Gerade für junge Familien könne die Absicherung des Ablebensrisikos existenzsichernd sein. Diese Absicherung geht im Falle eines Rücktritts vom Lebensversicherungsvertrag verloren. Ein erneuter Versicherungsabschluss zur Abdeckung dieser Risiken kostet in der Regel mehr.
Eine allgemeine Aufforderung zu Rücktritten von Lebensversicherungen erachtet der VVO als bedenklich. Schließlich wurden die Lebensversicherungsverträge vornehmlich mit dem Motiv der langfristigen Absicherung der Altersvorsorge abgeschlossen und diese Motive seien auch in Zukunft wichtiger denn je.
Im Falle eines Rücktritts während der Vertragslaufzeit sei im Versicherungsvertragsgesetz ganz klar geregelt, dass der „sogenannte“ Rückkaufswert seitens der Versicherungsunternehmen an die Kunden zu erstatten ist und der Vertrag nicht rückabgewickelt wird. Man empfehle Kunden, gemeinsam mit dem Versicherungsunternehmen gut zu prüfen und nicht voreilig zu handeln. Die Informations- und Beschwerdestelle des VVO biete kostenlose Beratung an.
Link: VKI
Link: VVO