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Recht

Die große Debatte um das Ende des Amtsgeheimnisses

Wien. Kanzleramtsminister Thomas Drozda hofft auf eine Entscheidung noch in diesem Jahr. Doch wie ein Expertenhearing im Verfassungsausschuss des Nationalrats gezeigt hat, sind noch viele Punkte offen – und die angedachte Liberaliserung könnte neue Probleme schaffen. So sorgen sich die Bundesländer um die Protokolle ihrer nichtöffentlichen Regierungssitzungen.

Geht es nach Drozda, soll die Entscheidung über die geplante Abschaffung des Amtsgeheimnisses noch heuer fallen, berichtet die Parlamentskorrespondenz: Trotz einiger offener Fragen sieht er „einen breiten Konsens in Richtung halb volles Glas“, wie er beim Expertenhearing im Verfassungsausschuss des Nationalrats sagte. Allerdings müssen vor einem Beschluss noch einige Steine aus dem Weg geräumt werden. Sowohl die Opposition als auch die Länder sehen noch erheblichen Verhandlungsbedarf.

  • Ein Entgegenkommen von Seiten der Regierungsparteien zeichnet sich bei der Frage der so genannten „Öffnungsklausel“ ab. Laut dem Leiter des Verfassungsdienstes des Bundeskanzleramts Gerhard Hesse hat sich im Zuge der Verhandlungen und des Begutachtungsverfahrens herausgestellt, dass es, abgesehen von den verfassungsrechtlich festgelegten Ausnahmetatbeständen, keiner weiteren Ausnahmeregelungen durch einfache Gesetze bedürfe.
  • Generell bringt Hesse zufolge das Informationsfreiheitsgesetz wesentliche Fortschritte gegenüber dem Status quo, eine Einschätzung, die Josef Barth vom Forum Informationsfreiheit jedoch nicht teilte.
  • Auch Grün-Abgeordneter Albert Steinhauser zeigte sich nach dem Hearing skeptisch.
  • Seitens der Länder signalisierte der oberösterreichische Landtagsdirektor Wolfgang Steiner zwar grundsätzliche Zustimmung zum Gesetzesvorhaben, er pochte aber auf Mitwirkungsrechte der Länder und betonte, dass die neuen Bestimmungen nicht einen wesentlich höheren Verwaltungsaufwand hervorrufen dürften.

Verfassungsnovelle liegt seit Dezember 2014 im Parlament

Der Regierungsentwurf zur Abschaffung des Amtsgeheimnisses liegt seit Dezember 2014 im Nationalrat. Nach Verhandlungen mit den Ländern hat der Ausschuss im November vergangenen Jahres ein Ausführungsgesetz zur vorgeschlagenen Verfassungsnovelle mit präzisierenden Bestimmungen in Begutachtung geschickt.

Parallel dazu stellte der damals zuständige Minister Josef Ostermayer weitere Verhandlungen mit der Opposition in Aussicht. Zuletzt spießte es sich etwa am Umfang der Ausnahmetatbestände sowie an den Beschwerdemöglichkeiten im Falle einer Auskunftsverweigerung. Unumstritten ist hingegen der Kernpunkt des Gesetzespakets: die Pflicht der öffentlichen Hand, Informationen von allgemeinem Interesse zu veröffentlichen und interessierten BürgerInnen grundsätzlich Auskünfte über die Verwaltungstätigkeit zu erteilen.

Informationsfreiheitsgesetz bringt grundlegenden Systemwandel

Für Gerhard Hesse, Leiter des Verfassungsdienstes des Bundeskanzleramts, bringt das Informationsfreiheitsgesetz wesentliche Fortschritte gegenüber der bestehenden Auskunftspflicht. Es gehe um einen Systemwandel, anders als bisher würde BürgerInnen auch Zugang zu Primärdokumenten gewährt. Auf Fragen von Grün-Abgeordnetem Albert Steinhauser machte Hesse allerdings klar, dass etliche Dokumente auch künftig unter Verschluss bleiben werden, wobei er etwa konkret Beraterverträge von Ministerien nannte.

Ausdrücklich wies Hesse darauf hin, dass das Gesetz nicht nur die Verwaltung und den Gesetzgeber, sondern etwa auch den Rechnungshof, die Volksanwaltschaft und – in eingeschränkter Form – auch Gerichte und gesetzliche berufliche Interessenvertretungen umfasse. Letztere müssen interessierten BürgerInnen aber nur im übertragenen Wirkungsbereich Auskünfte erteilen. Im eigenen Wirkungsbereich gelte das Auskunftsrecht nur für Angehörige der jeweiligen Interessenvertretung. Ob ein Landesverwaltungsgericht oder das Bundesverwaltungsgericht für eine Beschwerde zuständig ist, richtet sich danach, ob eine Landes- oder eine Bundesbehörde die Auskunft verweigert hat.

Beim Verhältnis Datenschutz versus Zugang zu Informationen gelte es die beiden Grundrechte gegeneinander abzuwägen, sagte Hesse. Klar ist für ihn, dass eine Behörde genau begründen muss, warum sie eine Auskunft verweigert. Eine standardisierte Antwort, etwa der Hinweis auf die öffentliche Sicherheit, reiche nicht.

Länder signalisieren Zustimmung, stellen aber Bedingungen

Seitens der Länder signalisierte der oberösterreichische Landtagsdirektor Wolfgang Steiner prinzipielle Zustimmung zur Abschaffung des Amtsgeheimnisses. Die Länder hätten kein Interesse daran, andere Regelungen als der Bund zu haben, bekräftigte er. Steiner pochte aber darauf, dass im Gegenzug gewisse Zustimmungsrechte des Bundes zu Landesgesetzen bzw. anderen Entscheidungen der Länder entfallen. Außerdem sieht er beim Informationsfreiheitsgesetz noch in einigen Punkten Verhandlungsbedarf.

Steiner erachtet es etwa als wesentlich, dass die spezifischen Interessen und Anforderungen der Länder berücksichtigt werden. Es müsse jede unnötige Regulierung vermieden werden, auch dürfe die Veröffentlichungs- und Auskunftspflicht nicht zu einem wesentlich höheren Verwaltungsaufwand der Länder führen. Ebenso gilt es Steiner zufolge Vorsorge dafür zu treffen, dass Sitzungsprotokolle aus nicht öffentlichen Sitzungen nicht veröffentlicht werden müssen. Wichtig sei auch, dass die Länder beim Gesetz nicht nur Mitwirkungsrechte haben, sondern einen echten Zustimmungsvorbehalt. Eine zusätzliche unabhängige Informationsstelle kann er sich nicht vorstellen.

Zur Frage des zweistufigen Verfahrens – zunächst ist eine allgemeine Antwort der Behörden vorgesehen, erst auf Verlangen wird ein Bescheid ausgestellt – merkte Steiner an, dieses System sei sinnvoller als ein alternativ angedachter Bescheidautomatismus. Schließlich hätten nicht alle BürgerInnen vor, bei einer Auskunftsverweigerung zu klagen. Außerdem stelle sich angesichts der vorgesehenen Gebühr von 30 € für Bescheide die Kostenfrage.

Auch der Bereichsdirektor Recht der Stadt Wien Karl Pauer wertete es als wichtig, dass die Veröffentlichungspflicht keine nichtöffentlichen bzw. vertraulichen Sitzungen umfasst, seien es Sitzungen von Landtagsgremien oder Sitzungen der Landesregierung. Er urgierte überdies eine Klarstellung, dass die Landesvolksanwaltschaften und die Landesrechnungshöfe nicht Zugang zu Dokumenten gewähren müssten, die sie von den von ihnen geprüften Stellen bekommen. Außerdem hält er eine Übergangsregelung für notwendig. Es wäre „ein unglaublicher Verwaltungsaufwand“, würden alle vorhandenen Aufzeichnungen bis hinein in die Geschichte von der Veröffentlichungspflicht umfasst. Laut Pauer sollen die Behörden darüber hinaus auch dann keine Auskunft geben müssen, wenn der Anfragesteller eine zumutbare alternative Möglichkeit der Informationsbeschaffung hat.

Die Rolle der Verwaltungsgerichte

Patrick Segalla, Präsident des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich, wertete es als richtige Entscheidung, die Verwaltungsgerichte mit dem Rechtsschutz zu betrauen. Auch dass man bei einer Auskunftsverweigerung durch staatsnahe Unternehmen den Zivilrechtsweg einschlagen muss, ist für ihn systemkonform.

Segalla versicherte, dass die Verwaltungsgerichte für einen effektiven Rechtsschutz sorgen werden. Er gehe davon aus, dass die Ausnahmen eng ausgelegt werden, da das Informationsfreiheitsgesetz die Auskunftspflicht als Regel vorsehe. Einige spezifische Fragen müssen Segalla zufolge aber noch bedacht werden, vor allem was die Frage des Zugangs der Verwaltungsgerichte zu jenen Informationen betrifft, die den BürgerInnen verweigert wurden. Schließlich werde man die Dokumente zumindest in Einzelfällen brauchen, um prüfen zu können, ob die Auskunftsverweigerung gerechtfertigt war. Zum einen müsse man Vorsorge treffen, dass die BeschwerdeführerInnen, etwa im Zuge einer Akteneinsicht, nicht zu den Informationen kommen. Zum anderen müsse man Regelungen für den Fall vorsehen, dass die Verwaltungsgerichte die Informationen von den Behörden nicht erhalten.

Uni-Expertin Madner kritisiert unüblich lange Fristen

Mit der Frage des Rechtsschutzes betroffener BürgerInnen befasste sich auch Verena Madner, Universitätsprofessorin für Öffentliches Recht an der Wirtschaftsuniversität Wien. Sie kritisierte zum einen die langen Fristen, die den Behörden für Auskünfte eingeräumt werden. Zweimal acht Wochen seien international nicht üblich, betonte sie. Was die Möglichkeit der Säumnisbeschwerde betrifft, wird ihrer Einschätzung nach viel davon abhängen, wie die Verwaltungsgerichte mit diesem Instrument umgehen bzw. „ob das ganze kafkaesk wird“.

Nicht ganz verständlich ist für Madner darüber hinaus, dass es keinen Bescheidautomatismus gibt. Schließlich werde in den Erläuterungen auf die Möglichkeit eines Eventualantrags verwiesen. Wer sich auskenne, werde also gleichzeitig mit der Anfrage auch einen Bescheid im Falle  einer Auskunftsverweigerung anfordern.

Österreich soll sich andere Länder als Vorbild nehmen

Josef Barth, Gründer des „Forum Informationsfreiheit“, bedauerte, dass Österreich nicht vorbildhafte Regelungen aus anderen Ländern übernehme. Seiner Meinung nach wird mit dem Informationsfreiheitsgesetz viel versprochen, durch zahlreiche Ausnahmetatbestände jedoch letztendlich nicht eingehalten. Er fürchtet in diesem Sinn eine willkürliche Vorgangsweise der Verwaltung. Niemand könne etwa prüfen, ob der Behörde tatsächlich ein unverhältnismäßiger Aufwand für die Beantwortung einer Anfrage entstehen würde.

Die BürgerInnen dürfen zwar alles fragen, was sie wollen, die Behörden hätten aber auch in Zukunft die Möglichkeit, nur das zu sagen, was sie sagen wollen, so die Conclusio Barths.

Viel zu lange ist für Barth auch die Wartezeit auf Auskünfte von 8 bis 16 Wochen. Er sieht außerdem ein Kostenproblem, vor allem wenn eine Stelle auf die Idee kommen sollte, für jede einzelne Frage einen eigenen Bescheid auszustellen. Es werde auch nicht kontrolliert, ob Behörden, wie vorgeschrieben, alle Informationen von allgemeinem Interesse veröffentlichen. Was nicht sein könne, sei, dass alle Informationen der Vergangenheit von der Auskunftspflicht ausgenommen bleiben, so Barth in Richtung Pauer.

Ein Beauftragter für Informationsfreiheit und Datenschutz würde nach Einschätzung von Barth nicht nur den Rechtschutz für BürgerInnen verbessern. Er könnte auch eine wichtige Anlaufstelle für Gemeinden und Behörden sein. Wenn diese sich unsicher seien, ob sie bestimmte Dokumente aus Datenschutzgründen veröffentlichen dürfen, könnten sie dort nachfragen.

Auch Fragerecht von Abgeordneten wird ausgeweitet

Mehrfach angesprochen wurden im Hearing auch die Auswirkungen der Verfassungsnovelle und des Informationsfreiheitsgesetzes auf das Interpellationsrecht der Abgeordneten. Es dürfe nicht sein, dass hier ein Ungleichgewicht entstehe und Abgeordnete über den Umweg der Auskunftspflicht leichter zu Informationen kommen als über das Fragerecht, sagte etwa Landtagsdirektor Steiner. Nach Meinung von Hesse ist diese Befürchtung allerdings unbegründet: Mit der Verfassungsnovelle würden auch die Kontrollrechte des Parlaments ausgeweitet, weil die Amtsverschwiegenheit auch gegenüber dem Nationalrat und dem Bundesrat nicht mehr gelten werde.

Detailliert ging Gerlinde Wagner vom Rechts- und Wissenschaftsdienst der Parlamentsdirektion auf diesen Problemkreis ein. Sie wies darauf hin, dass die Amtsverschwiegenheit derzeit mit zwei Ausnahmen – EU-Vorhaben und Aktenvorlagen an Untersuchungsausschüsse – auch gegenüber dem Nationalrat und dem Bundesrat wirke. Durch das Gesetzesvorhaben werde das geändert, wobei die Auskunftspflicht gegenüber BürgerInnen und das Fragerecht der Abgeordneten unterschiedlich ausformuliert bleiben. So werde das parlamentarische Kontroll- und Fragerecht in Bezug auf staatsnahe Unternehmen auch künftig auf das zuständige Regierungsmitglied beschränkt bleiben. Darauf machte auch der Verfassungsrechtler Theo Öhlinger aufmerksam. In diesem Bereich könnte ein Abgeordneter über die Auskunftspflicht also einfacher zu Informationen kommen.

Bei einer Aufhebung des Amtsgeheimnisses müssen Wagner zufolge die Bestimmungen über den Umgang des Parlaments mit vertraulichen Informationen angepasst werden. Demnach kann es in Zukunft durchaus vorkommen, dass schriftliche Anfragebeantwortungen der Regierungsmitglieder Informationen enthalten, die als vertraulich zu klassifizieren sind und demnach nicht veröffentlicht oder in öffentlicher Sitzung beraten werden dürfen.

Um das Fragerecht der Abgeordneten zu stärken, kann sich Öhlinger vorstellen, eine Art Organstreitverfahren – ähnlich wie bei Untersuchungsausschüssen – einzuführen. Schließlich hätten die ParlamentarierInnen, anders als BürgerInnen, keinen Rechtsschutz, wenn ihnen die Regierung Auskünfte verweigert.

Generell ist Öhlinger dafür, für die Organe der Gesetzgebung Sonderregelungen in Sachen Informationsfreiheit zu treffen und sie nicht mit der Verwaltung in einen Topf zu werfen. Das sei europäische Normalität, meinte er. Die meisten Informationsfreiheitsgesetze in anderen Ländern würden sich ausschließlich auf die Verwaltung beziehen. Eine Schwierigkeit könnte nach den Ausführungen Wagners auch die Abgrenzung zwischen Akten der Gesetzgebung und Akten der Parlamentsverwaltung sein. Für erstere ist eine Bescheidausstellung nicht vorgesehen und damit auch keine Beschwerdemöglichkeit.

Link: Bericht der Parlamentskorrespondenz (zahlreiche weitere Stellungnahmen)

 

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