Frankfurt. Vorbeugung ist der wesentliche Treiber der Digitalisierung, so eine Umfrage unter Vorständen und Aufsichtsräten deutscher Großunternehmen.
Die Prävention vor digitalen Disruptoren ist der wesentliche Treiber für Digitalisierungsprozesse in Unternehmen. Das ergibt sich jedenfalls aus Tiefeninterviews, die die Kanzlei Noerr und die Technische Universität München mit Vorständen, Geschäftsführern und Aufsichtsratsvorsitzenden von DAX- und anderen Großunternehmen geführt, ausgewertet und mit dem Whitepaper „Wie Spitzenmanager die Digitalisierung voranbringen“ publiziert haben.
Während die Unternehmen das strategische Ziel Digitalisierung organisch aus dem Geschäft heraus vorantreiben, unterstützen M&A-Transaktionen diesen Prozess, denn damit erwerben sie das mit digitalen Technologien verbundene Wissen. Dabei haben der Vorstand und die Geschäftsführung entscheidenden Einfluss auf den Erfolg der Digitalisierung von Unternehmen, heißt es weiter.
Die Antriebskräfte hinter der Digitalisierung
Im Hinblick auf die Motive für die Digitalisierung zeichnen die Aussagen der befragten Vorstände und Aufsichtsratsvorsitzenden ein einheitliches Bild: „Die deutschen Großunternehmen gehen bedarfsorientiert vor“, so Noerr-Partner Gerald Reger: „Im Vordergrund steht die Prävention vor digitalen Disruptoren – auch wenn manche Geschäftsmodelle deutlich stärker betroffen sind als andere. Für die Interviewpartner besteht die Herausforderung darin, Unternehmen auf dem neuesten Stand zu halten, ohne jedem Hype zu folgen.“
Vorstände sehen sich bei der Digitalisierung in der Pflicht
Die befragten Vorstände und Geschäftsführer sehen die Verantwortlichkeit für die Digitalisierung in der obersten Führungsebene. Nur ein glaubwürdiges Vorantreiben des Themenkomplexes top-down garantiere den Erfolg. „Zugleich betonen die befragten CEOs, dass Dezentralisierung und die Eigeninitiative der Mitarbeiter gefördert werden sollen“, erläutert Reger.
Die befragten Unternehmensleiter betonen außerdem, dass es wichtig sei, talentierte Fachkräfte mit Digital-Know-how einzustellen. Denn die Digitalisierung erfolgt aus ihrer Sicht organisch aus dem Geschäft heraus. Skeptischer blicken sie auf den Zukauf von Unternehmen als Treiber für die digitale Transformation. M&A allein erlaube keine großen Sprünge in Bezug auf die Digitalisierung von Konzernen. Zukäufe fungierten aber als Katalysatoren für die Digitalisierung und nähmen deshalb einen wichtigen Platz in der „Weiterentwicklungs-Roadmap“ ein.
„Aus dieser Sicht dient M&A vor allem dem digitalen Wissenserwerb“, sagt Reger. Deshalb unterstreichen die Befragten, dass der digitale Reifegrad eines M&A-Zielunternehmens entscheidend sei. Eine Übernahme sei für größere Konzerne nur dann zu rechtfertigen, wenn das Target über einen Entwicklungsvorsprung im Hinblick auf eine digitale Technologie verfüge. Dazu Reger: „Die befragten CEOs verstehen große Unternehmer als Implementierer und weniger als Entwickler digitaler Technologien.“
Mitarbeiter des Zielunternehmens sind entscheidend
Digital-M&A-Transaktionen stellen Konzerne vor große Herausforderungen. Denn Dynamik und Innovationskraft des akquirierten Unternehmens sollen im Konzernverbund nicht verloren gehen. „Dafür müssen die Top-Talente des Zielunternehmens an Bord bleiben“, sagt Reger unter Verweis auf die Ergebnisse der Noerr-Studie „A blueprint for digitalisation“ aus dem Vorjahr, für die 150 Experten aus Unternehmen befragt wurden.
Danach haben bei erfolgreichen Transaktionen nur zwei Prozent der Mitarbeiter während der Integrationsphase das Unternehmen verlassen. Bei weniger erfolgreichen Transaktionen waren es rund elf Prozent. Auch die in Tiefeninterviews befragten CEOs betonen, dass Schlüsselmitarbeiter zumindest mittelfristig weiter für das Unternehmen tätig sein sollten. Sie seien neben der Technologie das einzige Kapital des akquirierten Unternehmens. Ein gutes Rentention-Management sei der Schlüssel zum Erfolg. Dies gelte auch hinsichtlich der Führungskräfte.
Strategische Frage: Wahl der passenden Beteiligungsform
Ob Konzerne bei Akquisitionen eher eine Minderheitsbeteiligung anstreben oder die Mehrheit am Target übernehmen wollen, sei eine strategische Frage:
- Geht es um die Erweiterung des Portfolios oder um die Verbesserung der technologischen Fähigkeiten, sind Mehrheitsübernahmen Mittel der Wahl.
- Minderheitsbeteiligungen sind nach Meinung der befragten Unternehmensleiter sinnvoll, um als Shareholder Impulse geben zu können oder um sicherzustellen, dass ein Unternehmen nicht vom Markt genommen wird.
An der Kundenfront ist die Digitalisierung am weitesten
Einig sind sich die Befragten darin, dass die Digitalisierung alle Geschäftsbereiche durchdringt und im Bereich kundenbezogener Anwendungen weit fortgeschritten ist. Im Back-End gebe es dagegen noch erheblichen Aufholbedarf. In beiden Bereichen würden zukünftig auf künstlicher Intelligenz basierende Anwendungen zur Unternehmens- und Prozessoptimierung erheblich an Bedeutung gewinnen.
Die mit Geschäftsleitern und Aufsichtsratsvorsitzenden von DAX- und anderen Großunternehmen geführten Tiefeninterviews sollen die Ergebnisse der Studie „A blueprint for digitalisation“ ergänzen, die Noerr und TU München 2019 vorgelegt haben. Die Studie habe ergeben, dass eine klare Digitalstrategie die wichtigste Voraussetzung für eine erfolgreiche Digitalisierung des Geschäftsmodells von Unternehmen darstellt. 71 Prozent der befragten 150 Entscheider gaben seinerzeit zudem an, dass M&A-Transaktionen mit einem digitalen Bezug dabei eine zentrale Rolle spielen.