Wien. Trotz der Corona-Pandemie hat sich das Übernahmekarussell weltweit und in Österreich weitergedreht, wenn auch langsamer als in den Vorjahren.
Konkret ist die Anzahl der Übernahmen mit österreichischer Beteiligung im Vergleich zum Vorjahreszeitraum von 153 auf 133 gesunken. Die Transaktionsvolumina stiegen dagegen um rund 86 Prozent von 4,4 Milliarden Euro auf 8,2 Milliarden Euro, so eine aktuelle Untersuchung von EY. Das Transaktionsvolumen schließt allerdings nur jene Transaktionen ein, deren Wert bekanntgegeben wurde, ist also weniger aussagekräftig.
Große Übernahmen
Ausschlaggebend für die aktuell hohen Volumina waren vier „Blockbuster“-Deals, die zusammen auch 86 Prozent des gesamten Transaktionsvolumen im ersten Halbjahr ausmachen:
- Die Aufstockung der Beteiligung der OMV an Borealis um rund 4,1 Milliarden Euro,
- der Kauf der AXA-Töchter in Polen, Tschechien und Slowakei durch die Uniqa um rund eine Milliarde Euro,
- die Übernahme der Erber Gruppe durch DSM um 980 Millionen Euro sowie
- der Kauf der Schweizer Globus-Warenhäuser durch Signa (gemeinsam mit der thailändischen Central Group) um insgesamt rund 936 Millionen Euro.
Das sind die Ergebnisse des zehnten österreichischen M&A-Index der Prüfungs- und Beratungsorganisation EY. Für die Analyse untersucht EY halbjährlich alle veröffentlichten Transaktionen mit österreichischer Mehrheits- und Minderheitsbeteiligung.
„Weltweit wird der M&A-Markt gerade mit besonders wachem Blick von den Unternehmen beobachtet. Die Corona-Pandemie verändert alle Lebensbereiche und zwingt viele Unternehmen dazu, ihre Business Pläne zu überarbeiten. Aktuell stehen die Stabilisierung des eigenen Geschäfts und die Sicherung der Liquidität im Vordergrund. Nachdem die Coronakrise zu einem leichten Abbremsen geführt hat, rechnen wir mit einem weiteren Rückgang der Transaktionsdeals im nächsten halben Jahr“, so Eva-Maria Berchtold, Partnerin und Leiterin der Strategie- und Transaktionsberatung (Strategy and Transactions) bei EY Österreich.
Andererseits sehe man, dass Deals, die mit dem Corona-Lockdown gestoppt wurden, jetzt wieder aufgegriffen werden und die Vorbereitungsarbeiten voll im Gange sind. Ab Anfang 2021 erwartet EY einen starken Anstieg – „unter anderem auch, weil Unternehmen in Schieflage geraten und zu Übernahmezielen werden. Darüber hinaus werden einige Unternehmen Desinvestitionen planen, um Liquidität zu schaffen“, so Berchtold.
Wohin das meiste Geld floß
Am meisten Geld floss erstmals seit Auflage des EY M&A-Index vor fünf Jahren bei innerösterreichischen Deals, im Zuge derer rund 4,5 Milliarden Euro investiert wurden. Diese teilen sich im Wesentlichen auf zwei Deals auf – rund 4,1 Milliarden Euro für die Aufstockung der Anteile der OMV bei Borealis sowie rund 400 Millionen Euro für den Kauf eines Immofinanz-Aktienpakets durch die Carpinus Holding. Ausländische Direktinvestitionen in Österreich betrafen im ersten Halbjahr 2020 insbesondere den Kauf der Erber Gruppe durch die niederländische DSM um rund eine Milliarde sowie mehrere mittelgroße Deals im Immobiliensektor. Der Appetit österreichischer Investoren auf Investments im Ausland ging dagegen um 44 Prozent von 3,6 Milliarden Euro auf zwei Milliarden Euro zurück.
„Wir erwarten einen Rückgang bei den Transaktionsdeals für das nächste halbe Jahr. Aufgrund der herausfordernden Situation bei vielen Unternehmen wurden Pläne für Übernahmen fürs Erste über Bord geworfen beziehungsweise auf die Seite gestellt. Für Käufer wird es aufgrund des volatilen Umfelds in Zukunft deutlich schwerer werden, Übernahmekandidaten zu bewerten. Gleichzeitig wird sich die Verkäuferseite schwerer tun, die neuen niedrigeren Bewertungsniveaus zu akzeptieren. Das Umfeld für M&A-Deals wird komplexer und vielschichtiger, aber gerade bei strategischen Investitionen auch spätestens ab dem vierten Quartal 2020 attraktiver“, so Robert Hufnagel, Partner und Leiter M&A Advisory bei EY Österreich.
Kaufgelegenheiten nach der Krise
Das aktuelle EY Capital Confidence Barometer, eine halbjährlich durchgeführte Umfrage unter 2.900 Managern von Großunternehmen weltweit, unterstreiche, dass der Übernahmeappetit mittelfristig wieder steigen wird.
- 52 Prozent der Unternehmen weltweit gaben Ende 2019 – vor dem Ausbruch der Coronakrise – an, Zukäufe in den nächsten zwölf Monaten zu planen.
- Sieben von zehn Großunternehmen (68 %) rechnen mit einem stärker werdenden M&A-Markt.
Zwar hat Corona hier zu einer leichten Bremsung geführt, werde gleichzeitig aber auch Kaufpreise sinken lassen. Weltweit setzen aktuell rund zwei von fünf Konzernen als Folge der COVID-19-Pandemie und im Zusammenhang mit der eigenen M&A-Strategie auf sinkende Bewertungen von Zielunternehmen. Mehr als jedes dritte Unternehmen richtet aber einen stärkeren Fokus auf die Belastbarkeit des Zielunternehmens.
Bei der Anzahl der Transaktionen lag der der Industriesektor im ersten Halbjahr mit 37 Deals vorne, gefolgt von Unternehmen aus der Technologiebranche (28 Deals) sowie dem Immobiliensektor mit 24 Transaktionen.