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Bildung & Uni, Business, Recht

„Digitalisierung lässt die Genossenschaften zurückkehren“

Wien. Die Genossenschaften sehen sich im Aufwind: Ihre Rechtsform feiere ein Revival als Arbeitsmodell der Online-Economy, hieß es jetzt auf einer Tagung an der Uni Wien.

Die Genossenschaften sind eine in Österreich ebenso bedeutende wie weithin unbekannte – und von manchen Wirtschaftsexperten beinahe schon abgeschriebene – Gesellschaftsform. Zweck einer Genossenschaft ist laut Definition die Förderung der Wirtschaftlichkeit ihrer Mitglieder. In dieser Rolle standen die Genossenschaften im 19. Jahrhundert Pate bei der Gründung des Raiffeisen-Sektors ebenso wie bei anderen, im linken Flügel des politischen Spektrums angesiedelten Wirtschaftsbereichen.

Doch gegen Ende des 20. Jahrhunderts wurde es um die Genossenschaften still, auch wenn sie weiterhin in vielen Bereichen sozusagen das Fundament für moderne Unternehmen wie die Raifeisen-Landesbanken bilden. Zwar ist die wirtschaftliche Bedeutung der existierenden Genossenschaften etwa im Agrarbereich auch im Jahr 2019 noch enorm hoch, doch die Zahl der Neugründungen – sozusagen der Nachwuchs – ging gegenüber der Gründerzeit rapide zurück.

Die Rückkehr der Genossen

Nun soll es aber zu einer Renaissance der Genossenschaft kommen – und der Grund wird in der Digitalisierung gesehen. Die Arbeitswelt stehe durch Digitalisierung und Fragmentierung massiv im Umbruch. Kooperative Modelle wie Genossenschaften können viele Herausforderungen dieses Wandelsbewältigen, so das Fazit der Tagung „Arbeit neu denken – Cooperative  Lösungsansätze für eine Ökonomie der Zukunft“, die Smart Austria, der Österreichische Genossenschaftsverband und die Universität Wien im Juni 2019 gemeinsam veranstaltet haben.

Projektarbeit, Neue Selbstständigkeit, Sharing Economy – was auf den ersten Blick viele Freiheiten für Arbeitende und viele Annehmlichkeiten für Kundinnen und Kunden bringt, berge nämlich auf den zweiten Blick zahlreiche Risiken. Die schöne neue Welt der Arbeit bedeute allzu oft auch schlechte Bezahlung, niedrige Sozialstandards und Vereinzelung.

„Genossenschaften und andere cooperative Modelle dagegen verbinden selbstbestimmtes und eigenverantwortliches Arbeiten mit dem Rückhalt einer Gemeinschaft. So können wir die Arbeitswelt nachhaltig verbessern,“ meinte Sabine Kock, Geschäftsführerin von Smart Austria, bei der Eröffnung der Tagung.

Sabine Neuhofer, Soziologin an der Uni Wien, meinte: „Wir müssen darüber diskutieren, was prekäre Arbeitsverhältnisse mit den Menschen machen, und in welcher Gesellschaft wir eigentlich leben wollen.“ Christian Hopp, Ökonom an der RWTH Aachen, betonte die Wichtigkeit von gegenseitigem Vertrauen und solidarischem Miteinander als die Erfolgsfaktoren genossenschaftlicher Kooperationen.

Clemens Pig, Geschäftsführer der ebenfalls als Genossenschaft organisierten Austria Presse Agentur (APA), bekräftigte diese Einschätzung: „Die Digitalisierung macht die Menschen zudem nicht überflüssig, sondern schafft neue Berufe und Ausbildungswege. Damit muss man sich auseinandersetzen. Das sollte ordentliches Management heute leisten,“ so Pig.

Digitale Plattform-Genossenschaften als Gegenmodell zu Uber und Co?

Exemplarisch für den Wandel der Arbeitswelt sind Plattform-Unternehmen wie Airbnb oder Uber. Als zukunftsfähige Alternative dazu plädiert US-Forscher Trebor Scholz für digitale Plattform-Genossenschaften, die im Eigentum ihrer Mitglieder stehen und demokratisch organisiert sind.

Solche Platform-Coops existieren bereits in zahlreichen Sektoren: von Ferienwohnungen (Fairbnb) über Haushaltsdienstleistungen (Up & Go) bis hin zu Musikstreaming (Resonate). Sie sichern bessere Bezahlung und bessere Arbeitsbedingungen, aber auch höhere Produktivität und bessere ökonomische Belastbarkeit, heißt es. Das bekannte Online-Lexikon Wikipedia ist dagegen nicht als Genossenschaft organisiert, sondern als Stiftung – eine der Rechtsformen, die in den letzten Jahrzehnten in vielen Ländern deutlich an Bedeutung gewonnen haben.

Was Genossenschaften bieten sollen

Barbara Pogacar, Leiterin der Abteilung Beratung für Waren- und Dienstleistungsgenossenschaften im Österreichischen Genossenschaftsverband, benennt die Vorteile der Genossenschaft. Das seien unter anderem:

  • die frei wählbare Höhe der Geschäftsanteile,
  • ein leichter Zugang zur Mitgliedschaft und
  • die beschränkte Haftung.

„Die Idee der Genossenschaft hat sich über 150 Jahre bewährt, aber anders als die heutige Sharing Economy schafft sie Vertrauen und Sicherheit,“ so Pogacar.

Die Statements

  • Ela Kagel vom Community-Hub Supermarkt Berlin plädierte bei der Tagung für einen grundlegenden Paradigmenwechsel im Wirtschaftssystem „vom Egosystem zum Ecosystem“, also hin zu einem ganzheitlich gedachten, ökologisch wie sozial und ökonomisch nachhaltigen Ökosystem vernetzter Communities.
  • Wolfgang Aigner und Wolfgang Wittmer von der Wiener IT-Genossenschaft New World of Work präsentierten mit dem Vienna Cherry Chapter ihren Beitrag zur Vision eines dezentralen und ebenso nachhaltigen Internet.
  • Auch Smart Austria, vertreten von Lisa Pointner und Sabine Kock, sei ein konkretes Erfolgsmodell aus Österreich, das für fast tausend Künstlerinnen und Künstler, Kreative sowie Neue Selbstständige eine Verbindung von selbstbestimmter Arbeit mit den Sicherheiten der Anstellung ermöglicht. „Ein solidarisches Dach für alle, die bisher als Einzelkämpfer unterwegs waren“, so Kock.

Genossenschaften und andere cooperative Modelle seien auch in Österreich und im deutschsprachigen Raum durchaus präsent und gewinnen an Bedeutung. Allerdings kämpfen sie streckenweise mit geringer Sichtbarkeit und der nötigen Anschubfinanzierung, heißt es. Viele Herausforderungen, gerade die durch die fortschreitende Digitalisierung, seien vom traditionsreichen Genossenschaftswesen
selbst noch zu bewältigen, so ein Fazit der Diskussion.

„Dennoch: Die cooperative Ökonomie eröffnet Zukunftsperspektiven für selbstverantwortliches, solidarisches Zusammenarbeiten“, so Wirtschaftswissenschaftler Oliver Fabel von der Universität Wien: Cooperatives Arbeiten schaffe Anknüpfungspunkte für ein anderes Verständnis von Gerechtigkeit und einen breiteren Arbeitsbegriff, der nicht nur Erwerbs- sondern etwa auch Sorgearbeit einschließe. Die cooperative Ökonomie sei, so Scholz, „ein Weg hin zu
kollektivem Mut.“

 

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