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Business, Steuer, Tech

EY sieht Österreichs Industrie als Digitalisierungsopfer

Gunther Reimoser ©EY Österreich / Stefan Seelig

Digitalisierung. Beratungsmulti EY versucht eine Prognose zu Österreich: In allen Szenarios werden Industrie-Jobs rasant weniger. Dafür zeigen andere Branchen auf.

Um ein Viertel weniger Industrie-Jobs in Österreich innerhalb von nur einem Jahrzehnt, nämlich bis zum Jahr 2030 – so lässt sich die Studie von EY auf den Punkt bringen („Basisszenario“).

Das passt schlecht zu den aktuellen Rekordzahlen in Sachen Konjunkturentwicklung, Industrieproduktion sowie -beschäftigung in Österreich – doch Big Four-Multi EY sieht es eben so.

Freilich ist die Botschaft nicht nur negativ – im Gegenteil: Dem Schrumpfen der Beschäftigung in klassischen Fertigungsbetrieben steht ein erneuter Höhenflug der IT-Branche gegenüber: Hier entstehen bis zu 60.000 neue Arbeitsplätze – wenn die EY-Prognose eine Punktlandung schafft. Auch Healthcare und Finanzbranche werden optimistisch gesehen.

Der Wandel ist bereits recht weit gediehen

In Österreich sei der digitale Wandel schon vergleichsweise weit fortgeschritten: Im aktuellen Digital Economy and Society Index (DESI) der Europäischen Kommission belegt Österreich mit einem Score von 0,57 knapp vor Deutschland den zehnten Platz, bei den E-Government-Vorreitern befindet sich Österreich unter den Top-5.

Aufholbedarf beim digitalen Wandel gebe es bei der Nutzung digitaler Angebote sowie beim Zugang zu IT-Technologien:

  • Der Zugang zu Breitband-Internet ist nach wie vor unter dem EU- und OECD-Schnitt.
  • Die Investitionen in Technologien liegen in Österreich laut einer WIFO-Studie aus dem Jahr 2016 bei rund 100 Euro pro Kopf, in der Schweiz wird rund das Fünffache investiert.

Diese Entwicklungen ziehen auch nachhaltige Umwälzungen auf dem österreichischen Arbeitsmarkt mit sich. Studien prognostizieren, dass rund zehn Prozent der Jobs automatisiert werden können und damit verloren gehen.

Vor allem einfache Tätigkeiten können in Zukunft vermehrt durch Automatisierung erledigt werden, während die Zahl der hochqualifizierten Jobs steigt und diese nach neuen Ausbildungswegen verlangen. Bereits jetzt zeige sich hier ein Wandel: Österreich bringe EU-weit jährlich die viertmeisten Absolventen in den sogenannten MINT-Fächern – Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik – hervor.

Es gibt nicht nur den Pisa-Test

Ein weiteres Indiz für den sukzessiven Anstieg des Bildungsniveaus auf dem heimischen Arbeitsmarkt: Während Erwachsene in Österreich in der OECD-Studie PIAAC 2015 (OECD-Studie „Programme for the International Assessment of Adult Competencies“), in der Kompetenzen wie Lesen, Rechnen und Probleme mithilfe von Computern lösen abgeprüft werden, unterdurchschnittlich abschneiden, erreichten in der Altersgruppe 25 bis 34 überdurchschnittlich viele Österreicher ein gutes Ergebnis (49,1%, OECD-Schnitt 44,8%).

Doch wie wird es unterm Strich mit dem Arbeitsmarkt in Österreich und dem Wirtschaftsstandort weitergehen – welche Branchen werden profitieren, wo ist mit Stellenabbau zu rechnen?

Um sich den Antworten auf diese Fragen anzunähern, hat Beratungsmulti EY eine Prognose der Arbeitsplatzentwicklung mit vier verschiedenen Szenarien für die Entwicklung mehrerer Branchen bis 2030 entwickelt.

Berücksichtigt wurden Faktoren wie der Anteil am Bruttoinlandsprodukt, das Pro-Kopf-Einkommen, Export sowie die Verfügbarkeit natürlicher Ressourcen.

Szenario 1: Rückzug der Industrie – Zuzug in die Städte

Das sogenannte „Basisszenario“ geht von einer Fortführung des Status Quo ohne große Sprünge aus. In diesem Szenario würde technologischer Fortschritt im gleichen Tempo wie in den vergangenen 20 Jahren umgesetzt werden, das Wirtschaftswachstum bis 2030 würde durchschnittlich zwei Prozent betragen.

In diesem Szenario gäbe es die geringsten Verschiebungen auf dem Arbeitsmarkt. Zu den Verlierern gehören dabei die klassischen Fertigungsbereiche wie die Industrie, wo bis 2030 rund ein Viertel der Stellen und somit 155.000 Arbeitsplätze wegfallen würden.

Ein Beschäftigungswachstum gäbe es in Branchen, in denen es viele Mitarbeiter mit hohen digitalen Kompetenzen braucht, allen voran der IT- und dem Finanzbereich. Die Zahl der Arbeitsplätze im IT-Bereich steigt in diesem Szenario deutlich um 38.000 auf insgesamt 106.000 an, im Finanzbereich wird von Zuwächsen um 18.000 auf 148.000 Stellen ausgegangen.

Diese Verschiebung würde dazu führen, dass Arbeitsplätze in traditionellen ländlichen Produktionsbetrieben verloren gehen und sich immer mehr Beschäftigte in Städten wie Wien, Salzburg und Graz ansiedeln, so EY – die Folge wäre ein wachsendes Stadt-Land-Gefälle. Der Arbeitsmarkt würde bis 2030 um rund 2,8 Prozent schrumpfen.

Szenario 2: „Regional Technology Hubs“ – Unternehmen organisieren sich in Clustern

Im Szenario „Regional Technology Hubs“ siedeln sich heimische Unternehmen in Clustern an, nutzen gemeinsam Synergien und bündeln ihre Talente-Pools. Der gleichzeitige Ausbau von digitalen Kompetenzen bei Arbeitnehmern sorgt dafür, dass es ausreichend ausgebildete Fachkräfte für viele hochqualifizierte Stellen gibt.

In diesem Szenario seien die Verschiebungen noch größer: Das führt zu einem erheblichen Zuwachs an Jobs in Branchen, in denen digitale Kompetenzen gefragt sind, allen voran die Finanzbranche – plus 94.000 Stellen bis 2030 –, der IT-Sektor – plus 48.000 – und die chemische Industrie inklusive Life Sciences – plus 29.000 Stellen.

Großer Verlierer sei auch bei diesem Szenario die Industrie, insbesondere der Automobilsektor, mit einem Minus von 20.000 Arbeitsplätzen.

Die zentralen Voraussetzungen für das Eintreten dieses Szenarios sind digitale Bildung und Kosten der Arbeit. Da die Produktivität steigt, werden auch die Löhne höher. Das würde zu einem Spiraleffekt führen: Produktive Unternehmen hätten zunehmend einfacheren Zugang zu qualifizierten Fachkräften, für Betriebe mit weniger Produktivität würde das hingegen immer schwieriger werden. Diese Betriebe seien daher dazu gezwungen, die Automatisierung noch stärker voranzutreiben.

Daraus resultiere eine noch stärkere Urbanisierung der Arbeit: In Wien und Umgebung, wo stark wachsende Bereiche wie IT, Finanz oder Medien und Unterhaltung hauptsächlich beheimatet sind, würde ein Großteil der neuen Jobs entstehen. So sind bereits jetzt mehr als 8.000 heimische oder internationale IT-Unternehmen – und damit 75 Prozent – im Großraum Wien angesiedelt. Auch Tirol, Oberösterreich und Niederösterreich würden von der Organisation in Clustern profitieren.

Verluste an Arbeitsplatzen seien hingegen vor allem in Oberösterreich und der Steiermark zu erwarten, da dort fast drei Viertel der Jobs der schrumpfenden Automobilindustrie angesiedelt sind.

Szenario 3: „Hyper Productivity“ – Produktivität ist Mangelware

Ein anderes Bild zeichnet das Szenario „Hyper Productivity“. Dieses gehe von einer sehr ähnlichen Entwicklung wie „Regional Technology Hubs“ aus – mit einem großen Unterschied: Bei diesem Szenario steigen die digitalen Kompetenzen in Österreich schwächer. Das würde zu einer Verschärfung der Konkurrenz um qualifizierte Mitarbeiter führen, was in einem Anstieg der Löhne bei gleichzeitig geringem Beschäftigungswachstum resultiert.

Jene Unternehmen, die im „War for Talent“ unterlegen sind, müssen stärker automatisieren. Die Verschiebung der Beschäftigung von Sektoren wie der Industrie in Richtung IT falle bei diesem Szenario deutlich schwächer als im zuvor beschriebenen Szenario aus: Die Anzahl der Stellen in diesem Bereich würde bis 2030 nur um 29.000 auf 97.000 steigen.

Auch in anderen „Boom-Branchen“ wie der chemischen Industrie (plus 21.000) oder der Finanzwirtschaft (plus 18.000) fiele der Stellenzuwachs beachtenswert geringer aus als bei anderen Szenarien.

In der Industrie würden zwar immer noch die meisten Jobs wegfallen, vergleichsweise aber signifikant weniger. Daher falle der Zuzug in die Städte auch deutlich schwächer aus, starke Industrie-Bundesländer wie Oberösterreich und die Steiermark würden weniger Jobs verlieren.

Szenario 4: „Dispersed Talent“ – Beben am Arbeitsmarkt

Die stärksten Verschiebungen auf dem Arbeitsmarkt werden im Szenario „Dispersed Talent“ angenommen. Darin siedeln sich Unternehmen nicht wie in den beiden vorangegangenen Szenarien in Clustern an. Die digitalen Kompetenzen und damit die Anzahl der gut ausgebildeten Mitarbeiter steigen erheblich.

Aufgrund des großen Pools an Fachkräften seien weniger Produktivitätssteigerungen durch Automatisierung notwendig. Voraussetzung dafür sei aber eine starke Weiterentwicklung des österreichischen Bildungssystems.

In diesem Szenario gibt es das stärkste Beschäftigungswachstum im Finanz- und IT-Bereich mit einem Zuwachs von 94.000 Stellen auf 224.000 bzw. 60.000 Stellen auf 128.000. Die Automobilindustrie würde in diesem Szenario den größten Beschäftigungsrückgang um 22.000 Stellen (56%) auf 17.000 verzeichnen.

„Es kommt wieder mehr auf menschliche Fähigkeiten an“

Die Zukunft der Arbeit wird Gewinner und Verlierer hervorbringen. Wichtig werde es sein, die Beschäftigten auf diese Entwicklung vorzubereiten und ihnen heute schon die Fertigkeiten mitzugeben, die sie in Zukunft brauchen werden, so Gunther Reimoser, Country Managing Partner EY Österreich: „Eines gilt für jeden Sektor in einer digitalisierten Arbeitswelt: Beschäftigte müssen sich auf lebenslanges Lernen einstellen und sich an wechselnde Aufgaben anpassen können. In Zukunft wird es wieder mehr auf menschliche Fähigkeiten ankommen: Empathie, die Fähigkeit zu inspirieren oder auch kulturelles Bewusstsein.“

Die Interpretation vom Chef

In der künftigen Arbeitswelt gelte es, diese menschlichen Fähigkeiten mit denen von Maschinen zu kombinieren, um die besten Ergebnisse zu erzielen, so Reimoser. Sein Fazit zur Studie: „Flexibilität wird für Beschäftigte so wichtig wie nie. Die jungen Menschen, die heute und in den nächsten Jahren auf den Arbeitsmarkt kommen, sollten verschiedene Berufslaufbahnen ausprobieren und ihre Fertigkeiten konstant schulen. Denn Arbeit wird es künftig weiterhin geben. Sparten wie etwa der Gesundheitssektor oder die IT-Branche werden Fachkräfte brauchen. Wer offen ins Berufsleben startet, wird auch in Zukunft einen Job finden.“

Link: EY

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