Wien. Der Ibiza-Untersuchungsausschuss kommt nur in eingeschränkter Form: Die Koalition streicht den Untersuchungsgegenstand deutlich zusammen, die Opposition ortet Willkür.
Der Ibiza-Untersuchungsausschuss kommt vorerst nur in eingeschränkter Form. Der Geschäftsordnungsausschuss des Nationalrats gab jetzt zwar grundsätzlich grünes Licht für die entsprechende Initiative von SPÖ und Neos, zuvor strichen ÖVP und Grüne den Untersuchungsgegenstand und die daran anknüpfenden Beweisthemen aber deutlich zusammen.
Das Verlangen sei in weiten Teilen zu unbestimmt und damit nicht verfassungs- bzw. gesetzeskonform, machen Wolfgang Gerstl (ÖVP) und Nina Tomaselli (Grüne) geltend. Zudem würde gegen das Verbot einer Sammlung nicht zusammenhängender Themenbereiche verstoßen, berichtet die Parlamentskorrespondenz.
Verfassungsgericht soll den Ausschuss stärken
SPÖ und Neos halten die Einwände allerdings für unberechtigt und wollen nun den Verfassungsgerichtshof anrufen. SPÖ-Abgeordneter Kai Jan Krainer sprach in diesem Zusammenhang von „reiner politischer Willkür“ und warf den Koalitionsparteien gemeinsam mit Neos-Abgeordneter Stephanie Krisper vor, nicht mit offenen Karten gespielt zu haben. Auf die Seite der beiden Oppositionsparteien schlug sich auch die FPÖ: Sie sei, trotz gewisser Bedenken gegen die Formulierung des Untersuchungsgegenstandes, für volle Aufklärung, sagte Philipp Schrangl.
Als Verfahrensrichterin des Untersuchungsausschusses wird erstmals eine Frau fungieren. Die ehemalige OGH-Vizepräsidentin Ilse Huber wurde vom Ausschuss ebenso einstimmig gewählt wie Verfahrensanwalt Andreas Joklik. Der Vorsitz im 13-köpfigen Gremium kommt per Gesetz Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka zu.
Offiziell als eingesetzt gilt der Untersuchungsausschuss mit der Aufnahme der Beratungen über den Bericht des Geschäftsordnungsausschusses im Plenum des Nationalrats – die entsprechende Debatte ist noch für heute vorgesehen.
Casinos Austria und Glücksspiel im Visier
Aufgelistet werden die Einwände gegen das SPÖ-Neos-Verlangen in einer vom Geschäftsordnungsausschuss mit ÖVP-Grüne-Mehrheit beschlossenen 17-seitigen Stellungnahme:
- Darin wird unter anderem darauf hingewiesen, dass nur ein bestimmter abgeschlossener Vorgang im Bereich der Vollziehung des Bundes Gegenstand eines Untersuchungsausschusses sein könne. Eine Sammlung nicht direkt zusammenhängender Themenbereiche sei hingegen unzulässig.
- Zudem monieren ÖVP und Grüne, dass die Formulierungen im Verlangen teilweise so unbestimmt sind, dass unklar sei, welche Akten überhaupt an den Untersuchungsausschuss zu liefern wären.
Konzentrieren soll sich der Untersuchungsausschuss demnach auf Postenbesetzungen bei der Casinos Austria AG, etwaige Gesetzesvorhaben im Glücksspielbereich, die Vollziehung bestimmter Teile des Glücksspielgesetzes und straf- und disziplinarrechtliche Ermittlungen im Umfeld des Glücksspielkonzerns.
Zudem können auch die Hintergründe, Strategien und Motive der Umwandlung der staatlichen Beteiligungsholding ÖBIB in eine Aktiengesellschaft (ÖBAG) und die Bestellung von ÖBAG-Vorstand Thomas Schmid unter die Lupe genommen werden. Da die ÖBAG Miteigentümerin der Casinos Austria sei, lasse sich hier gerade noch ein inhaltlicher Zusammenhang erkennen, halten ÖVP und Grüne in ihrer Stellungnahme fest.
Was nicht untersucht werden soll
Aus dem Untersuchungsgegenstand bzw. den Beweisthemen gestrichen wurden hingegen das Zustandekommen bzw. die Vorbereitung von Gesetzen abseits des Glücksspiel- und Finanzbereichs, Vorstands- und Aufsichtsratsbesetzungen in weiteren staatsnahen Unternehmen, die Neustrukturierung der Finanzaufsicht inklusive Personalentscheidungen betreffend die Oesterreichische Nationalbank und etwaige unzulässige Begünstigungen in Folge großzügiger Parteispenden.
Auch der Frage, ob es politische Einflussnahmen auf die behördlichen Ermittlungen nach Veröffentlichung des Ibiza-Videos gegeben hat, darf der U-Ausschuss zumindest vorläufig nicht nachgehen. Es gebe hier keinen Zusammenhang zum Casinos-Austria- bzw. Glücksspielkomplex, argumentieren ÖVP und Grüne.
Zur Untermauerung ihrer Vorgangsweise legten die Koalitionsparteien ein Gutachten des Rechtswissenschaftlers Christoph Bezemek vor. Zudem weisen sie in ihrer Stellungnahme zum SPÖ-Neos-Verlangen darauf hin, dass es zur Streichung von aus ihrer Sicht unzulässiger Passagen und Beweisthemen keine Alternative gegeben habe. Die Umformulierung eines Minderheitenverlangens durch den Geschäftsordnungsausschuss sei nur mit Zustimmung der EinbringerInnen möglich. SPÖ und Neos hätten entsprechende Gespräche aber verweigert.
Der Untersuchungszeitraum umfasst mit einer Zeitspanne zwischen dem 18. Dezember 2017 und dem 10. Dezember 2019 knappe zwei Jahre.
Vier- bzw. achtwöchige Frist für Aktenlieferungen
Zu den Stellen, die dem Untersuchungsausschuss Akten und Unterlagen vorzulegen haben, gehören neben den Regierungsmitgliedern und den Landeshauptleuten auch der Rechnungshof, die Oesterreichische Nationalbank, die Finanzmarktaufsicht, die Finanzprokuratur, das Bundesverwaltungsgericht und das Bundesfinanzgericht.
Ebenso werden die Disziplinarbehörden des Bundes, die Organe der ordentlichen Gerichtsbarkeit sowie der Nationalratspräsident genannt. Letzterer deshalb, weil es regelmäßig Korrespondenzen zwischen der Parlamentsdirektion und den Ministerien in Bezug auf die Einbringung bzw. Zurückziehung von Ministerialentwürfen und Regierungsvorlagen gibt, wie in der Begründung festgehalten wird.
Nicht mehr einbezogen ist Bundespräsident und Ex-Grünen-Parteichef Alexander Van der Bellen: SPÖ und Neos wollten auch ihn zur Vorlage von Akten auffordern, da er auf vielfache Art und Weise mit den Mitgliedern der Bundesregierung interagiere.
SPÖ ortet politische Willkür
Im Rahmen der Debatte bedauerte Wolfgang Gerstl (ÖVP), dass es keine Bereitschaft von SPÖ und NEOS gegeben habe, das Verlangen umzuformulieren. In der vorliegenden Form widerspreche es jedenfalls den verfassungsrechtlichen Vorgaben, da der Untersuchungsgegenstand keinen abgegrenzten Bereich umfasse, betonte er. Schließlich habe man seinerzeit, als man die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zu einem parlamentarischen Minderheitenrecht machte, die Vorgaben für Minderheitenverlangen bewusst eng gehalten, um „Parteispektakel“ zu vermeiden.
Ähnlich argumentierte Sigrid Maurer (Grüne). Sie erinnerte daran, dass die Grünen ihre Bedenken gegen das SPÖ-Neos-Verlangen bereits vor Weihnachten formuliert und um Gespräche gebeten hätten. Ausdrücklich begrüßt wurde sowohl von Maurer als auch von Gerstl die Anrufung des Verfassungsgerichtshofs durch SPÖ und Neos. Es sei wichtig, in dieser Frage Klarheit herzustellen. schließlich liege noch keine Judikatur vor, sagte Maurer. Zudem habe die SPÖ bereits bei der letzten Sitzung angekündigt, den VfGH anrufen zu wollen.
Dem Wunsch nach einem raschen Start des U-Ausschusses komme man mit der Feststellung der Teilunzulässigkeit nach, unterstrichen Maurer und Gerstl.
Kein Verständnis für die Einwände von ÖVP und Grünen zeigten SPÖ-Abgeordneter Kai Jan Krainer und Neos-Abgeordnete Stephanie Krisper. Es gehe nicht um eine rechtliche, sondern um eine rein politische Frage, bekräftigte Krainer: Dürfe das Parlament untersuchen, ob das, was in Ibiza besprochen wurde, tatsächlich umgesetzt worden sei. In diesem Sinn ortet Krainer seitens der Koalitionsparteien „politische Willkür“. Auch der Vorwurf der Gesprächsverweigerung sei unrichtig, sagte Krainer, die SPÖ wäre jederzeit bereit gewesen über einen Mehrheitsbeschluss, ergänzend zum Minderheitenverlangen, zu diskutieren.
SPÖ und Neos warfen den Koalitionsparteien darüber hinaus vor, nicht mit offenen Karten gespielt zu haben. Das von der ÖVP beauftragte Gutachten trage das Datum 4. Jänner und sei damit bereits vor der letzten Sitzung des Geschäftsordnungsausschusses am 8. Jänner vorgelegen, hob Krisper hervor. Es sei ihnen aber vorenthalten worden. Auch die Grünen hätten ihre Einwände im Ausschuss nicht präzisiert.
Als „elender neuer Stil“ wertete es Krisper außerdem, dass die Medien vor der Opposition von der geplanten Vorgangsweise im Geschäftsordnungsausschuss informiert worden seien. Durch die „Teilunzulässigkeit“ wird ihrer Meinung nach die Aufklärung vieler Sachverhalte, die in öffentlicher Diskussion standen bzw. stehen, verhindert.
Seitens der FPÖ hob Philipp Schrangl die Notwendigkeit voller Aufklärung hervor. In diesem Sinn stimmte seine Fraktion trotz gewisser Bedenken gegen den von SPÖ und Neos formulierten Untersuchungsgegenstand für den von den beiden Parteien bereits in der letzten Sitzung des Geschäftsordnungsausschusses beantragten grundsätzlichen Beweisbeschluss. Dieser fand im Ausschuss – im Gegensatz zur von ÖVP und Grünen vorgelegten eingegrenzten Variante – allerdings keine Mehrheit.
26. Untersuchungsausschuss in der Zweiten Republik
Insgesamt ist der Ibiza-Untersuchungsausschuss bereits der 26. Untersuchungsausschuss in der Zweiten Republik und der fünfte, der nach den neuen U-Ausschuss-Regeln eingesetzt wird. Vier davon gehen auf ein Minderheitenverlangen zurück, für das es zumindest die Unterstützung eines Viertels der Abgeordneten (46) braucht.
Die Dauer des Untersuchungsausschusses ist laut Verfahrensordnung grundsätzlich auf 14 Monate begrenzt, im Bedarfsfall kann er allerdings auf bis zu 20 Monate verlängert werden.