Wien. Die EU will arbeitsrechtliche Mindeststandards schaffen, so EP-Berichterstatter Chambon jetzt im Nationalrat. Mitte Oktober sind die EU-Parlamentarier am Wort.
Der Plan zur Änderung der EU-Richtlinie über transparente und verlässliche Arbeitsbedingungen, die vor allem auf atypische und prekäre Beschäftigungsverhältnisse innerhalb der EU abzielt, werde keineswegs in nationales Arbeitsrecht eingreifen und das Prinzip der Subsidiarität verletzen.
Es gehe um Mindeststandards und Mindestrechte für ArbeitnehmerInnen und nicht um eine Vereinheitlichung des Arbeitsrechts, bekräftigte der Berichterstatter des EU-Parlaments für den genannten Gesetzesentwurf, Enrique Calvet Chambon gegenüber Bundesrat Stefan Schennach (SPÖ) und Nationalratsabgeordnete Angela Fichtinger (ÖVP).
Die Basics: Arbeitslosengeld, Pension, Arbeitszeiten, Kollektivverträge
In der Richtlinie werde auch eine Klausel enthalten sein, dass kein nationales Recht verschlechtert werde, berichtet die Parlamentskorrespondenz. Im Fokus stünden Werte wie etwa das Recht auf Arbeitslosengeld, auf eine Pension, auf geregelte Arbeitszeiten oder auf Kollektivverträge, aber auch die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben, hielt er fest. Chambon besuchte vor einigen Tagen das österreichische Parlament, um die Parlamentarier über den Stand der Verhandlungen zu informieren.
Chambon betonte, dass es darum gehe, die Rechte der Bürger zu stärken und insbesondere Regelungen für neue Arbeitsformen festzulegen. Der freie Personenverkehr könne nicht funktionieren, wenn die Mindestrechte von Arbeitnehmern nicht eingehalten werden, sagte der EU-Parlamentarier und appellierte an den politischen Willen, den Fokus auf die reale Situation und nicht auf technische Fragen zu legen.
Er war mit Schennach und Fichtinger einer Meinung, dass das Augenmerk insbesondere auf das Problem der Scheinselbständigkeit gerichtet sein müsse. Als drängende Frage werde unter anderem auch die sogenannte kapazitätsorientierte Arbeitszeit gesehen. Große Probleme gebe es unter anderem in der Bau- und in der Tourismusbranche. Es gelte, der Jugend in Europa eine Perspektive zu geben, denn prekäre Jobs machen bei den 20- bis 30-Jährigen mehr als die Hälfte aus.
Auch wenn die Verhandlungen schwierig seien, sagte Chambon unter Hinweis auf die unterschiedlichen Sozialsysteme, Traditionen und Kulturen in den Mitgliedstaaten, sei er optimistisch, dass im EU-Parlament ein Konsens gefunden werden kann. Jedenfalls werde im zuständigen Ausschuss des Europäischen Parlaments am 18. Oktober 2018 abgestimmt, dann kommt die Materie ins Plenum und danach können – noch unter österreichischem Ratsvorsitz – die Trilogverhandlungen beginnen.
Meinungen in Österreich uneinheitlich
Der Richtlinienvorschlag wurde bereits im EU-Ausschuss des Bundesrats zwei Mal intensiv und – zwischen Regierungsparteien und Opposition – kontrovers diskutiert. In einer Mitteilung kritisieren ÖVP und FPÖ unter anderem zu viel Bürokratieaufwand und stellen zahlreiche neue Informationspflichten in Frage.
Die SPÖ wiederum unterstützt den Entwurf als wichtigen Baustein der sozialen Säule der EU, wie Schennach betonte. Er hält eine gewisse Harmonisierung des Arbeitsrechts im Hinblick auf die Mobilität für notwendig. Die Jugend brauche eine Vision von Europa, nämlich dass man von der Arbeit, die man macht, auch leben kann, sagte er. Die große Zahl an prekären Arbeitsverhältnissen hält er schlichtweg für eine Katastrophe. Ihm zufolge ist es jedenfalls notwendig, dass man vom ersten Tag an einen Vertrag in den Händen hält. Scharf kritisierte er auch die Kettenverträge.
Die Vorschläge der EU-Kommission
Der Richtlinienentwurf ist als eine Folgemaßnahme zur Umsetzung der am 17. November 2017 in Göteborg von Rat, Europäischem Parlament und Kommission proklamierten Europäischen Säule sozialer Rechte zu sehen. Dessen übergeordnetes Ziel ist laut Kommission, sichere und verlässliche Beschäftigung zu fördern und gleichzeitig die Anpassungsfähigkeit des Arbeitsmarkts zu erhalten sowie die Lebens- und Arbeitsbedingungen zu verbessern.
- Um dieses zu erreichen, soll der Zugang der Arbeitnehmer zu Informationen, etwa hinsichtlich ihrer Arbeitsbedingungen, erleichtert und die Arbeitsbedingungen vor allem in neuen und atypischen Beschäftigungsverhältnissen verbessert werden.
- Angestrebt wird auch die tatsächliche Durchsetzung der Bestimmungen für die Arbeitsbedingungen. Das Papier sieht etwa die Angleichung des Begriffs ArbeitnehmerIn an die Rechtsprechung des EuGH sowie die Aufnahme neuer Beschäftigungsformen in den Geltungsbereich der Richtlinie vor.
- Es soll auch ein schriftliches, erweitertes und aktualisiertes Informationspaket für die Arbeitnehmer geben – etwa bezüglich der Probezeit, der Kündigung oder der Fortbildung – und zwar gleich ab dem ersten Tag und nicht, wie bisher innerhalb von zwei Monaten ab Beschäftigungsbeginn.
- Strittig in den Verhandlungen ist die Verpflichtung der Arbeitgeber, auf Ersuchen der Arbeitnehmer über das Vorhandensein sicherer und verlässlicher Arbeitsverhältnisse schriftlich zu informieren.
- ArbeitnehmerInnen sollen sich in Hinkunft auch auf neue Mindestrechte stützen können, darunter unter anderem auf das Recht auf bessere Planbarkeit der Arbeitszeit, das Recht auf Ruhepausen und bezahlten Urlaub sowie das Recht auf verpflichtende Fortbildung ohne Lohnabzug. Die Höchstdauer der Probezeit soll sechs Monate betragen. Auch soll der Arbeitgeber in Hinkunft eine Mehrfachbeschäftigung nicht mehr verbieten dürfen.
- Ein weiterer Aspekt des Vorschlags betrifft die Stärkung des Rechtsschutzes. Arbeitnehmer sollen von den ArbeitgeberInnen verlangen können, schriftliche stichhaltige Gründe für eine Kündigung oder eine vergleichbare Maßnahme anzuführen.
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