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Recht, Veranstaltung

Anwälte wollen Rechtsstaat sichern – inklusive Finanzierung

Rupert Wolff ©Julia Hammerle / ÖRAK

Salzburg. Bei ihrem Anwaltstag 2019 haben Österreichs Rechtsanwaltskammern ein Bekenntnis zum Rechtsstaat und dessen ausreichender Finanzierung abgelegt. Auch die eigenen Leistungen wollen sie besser abgegolten haben.

Anlässlich des Anwaltsages 2019, der vor Kurzem vor über 200 Festgästen, darunter Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein, im Salzburger Festspielhaus feierlich eröffnet wurde, legt der Österreichische Rechtsanwaltskammertag (ÖRAK) seinen jährlichen Tätigkeitsbericht vor. Er soll die Leistungen der Anwältinnen und Anwälte unterstreichen und auch soziale Funktionen aufzeigen.

Demnach wurden im Berichtsjahr 2018 rund 40.000 Bürgerinnen und Bürger von den 6.389 Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten (Stand per 31.12.2018) unentgeltlich vertreten oder beraten. Sei es im Rahmen der Verfahrenshilfe, der „Ersten Anwaltlichen Auskunft“, des Verteidigernotrufs oder im Rahmen von Beratungen und Vertretungen von (minderjährigen) Verbrechensopfern.

Österreichweit erfolgten im Jahr 2018 exakt 20.420 Bestellungen von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten zu Verfahrenshelfern (14.315 in Strafsachen, 5.589 in Zivilsachen und 516 in Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof, dem Verwaltungsgerichtshof und den Verwaltungsgerichten).

Der Wert der anwaltlichen Leistungen, die für die Betroffenen unentgeltlich erbracht wurden, betrug laut den Angaben insgesamt ca 40 Millionen Euro. Darüber hinaus erhielten rund 18.500 Bürgerinnen und Bürger kostenlosen anwaltlichen Rat im Rahmen der „Ersten Anwaltlichen Auskunft“ – ein Service der Rechtsanwaltskammern. Der unter 0800 376 386 rund um die Uhr österreichweit erreichbare „Verteidigernotruf“ für festgenommene Beschuldigte verzeichnete allein im Jahr 2018 1.236 Kontaktaufnahmen. 2019 sind es bereits 928 (Stand 31. August 2019).

Geleistet wurden außerdem zahlreiche kostenlose  Verbrechensopferberatungen und Vertretungen von minderjährigen Gewalt- und Missbrauchsopfern. „Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte sichern mit ihrem Einsatz den österreichischen Rechtsstaat. Tag für Tag. Die zahlreichen unentgeltlichen Tätigkeiten tragen dazu bei, auch jenen Bürgerinnen und Bürgern zu ihrem Recht zu verhelfen, die sich eine Durchsetzung ihrer Rechte sonst nicht leisten könnten, undsind ein ganz wesentlicher Beitrag für die Rechtsstaatlichkeit in unserem Land“, so ÖRAK-Präsident Rupert Wolff anlässlich der Eröffnung des Anwaltstages. Der Rechtsanwaltskammertag ÖRAK ist die Dachorganisation für die Landes-Rechtsanwaltskammern.

Rechtsanwälte fordern Erhöhung der Pauschalvergütung für Verfahrenshilfen

Kritik übte Wolff in seiner Eröffnungsrede am Ausbleiben der seit Jahren fälligen Anpassung der Pauschalvergütung, die von der Republik Österreich als Abgeltung der im Rahmen der Verfahrenshilfe erbrachten anwaltlichen Leistungen in die anwaltliche Pensionskasse zu erstatten ist. Diese Vergütung belaufe sich seit 2006 unverändert auf 18 Millionen Euro pro Jahr.

Die im Rahmen der Verfahrenshilfe erbrachten anwaltlichen Leistungen seien aber mittlerweile auf 40 Millionen Euro pro Jahr angestiegen. „Wir fordern mit Nachdruck eine Erhöhung der Pauschalvergütung, so wie es das Gesetz klipp und klar vorsieht. Wir befinden uns seit Jahren in einem gesetzwidrigen Zustand, den die Anwaltschaft nicht länger hinnehmen wird“, so Wolff.

Dass die Rechtsanwaltschaft als einzige Berufsgruppe ohne staatlichen Pensionszuschuss nicht einmal mehr die Hälfte der von ihr für die Ärmsten erbrachten Leistungen vom Staat vergütet erhält, bezeichnete Wolff als völlig inakzeptabel. Der Anwälte-Präsident kündigte Protestmaßnahmen an, die Geduld sei am Ende.

Unterstützung für Rechtsstaat und Justiz

Mahnende Worte fand Wolff im Zusammenhang mit der besorgniserregenden Situation der heimischen Justiz, die seit Jahren an chronischer Unterfinanzierung leide. „Eine Justiz ohne ausreichende Ressourcen funktioniert nicht und ein Rechtsstaat ohne funktionierende Justiz ist kein Rechtsstaat“, so Wolff.

Die Justiz müsse in vielen Bereichen, insbesondere beim Kanzleimanagement, personell und technisch besser ausgestattet werden. „Es funktioniert inzwischen hinten und vorne nicht mehr“, warnte Wolff eindringlich vor einem drohenden Stillstand an den Gerichten. „Wenn Urteile und Protokolle zwar diktiert, aber nicht verschriftet und ausgefertigt werden, dann steckt der Lift schon im Erdgeschoss des Rechtsstaates fest. Dann warten Richter, Staatsanwälte, Rechtsanwälte und vor allem die rechtsuchende Bevölkerung. Auf nicht weniger als ihr Recht“, so Wolff, der Österreichs nächste Regierung hier in Zugzwang sieht.

Besorgt zeigte sich Wolff angesichts der aktuellen rechtsstaatlichen Entwicklungen in einigen EU-Mitgliedstaaten, wie etwa Polen und Ungarn. „Dann, wenn die Politik versucht, die unabhängige Justiz, die Rechtsprechung, die freie Anwaltschaft unter Druck zu setzen, sie an die Kandare zu nehmen, immer dann ist höchste Vorsicht geboten“, warnte Wolff.

Die Aushöhlung des Rechtsstaates geschehe nicht über Nacht, sondern sei eine schleichende Entwicklung. „Darum ist sie auch so gefährlich“, so Wolff: „Wir Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte werden niemals 2schweigen, wenn wir solche Tendenzen auch nur erahnen. Wir werden immer aufstehen und dagegen ankämpfen.“

Neue Gesetze: Begutachtungsfristen werden erträglicher

Eifrig waren die Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte bei der Begutachtung von Gesetzen und Verordnungen. 175 Gesetzes- und Verordnungsentwürfe (37 mehr als im Vorjahr) wurden im Berichtszeitraum von ÖRAK-Expertinnen und Experten unter die Lupe genommen.

Zwar wurde auch im vergangenen Jahr die vom Bundeskanzleramt empfohlene Mindest-Begutachtungsfrist von sechs Wochen in der überwiegenden Anzahl der Fälle nicht eingehalten, dennoch sei eine Verbesserung festzustellen.

„Die vom Bundeskanzleramt vorgegebene Frist von sechs Wochen wurde in 61 Prozent der Begutachtungsverfahren nicht eingehalten. In 12 Prozent der Fälle standen sogar nur zwei Wochen oder weniger zur Verfügung“, so Wolff.

Besonders kritisch sehen die Rechtsanwälte aber, dass Regierungsvorlagen und Initiativanträge immer häufiger gänzlich ohne vorherige Begutachtung oder Beratung im zuständigen parlamentarischen Ausschuss ihren Weg durch das Parlament finden. „Dadurch wird eine professionelle, kritische Analyse verunmöglicht und der öffentliche Diskurs verhindert“, ärgert sich Wolff. Eine fundierte, sachliche Auseinandersetzung mit Gesetzesvorhaben werde dadurch ad absurdum geführt.

Darf man Gewaltschutz durchboxen?

Als aktuelles Negativbeispiel führte Wolff das am Mittwoch im Nationalrat beschlossene Gewaltschutzgesetz 2019 an, das ohne Berücksichtigung der 60 eingelangten Stellungnahmen und ohne vorherige Beratung im Justizausschuss kurz vor der Nationalratswahl durchgeboxt wurde. „Es ist Sand in die Augen der Bürger, die Mindeststrafen für Gewalt- und Sexualdelikte zu erhöhen, die Strafen für Jugendliche zu verschärfen und das als Gewaltschutz zu verkaufen“, so Wolff in seiner Eröffnungsrede.

Link: ÖRAK (Tätigkeitsbericht 2019)

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