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Business, Finanz, Recht, Veranstaltung

Langsamer Zinsanstieg als Traum der Versicherer

Wien. Wie geht es weiter mit den österreichischen Versicherern? Eine hochrangige Diskussionsgruppe hofft auf die Zinswende. 

Ein Financial Forum des Finanz-Marketing Verband Österreich (FMVÖ) in Kooperation mit dem FJF Finanzjournalistenforum widmete sich im September in der Oesterreichischen Nationalbank den Zukunftsfragen der Versicherungsbranche.

Zur Fragestellung „Adapt or die: Muss sich die österreichische Versicherungswirtschaft neu erfinden, um zu überleben?“ diskutierten:

  • Helmut Ettl (Finanzmarktaufsicht)
  • Othmar Ederer (Grawe-Vermögensverwaltung, Verband der Versicherungsunternehmen Österreichs)
  • Liane Hirner (PwC Österreich)
  • Alfred Leu (Generali Holding Vienna / Generali Versicherung)
  • Ewald Nowotny (Oesterreichische Nationalbank)

Alte Stärken, neue Herausforderungen

In seiner Begrüßung betonte FMVÖ-Vizepräsident Josef Redl, dass die österreichischen Versicherer über einen stabilen Solvabilitätsgrad verfügen würden und auch Solvency II gut verkraften. „Umbrüche in der Gesellschaft und Wirtschaft wie Digitalisierung, Roboterisierung, Künstliche Intelligenz, Big Data und Blockchain machen aber auch vor Versicherungen und deren Märkten nicht halt, auch wird sich dadurch das Konkurrenzumfeld radikal ändern.“

Mit Verweis auf ein Zitat von Hannes Androsch – „Wenn man will, dass alles gleich bleibt, muss man alles ändern“ – lasse sich daher die Fragestellung und der Aufhänger für die Veranstaltung ableiten, ob sich die Versicherungen neu erfinden müssen, um zu überleben.

Zuerst die Pflicht, dann die Kür

Als Einstieg in die Thematik gab der Vorstand der Finanzmarktaufsicht (FMA), Helmut Ettl, in einem Impulsreferat einen Überblick über die Lage und die vielfältigen Herausforderungen der Versicherungsbranche.

  • Aus Sicht von Ettl sei die Frage „Adapt or die?“ ein Kontrast zu den aktuellen Marktzahlen, die der Versicherungsbranche ein gutes Zeugnis bescheinigen. Die Einführung von Solvency II sei gut erfolgt, allerdings habe man damit erst die Pflicht erfüllt und noch nicht die Kür.
  • Handlungsbedarf orte er bei der Innovationsfähigkeit der Versicherer, wo es hinsichtlich Produktgestaltung und marktökonomischer Veränderungen Luft nach oben gäbe. Auch beobachte man die Entwicklung bei Lebensversicherungen im Niedrigzinsumfeld mit Besorgnis.
  • Es stelle sich die Frage, ob es nicht auch Wege gebe, anders zu denken, ohne das Prinzip des Versicherungsgedankens aufzugeben: „Wieso bringt man die Bedürfnisse der Jüngeren nach Wohnbau nicht mit denen der älteren Generation nach wertstabilen Zahlungsströmen im Rentenalter in Verbindung, oder investiert auch in die Ausbildung?“
  • Die Digitalisierung wird von den Versicherungen aus seiner Sicht zwar sicher nicht verschlafen, allerdings sei zu hinterfragen, ob man nicht in gewissen Bereichen die Geschwindigkeit des Veränderungszuges unterschätze. So könnten einige Unternehmen die Vorteile der Digitalisierung noch nicht ausschöpfen.
  • Beim Thema Start-ups und Fintechs sei die Branche insgesamt aufgefordert, in neuen Kategorien zu denken, Innovationen zu fördern, in Start-ups zu investieren und eine jahrzehntelange Komfortzone zu verlassen. Ebenso solle man Fintechs Raum zur Entwicklung geben, da dies eine Möglichkeit für die Branche sei, sich neu zu erfinden und volkswirtschaftlichen Nutzen zu stiften.

Spannungsfeld Regulierung

Moderator Eric Frey (Chef vom Dienst, Der Standard) eröffnete die Diskussionsrunde mit der Frage an den Präsidenten des Versicherungsverbandes Othmar Ederer, wie belastend die Versicherer die Einführung von Solvency II beurteilen würden. Ederer betonte, dass das Prinzip von Solvency II grundsätzlich zu begrüßen sei. Kritik vonseiten der Branche gäbe es jedoch am Kosten-Nutzen-Effekt: „Man hätte mit deutlich geringerem Aufwand weite Teile des gewünschten Ergebnisses auch erzielen können.“

Ein weiterer kritischer Punkt sei die Komplexität der neuen Systeme. Da diese gelebt und gesteuert werden müssten, aber schwer durchschaubar seien, sei das auf die Dauer keine gute Entwicklung. Hier ortete er Verbesserungspotenzial für die Zukunft.

Wer fürchtet sich vor der IDD?

Auf die Frage, ob die Insurance Distribution Directive (IDD) die nächste Welle an Bürokratie und Kosten bringe, antwortete Generali-Vorstandsvorsitzender Alfred Leu, dass es zwar die nächste Regulierung sei, aber man nicht bei null beginne, da man ja bereits heute über entsprechende Vertriebsprozesse verfüge.

Es kämen mit der IDD eine höhere Systematik sowie eine umfassendere Dokumentation und damit administrative Lasten auf die Branche zu. „Die IDD ist aber für Versicherungen eine große Chance, an der Reputation der Branche zu arbeiten und Qualitätssicherung bei der Beratung herbeizuführen. Daher sehen wir diesen Aspekt der IDD sehr positiv“, so Leu.

„Wir brauchen kein Gold Plating“

Auch Liane Hirner, Partnerin der PwC Österreich GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, bestätigte, dass in der Branche enorme Kraftanstrengungen in Solvency II geflossen seien und man daher ein positives Zeugnis ausstellen könne.

Zur Regulierung gäbe es allerdings Ansätze, wo den Versicherungen das Leben erleichtert werden könnte: „Gold Plating, also abweichende Regelungen durch die staatliche Regulierung, die schärfer sind als der Konsens der 28 EU-Staaten, ist nicht notwendig. Ebenso könnte man die Verzahnung mit bestehenden Gesetzen optimieren, indem bestehende Regulierungen durchforstet werden.“ Das würde mehr Rechtssicherheit und Transparenz für alle bringen.

Auf die Frage, ob ihm die Versicherungsbranche auch Sorgen hinsichtlich gesamtwirtschaftlicher Risiken mache, wenn man nicht gegensteuere, antworte Nationalbank Gouverneur Ewald Nowotny, dass Versicherer natürlich ein wichtiger Teil der Finanz- und Volkswirtschaft seien, wie die Verstaatlichung des weltgrößten Versicherers AIG im Zuge der Finanzkrise in den USA zeige. Dies sei natürlich ein Bereich, wo man auf alle Fälle achtgeben müsse, in Österreich sei man aber gut aufgestellt.

Sammelklagen als Glück der Anwälte

Was Versicherer aufgrund ihrer langfristigen Ausrichtungen allerdings benötigen würden, sei Stabilität. Massive Dynamik und Unruhen machten es schwer, langfristige Verhältnisse daran anzupassen. Rückwirkend eingeführte Regelungen – wie das unbefristete Rücktrittsrecht von Lebensversicherungen bei mangelhafter Belehrung – und willkürliche Entwicklungen seien abzulehnen.

Daher sei auch die aktuelle Gesetzesänderung der Regierung in diesem Bereich zu begrüßen: „Konsumentenschutz ist ein hohes Gut. Man muss aber schon aufpassen hier nicht in Extreme zu kommen, die erhebliche gesamtwirtschaftliche Folgen haben.“ Auch in Sachen Sammelklagen zeigte sich Nowotny skeptisch und bezeichnete diese als wunderbare Einnahmequelle für Großkanzleien.

Versicherer im Niedrigzinsumfeld

Auf die niedrigen Zinsen angesprochen, betonte Leu, dass man davon ausgehe, dass diese sehr lange sehr niedrig bleiben würden und man auch die Geschäftspolitik darauf ausrichte, daher sei die Generali gut aufgestellt. Man hoffe aber bei diesem Thema auf eine gute Hand bei den Nationalbanken: „Es ist für die gesamte Branche von enormer Bedeutung, dass hier sorgsam umgegangen wird.“

Auch Ettl betonte die Relevanz dieses Themas: „Man muss sorgfältig beobachten was bei den Lebensversicherungen passiert.“ So gebe es sowohl bei einem dramatischen Anstieg, aber auch bei langem Niedrigzinsumfeld Probleme. Falls dieses weiter anhalte, müsse in 3 bis 4 Jahren auf Reserven zurückgegriffen werden: „Ein langsamer Anstieg ist für die Versicherungen am besten.“

Laut Nowotny werde man noch länger mit niedrigeren Zinsen leben müssen, weil auch die Inflationsrate niedrig sei. Letztendlich seien zu hohe Zinsen und eine sehr hohe Inflation gefährlicher als zu niedrige.

Neue Technologien und Herausforderer

Solvency II habe laut Hirner für die Branche als Katalysator gewirkt, denn IT und Systeme seien zentrale Prozesse und sollten daher bereits für die Digitalisierung angepasst worden sein. Lediglich jene Unternehmen, die noch über unbewegliche Altsysteme verfügen, hätten Handlungsbedarf. Bei den CEOs stehe dieses Thema aber ganz oben auf der Agenda: „Man stellt sich diesem Thema und sieht es auch als Chance für künftige Entwicklungen.“

Artificial Intelligence biete zwar neue Möglichkeiten bei der Risikobewertung, stelle die Unternehmen aber vor große Herausforderungen bei der Datenanalytik und hier werde noch viel investiert werden müssen.

Laut Ederer ist es eine der Fähigkeiten der Versicherer, zu verstehen, wie man den Herausforderungen von technischen Veränderungen Rechnung tragen könne. „Dass wir Google einholen werden, wäre übertrieben. Aber wir sind nah bei den Kunden, verstehen ihre Bedürfnisse und kommunizieren mit ihnen auf jene Weise, die sie bevorzugen. Wir sind bereits in der Lage verschiedene Formen der Kommunikation ohne Brüche zu verarbeiten.“

Auch bei der Generali sei man auf einem guten Weg, eine gewaltige Bewegung sei im Gange. Man wolle weg vom Papier und wickle bereits 93 Prozent des Neugeschäfts papierlos ab. Zum Thema Datenschutz und Big Data betonte er, dass Datenschutz klare Rahmenbedingungen und Rechtssicherheit böte. Anliegen der Versicherer sei es, eine langfristige vertrauensvolle Beziehung mit dem Kunden herzustellen.

Mehr Daten würden aber nicht unbedingt zu besseren Entscheidungen führen: „Man muss auch die Verhältnisse im Auge behalten. Ziel muss immer sein, den Service beim Kunden zu verbessern.“ Die Publikumsfrage, ob bessere Mittel der Datenanalyse die Übernahme gewisser Risiken künftig verhindern könnte, verneinte Leu: „Es gibt keine unerwünschten Risiken, nur falsch bepreiste.“ Man könne heute viel feiner tarifieren und daher glaube er nicht, dass gewisse Risiken keine Deckung mehr finden.

Auftritt der Herausforderer

Zur Thematik der neuen Herausforderer für die Versicherungsbranche sagte Ettl, dass die EU noch über keinen gemeinsamen Versicherungsmarkt verfüge. Die neuen Regularien wie IDD würden aber zu einer Standardisierung der Produkte führen und die Digitalisierung die Vertriebswege verändern.

Beides würde die Situation für Neueinsteiger begünstigen, wodurch ein Konkurrent aus einem günstigeren Branchenumfeld als Österreich den Markt relativ leicht in den österreichischen Markt eindringen könne. „Hier könnten schon einige Themen auf uns zukommen, die man beobachten muss. Kreativere Lösungen sind eine Möglichkeit und man muss daher in neuen Kategorien denken um weiterzukommen.“

Laut Nowotny würden beispielsweise IT-Dienstleister wie Alibaba in China bereits Versicherungen als Teil der Produktpalette anbieten. Die technischen Möglichkeiten gäbe es, es sei aber fraglich ob das in Österreich auch passieren werde.

Hinsichtlich der Zukunft der Versicherungsbranche prophezeite Ettl mehr Vielfalt und mehr Konkurrenz. „Im österreichischen Markt ging es lange Zeit sehr traditionell zu. Wer sich künftig durchsetzen wird, ist ergebnisoffen.“

Link: FMVÖ

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