Open menu
x

Bequem up to date mit dem Newsletter von Extrajournal.Net!

Jetzt anmelden, regelmäßig die Liste der neuen Meldungen per E-Mail erhalten.

Weitere Informationen finden Sie auf unserer Newsletter-Seite sowie in unserer Datenschutzerklärung.

Recht, Tech, Tools

Legal Tech-Angriff aus Österreich: Vertragen.at

©Schmelz

Digitalisierung. Die österreichische Kanzlei Schmelz hat ihre Online-Plattform „Vertragen.at“ gestartet: Sie bietet automatisch erstellte Verträge, noch vor großen Playern wie PwC Legal.

Die Digitalisierung weiter Teile des Wirtschaftslebens macht auch vor dem Sektor der Rechtsberatung nicht Halt, erinnert die Kanzlei (Auf dem Bild: Anwälte und Gründer Dorian und Eva Schmelz (2. und 3. v. li.) mit Kolleginnen und Kollegen).

Mit der neuen Plattform Vertragen.at will man es juristischen Laien erlauben, Rechtsdokumente automatisiert zu erstellen. Nötig ist dazu lediglich die Eingabe von Eckdaten wie Name, Vertragspartner, Kaufpreis o.ä. Die Erstellung des fertigen Vertrags und die Honorierung erfolgen dann ebenfalls gleich online.

Schneller als große Law Firms und die Big Four?

Mit diesem Ansatz der Rechtsberatung sieht man sich als Pionier auf dem österreichischen Markt. Zwar gibt es große Player wie Christian Oehner, Partner und Head of Legal bei PwC Legal Österreich, die eine solche automatisierte Erstellung von Dokumenten aus dem Unternehmensrecht nach Österreich bringen wollen.

Doch der eigentlich für Mitte 2018 angekündigte breite Launch der Plattform PartnerVine in Österreich hat sich verzögert – auf Nachfrage hieß es bei PwC zuletzt lediglich, man sei um einen guten Start unter möglichst optimalen Rahmenbedingungen bemüht.

Die Kanzlei Schmelz Rechtsanwälte mit Sitz in Klosterneuburg bei Wien ist also sozusagen „first to market“, zielt mit ihrem Angebot aber eher auf typische Verträge aus dem Alltag kleinerer und mittlerer Unternehmen.

Zögerliche Digitalisierung der Rechtswelt in Österreich

Dorian Schmelz, Partner der NÖ-Kanzlei Schmelz, sieht Österreich bei den Verfolgern und nicht Pionieren in Sachen Legal Tech. Nachdem Online-Rechtsberatungsangebote in den letzten Jahren im angloamerikanischen Rechtsraum (Marktführer in Großbritannien ist Rocketlawyer) und in Deutschland (wo Legito und Smartlaw zu den Big Playern zählen) sukzessive Einzug fanden, waren entsprechende Entwicklungen in Österreich bislang nur zögerlich festzustellen, heißt es.

Das hänge nicht zuletzt mit der hierzulande geltenden restriktiven Rechtslage zu- sammen, die die berufsmäßige Beratung in Vertragsangelegenheiten einigen wenigen Berufsgruppen – vor allem Rechtsanwälten, Notaren und eingeschränkt Steuerberatern – vorbehält.

Dabei wäre der Markt in Österreich durchaus vorhanden: Schmelz verweist auf eine Umfrage aus dem LexisNexis-Whitepaper „Digitalisierung der Rechtsbranche“ (2017), wonach 63% der Österreicherinnen und 74% der männlichen Österreicher Online-Rechtsberatung im Allgemeinen offen gegenüberstehen.

Markteintritt von Vertragen im September 2018

Schmelz will nun Fakten schaffen und ist seit 12. 9. 2018 mit seiner Plattform Vertragen.at in Österreich online. Sie dient der automationsunterstützten Erstellung von Rechtsdokumenten. Auf der Website www.vertragen.at können sich Nutzer unter rund dreißig verschiedenen Vertragstypen die für sie passende Vorlage aussuchen – zu Preisen, die in der Regel zwischen 59 und 99 Euro liegen.

Geboten werden etwa:

  • Darlehensvertrag über Geld
  • Bargeldschenkungsvertrag auf den Todesfall
  • Betriebsvereinbarung über Videoüberwachung
  • Kaufvertrag über ein neues Kraftfahrzeug
  • Nutztierkaufvertrag (auch eine Variante speziell für Pferde ist vorhanden)
  • Kreditvertrag
  • Zustimmung zum Einsatz von Trackingmethoden
  • Vereinbarung mit einem Auftragsdatenverarbeiter (hier liegt der Preis bei EUR 99,-)

Anschließend wird der User durch ein Frage-Antwort-Schema geleitet, auf dessen Basis ein Algorithmus einen den Zielen des Nutzers optimal angepassten Kontrakt erstellen soll.

Der besondere Mehrwert von Vertragen liege darin, dem User nicht bloß das Ausfüllen von Vertragslücken abzunehmen. Vielmehr werden aufgrund der Antworten des Kunden aus hunderten hinterlegten Vertragsbausteinen die den Anforderungen des Kunden am besten entsprechenden Klauseln ausgesucht und werden diese in ein stimmiges Verhältnis zueinander gesetzt, verspricht die Kanzlei, die auf Zivilrecht spezialisiert ist.

Wie individuell kann das Angebot werden?

Die geforderten Preise liegen weitaus niedriger, als es bei einer individuellen Vertragserstellung durch Anwälte der Fall wäre. Ob in der Praxis wirklich sämtliche denkmöglichen Spezialfälle beim Kunden abgefangen werden können, sei dahingestellt: Bei einem Testdurchlauf erweist sich das Frage-Antwort-Schema jedenfalls als durchaus detailliert.

Doch was passiert, wenn der erstellte Vertrag – um ein komplexeres Beispiel zu konstruieren – zwischen Österreichern und einer britischen Firma kurz vor dem Brexit geschlossen wird, 20 Jahre gelten soll und eine Auftragsdatenverarbeitung nach DSGVO betrifft?

Die Antwort: Gar nichts, denn wenn der Auftragsdatenverarbeiter nicht in Österreich, Deutschland oder der Schweiz angesiedelt ist, macht die Eingabemaske erst gar nicht weiter. Legal Tech-Befürworter sehen die Sache so: Jede vorstellbare Lebenssituation inklusive sämtlicher Zukunftsszenarien abzubilden ist einfach nicht möglich – doch seien automatisierte Varianten immer noch um Längen besser, als im Internet irgendwelche Muster zu googlen und laienhaft anzupassen.

Die Aufstellung

Bei Schmelz Rechtsanwälte ist man von dem eingeschlagenen Weg jedenfalls überzeugt: Mit einem zehnköpfige Team versuche man, Rechtsberatung und Technik zu verbinden und dabei auch neue Wege zu bestreiten. Dem Markteintritt von Vertragen ging eine rund neunmonatige Programmierphase voraus, in der ein vierköpfiges Kernteam mehrere tausend Arbeitsstunden in das Projekt investierte, wie es heißt.

Schmelz: „Wir verfolgen das Ziel, hochwertige juristische Arbeit für jedermann leistbar zu machen. Vertragen versteht sich daher nicht als Konkurrenz zur traditionellen persönlichen Beratung durch einen Anwalt, sondern soll diese ergänzen. Wir möchten Bevölkerungsschichten ansprechen, die für Anwälte bisher kaum erreichbar waren: Etwa kleine Start-ups, die in der Gründungsphase jeden Cent dreimal umdrehen müssen, oder Angehörige der unteren Einkommensschichten, die bisher auf qualitativ zweifelhafte Gratis-Vorlagen aus dem Internet zurückgreifen mussten, die überwiegend nicht von Anwälten verfasst wurden und sich häufig nicht einmal nach österreichischen Recht richten.“

Der Knackpunkt ist die Rechtsanwaltskammer

Ein wichtiger Punkt bei jeder Legal Tech-Lösung, die im weitesten Sinn anwaltliche Arbeit übernehmen soll, ist die Rechtsanwaltskammer: Sie werde sowohl das Berufsprivileg der Anwälte wie die einschlägigen Vorschriften über solide anwaltliche Arbeit verteidigen, hat ÖRAK-Experte Mathias Preuschl im Interview klargestellt.

Tatsächlich wurde Vertragen.at einer entsprechenden Kontrolle unterzogen, so die Gründer der Plattform: „Zu Projektbeginn wurden die berufsrechtlichen Rahmenbedingungen der von uns erbrachten Leistungen mit der für uns zuständigen Rechtsanwaltskammer Niederösterreich abgeklärt. Bei der Projektumsetzung wurden diese Rahmenbedingungen eingehalten“, so Gründer Schmelz zu Extrajournal.Net.

Auf die  Einhaltung aller berufsrechtlichen Vorgaben für die anwaltliche Berufsausübung sei viel Wert gelegt worden. „Unsere Plattform sieht daher einen vollautomatisierten Conflict Check vor, um Doppelvertretungen zu vermeiden. Konkret besteht auf der Plattform eine Blacklist, die laufend mit der Datenbank unserer Aktenverwaltungssoftware an gegnerischen Parteien abgeglichen wird. Eine Inanspruchnahme der Leistungen durch Personen, die sich auf der Blacklist befinden, ist nicht möglich“, erklärt Schmelz weiter.

Lieber flexibel und unabhängig

Auf einen großen Partner habe man übrigens bewusst verzichtet: Am Beginn der Projektentwicklungsphase sei geprüft worden, ob eine Zusammenarbeit mit Anbietern bereits bestehender Softwareprodukte sinnvoll wäre.

„Dabei hat sich jedoch gezeigt, dass dabei die Möglichkeiten einer autonomen Anpassung an die Besonderheiten des österreichischen Rechtssystems und die Bedürfnisse unserer Kunden zu eingeschränkt gewesen wären. Wir haben uns daher dazu entschieden, jungen österreichischen Programmierern zu vertrauen und von Grund auf eine neue Software zu erstellen, die aufbauend auf unsere nunmehrigen Erfahrungen laufend weiterentwickelt wird“, so Gründer Schmelz.

Link: Vertragen.at

 

Weitere Meldungen:

  1. Andreas Lichtenberger ist Datenschutz-Anwalt bei CMS
  2. Drei neue Partner und drei neue Counsel bei Dorda
  3. Christoph Birner neuer Rechtsanwalt bei CMS Reich-Rohrwig Hainz
  4. RWE bringt erste grüne Anleihe in USA mit Clifford Chance