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Business, Recht

CETA wenig bedeutsam, TTIP wenig wahrscheinlich

Parlament ©ejn
Parlament ©ejn

Wien. Bei CETA und TTIP scheiden sich die Geister. Das wurde in Österreich bei der Parlamentarischen Enquete über die beiden Freihandelsabkommen der EU mit Kanada und den USA deutlich. Dabei gibt es einen wichtigen Unterschied.

„Sind unsere Standards durch CETA und TTIP gefährdet?“ lautete die zentrale Fragezu den geplanten Freihandelsabkommen der EU mit Kanada und den USA, CETA und TTIP. Im Mittelpunkt standen dabei die Themen Lebensmittelsicherheit, Landwirtschaft, Konsumenten-, Umwelt- und Arbeitnehmerschutz, berichtet die Parlamentskorrespondenz.

Während Kritiker negative Auswirkungen der Abkommen auf das hohe Niveau bei den österreichischen Standards befürchten, wurden von den Befürwortern die Vorteile von CETA verdeutlicht.

Bundeskanzler Christian Kern spricht sich dafür aus, das zwischen der EU und Kanada ausverhandelte Freihandelsabkommen CETA in einzelnen Punkten nachzubessern. CETA sei das beste Handelsabkommen, das die EU jemals abgeschlossen habe, einige Grundsatzprobleme sind seiner Einschätzung nach aber offen geblieben. Kern fürchtet insbesondere eine Machtverschiebung von der Politik in Richtung internationaler Konzerne sowie einen steigenden Druck zur Privatisierung und Deregulierung kommunaler Dienstleistungen und anderer Bereiche der so genannten Daseinsvorsorge.

Vizekanzler und Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner hält allerdings nicht viel davon, das Abkommen noch einmal aufzuschnüren. Es gehe nicht nur um Vorteile für Unternehmen und die Landwirtschaft, sondern auch um die Sicherung von Arbeitsplätzen, bekräftigte er. Für CETA warben auch die zuständige EU-Kommissarin Cecilia Malmström und der kanadische Botschafter Mark E. Bailey: Beide versicherten, dass das Abkommen die hohen europäischen und kanadischen Standards im Bereich der Lebensmittelsicherheit, des Umweltschutzes und der Arbeitnehmerrechte nicht gefährdet und auch keine Hintertür für US-Konzerne ist. Was die TTIP-Verhandlungen betrifft, spricht sich Mitterlehner hingegen für einen Neustart aus, hier sei etliches schiefgelaufen.

Was lässt sich vorläufig anwenden?

Die von der EU-Kommission angestrebte vorläufige Anwendung von CETA gleich nach der Unterzeichnung des Abkommens ist nach Ansicht von Rechtsexperten nur in Teilbereichen möglich. Da es sich um ein so genanntes gemischtes Abkommen handelt, also sowohl Zuständigkeiten der EU als auch Zuständigkeiten der EU-Mitgliedsstaaten umfasst, muss es auch vom österreichischen Parlament ratifiziert werden.

Im Rahmen der ganztägigen, zum Teil sehr emotional geführten Debatte wurde eine ganze Palette unterschiedlicher Fragen angesprochen, angefangen vom Vorsorgeprinzip über ökonomische Effekte von Freihandelsabkommen bis hin zu Auswirkungen von CETA und TTIP auf die Landwirtschaft und den Konsumentenschutz.

In einem Eingangsstatement wies Umweltminister Andrä Rupprechter auf die grundsätzliche Bedeutung von freiem und gerechtem Handel und damit auf die Bedeutung der Freihandelsabkommen als EU-Grundprinzip hin. Märkte außerhalb der EU seien für die österreichischen Agrar- und Lebensmittelexporte in den letzten Jahren stark wachsend. Diese steigende Nachfrage nach Qualitätsprodukten in Drittstaaten haben eine hohe wirtschaftliche Bedeutung, ohne Freihandelsabkommen würden andere diese Märkte diktieren, verdeutlichte Rupprechter eine Befürchtung.

TTIP betreffend sei die derzeitige Position der USA bei den Verhandlungen allerdings nicht akzeptabel, vor allem, was die Einhaltung der Standards betrifft. Man sei bei diesem Abkommen weit von den mit dem Nationalrat abgestimmten Ergebnissen entfernt. Er würde im Zweifelsfall TTIP ablehnen, denn er sehe derzeit keine Bewegung oder Möglichkeiten zur Veränderung in den Verhandlungen und damit für einen Abschluss des Abkommens.

EU-Kommission verteidigt das Abkommen

Die stellvertretende Generaldirektorin der Europäischen Kommission Sabine Weyand (Generaldirektion Handel) wies darauf hin, wie heftig und emotional die Debatte in Europa zu den Freihandelsabkommen geführt werde. Sie teilt die Bedenken nicht, dass alle Standards unterminiert würden, sondern zeigte die Wichtigkeit der Freihandelsabkommen als „Baustein in der globalen Ordnung“ auf.

Susanne Schrott von der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ) betonte die positive Außenhandelsbilanz bei Agrar- und Lebensmittelexport, dieser sei Wachstumsmotor und Jobgarant. Sie sprach sich dazu für ein klares Ja zu TTIP-Verhandlungen und für CETA in der vorliegenden Version aus. Eine befürchtete Verwässerung der Qualitätsstandards stehe ohnedies nicht zur Disposition, denn gerade die hohen österreichischen Standards seien eine große Chance in der Vermarktung, mit dem Abkommen wolle man keine Absenkung.

Es gebe bei CETA auch ganz im Gegenteil Bestimmungen, die EU-Standards festschreiben, zudem sei eine Regelung über Ausnahmen vom Warenverkehr enthalten, wonach die EU Import von Waren in bestimmten Fällen von Gefahr einschränken kann, so Schrott. CETA sei jedenfalls nicht das Einfallstor für TTIP, sondern die Benchmark. Das Abkommen sei ein gutes und ehrgeiziges Resultat, dessen vorläufige Anwendung sie befürwortete.

Dass internationale Mindeststandards bei Arbeitsnormen bisher weder in den USA noch in Kanada erfüllt werden, betonte Éva Dessewffy von der Arbeiterkammer (AK). Es gebe ihrerseits große Bedenken betreffend die sozialen, Arbeits- und Umweltstandards. In den USA bestehe zudem ein gewerkschaftsfeindliches Klima, die Beiträge zu Pensionen und Sozialversicherungen würden sinken und die Einkommensunterschiede deutlicher.

Ähnliche Bedenken gebe es bei Kanada, wo Gewerkschaftsrechte eingeschränkt, deren Zulassung erschwert und Kollektivvertragsverhandlungen beschränkt werden, heißt es.

Industrie hofft auf neue Chancen

Michael Löwy von der Industriellenvereinigung meinte, CETA und TTIP würden den Wirtschaftsstandort Österreich sowie die Wirtschaft der EU stärken. Der Abbau von Zöllen sowie das vorgesehene Produktzulassungsverfahren würden den Unternehmen viel Geld ersparen, welches sie wesentlich besser für Innovation und Arbeitsplätze investieren könnten. Auch die Öffnung des Beschaffungsmarktes biete für die heimische Wirtschaft große Chancen, warb Löwy für die Zustimmung zu CETA. Um den Wohlstand in Österreich abzusichern, sei es notwendig, alles zu tun, um die Exporte zu steigern, da der Binnenhandel dafür zu schwach sei.

In gleicher Weise setzte sich der kanadische Chefverhandler für CETA, Steve Verheul, für die Umsetzung des ausverhandelten Abkommens ein. Ihm zufolge handelt es sich dabei um ein modernes, fortschrittliches Abkommen, das viele neue Standards im Bereich Gesundheit, Umweltschutz etc. setze und das die Dienstleistungen schütze. In der EU werde kein Standard gesenkt, stellte er fest und wies auf die Bedeutung von CETA für zukünftige Abkommen hin. Würde man jetzt die Türen schließen, würde man es anderen überlassen, weltweite Handelsregeln festzulegen, mahnte er.

Investorenschutz als Inländerdiskriminierung?

Jan Kleinheisterkamp von der London School of Economics kritisierte den Investorenschutz, denn dieser führe zu einer Inländerdiskriminierung, da er inländische Unternehmen im Wettbewerb schlechter stelle. CETA etabliere ein Sonderrecht für ausländische Unternehmen auf eine Sondergerichtsbarkeit – ein Recht, das BürgerInnen nicht haben. Darüber hinaus werde mit dem Investorenschutz auch der Rechtsgedanke unterwandert, dass der Gesetzgeber oder die Verwaltung nicht daran gehindert werden dürfe, im öffentlichen Interesse zu handeln.

Er plädierte daher dafür, den internationalen Investitionsschutz lediglich subsidiär zu gestalten und dem nationalen Rechtsschutz nachzuschalten, wie dies auch beim Schutz nach der Europäischen Menschenrechtskonvention der Fall sei. Kleinheisterkamp erinnerte zudem daran, dass die USA und Australien in ihrem bilateralem Freihandelsabkommen auf einen Investorenschutz verzichtet haben.

Grün-Abgeordneter Wolfgang Pirklhuber unterstrich das im EU-Primärrecht verankerte Vorsorgeprinzip, das mit dem in CETA festgelegten wissenschaftlichen Prinzip nicht vereinbar sei. Seine Kollegin aus dem Bundesrat, Heidelinde Reiter, kritisierte, dass demokratische Institutionen entmachtet würden, sie plädierte daher für eine Verschnaufpause. Auch die Redner des ÖGB, der Arbeiterkammer und von attac bekräftigten ihre Kritik am Freihandelsabkommen CETA.

Dem gegenüber warnte ÖVP-Abgeordneter Wolfgang Gerstl davor, die Verlässlichkeit Österreichs aufs Spiel zu setzen. CETA sei sechs Jahre lang mit allen Mitgliedstaaten und zahlreichen ExperInnen verhandelt worden, führte er in Treffen. Die Schiedsgerichte seien nichts Überirdisches und auch nichts Neues, meinte er, in CETA sei das höchst entwickelte Verfahren, das es jemals in einem internationalen Verfahren gegeben hat, festgeschrieben. Sein Klubkollege Georg Strasser machte geltend, dass CETA viele Aspekte der ökosozialen Marktwirtschaft enthalte, weshalb er dafür plädierte, die guten Ansätze mit Leben zu erfüllen.

CETA wenig bedeutsam, TTIP wenig wahrscheinlich

Globalisierung fördert Wachstum und Wohlfahrt, stellte WIFO-Experte Fritz Breuss fest, allein zwischen 1990 und 2014 konnte Österreich das BIP pro Kopf um real 880 Euro pro Jahr steigern. Dass internationaler Handel auch einen wettbewerbsstimulierenden Effekt hat, beweise u.a. die Tatsache, dass Österreich durch die schrittweise Öffnung seiner Volkswirtschaft (Osteuropa 1989, EU-Mitgliedschaft 1995 plus EU-Osterweiterung) bis zuletzt profitiert habe.

Sowohl CETA als auch TTIP stehen nun für eine neue Wirtschaftspolitik der EU, die auf einen umfassenden Abbau von Handelshemmnissen abzielt, erklärte Breuss. Ähnliche Verträge habe man bereits mit Südkorea und Japan abgeschlossen bzw. verhandelt, die aber interessanterweise keinen Niederschlag in der öffentlichen Debatte gefunden hätte.

Seiner Einschätzung nach sei CETA grundsätzlich ein guter Vertrag, der (fast) alle gegenseitigen Wünsche berücksichtigt, aber aufgrund der geringen wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen Kanada und Österreich seien die ökonomischen Effekte mit der Lupe zu suchen. TTIP wiederum sei ein Abkommen zwischen den zwei größten globalen Handelsregionen und würde somit 54% des gesamten Welthandels umfassen.

Da auf EU-Seite die höheren Schranken bestehen (sowohl in Bezug auf Zölle als auch bei nicht-tarifären Hemmnissen), werde die Union durch das Abkommen weniger profitieren als die USA. Politisch umstritten seien überdies die institutionellen Rahmenbedingungen (Streitbeilegungsverfahren, regulatorische Kooperation etc.), gab Breuss zu bedenken, außerdem stehe gerade die österreichische Bevölkerung dem Vertrag negativ gegenüber (70% Ablehnung).

Möglicherweise seien die genannten Freihandelsabkommen zu ambitioniert angelegt, um auf ausreichend Akzeptanz in der Bevölkerung und in der Politik zu stoßen, urteilte er. Wenn man schon so komplexe Verträge haben will, dann hätte man auch das Wettbewerbsrecht inkludieren sollen, regte Breuss an, um einen unfairen Standortwettbewerb und somit Steuergeschenke für multinationale Konzernen vermeiden zu können.

Mitdenken müsse man auch die Auswirkungen des Brexit, da Kanada und die USA sicher weniger Interesse an einem Abschluss der Verträge haben, wenn Großbritannien nicht mehr dabei ist.

Link: Parlament (Zahlreiche weitere Statements zu TTIP/CETA)

 

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