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Recht

Österreichs Bundesverfassung feiert den 100. Geburtstag

©Parlamentsdirektion / Thomas Topf

Verfassung. Mit einem Festakt feiert das Parlament 100 Jahre österreichische Bundesverfassung: Die Jubilarin wird als „schön“ und technisch top beschrieben. Doch die politische Realität hat manchmal ihre eigene Sicht auf das B-VG.

Bundespräsident Alexander Van der Bellen sprach von ihrer „Eleganz und Schönheit“, sein Vorgänger im Amt, Heinz Fischer, lobte sie kürzlich in einem Presseartikel als „uneingeschränkt akzeptiert, klug und bewährt“, so die Parlamentskorespondenz.

Bundesratspräsidentin Andrea Eder-Gitschthaler attestierte ihr „beachtliche Vitalität“, sie könne aber auch unbequem und herausfordernd sein, etwa, wenn sie die Grenzen des politischen Spielraums aufzeige. Und Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka betonte, sie sei ein „Garant und Gerüst“ für das politische Zusammenleben, für die Stabilität der Staatsgewalten und biete einen umfassenden Schutz der Grund-und Freiheitsrechte.

Die Rede ist von der österreichischen Bundesverfassung, die heute auf den Tag vor 100 Jahren, am 1. Oktober 1920, von der Konstituierenden Nationalversammlung in Dritter Lesung als Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) einhellig beschlossen wurde. Sie zählt somit zu den ältesten Verfassungen Europas und der Welt.

Festakt in der Nationalbibliothek

Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka und Bundesratspräsidentin Andrea Eder-Gitschthaler nahmen diesen runden Geburtstag zum Anlass, zu einem Festakt in die Österreichische Nationalbibliothek zu laden.

Die Bundesratspräsidentin eröffnete die Veranstaltung, wobei sie festhielt, dass das B-VG bis heute ein Bundesstaatskompromiss sei, gerade was die Kompetenz der Bundesländer oder des Bundesrats betrifft. Abgerundet wurde der Festakt mit einem Ausblick durch Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka, der die Wahrung der Meinungsfreiheit und Meinungsvielfalt als einen wesentlichen Auftrag unserer Verfassung für die Zukunft sieht. Sorge bereite ihm jedoch der politische Umgang, der teilweise „wertend, unterstellend, moralisierend und auch respektlos“ sei.

Karoline Edtstadler, Bundesministerin für EU und Verfassung, und Bundespräsident Alexander Van der Bellen richteten ebenfalls Worte an die Anwesenden und ZuseherInnen. Das Staatsoberhaupt nannte die Bundverfassung einen „perfekten Wegweiser“, ein „Fundament der Demokratie“ und ein „Fundament unserer Republik“. Edtstadler sprach davon, dass sie der Republik als „Kompass“ durch das Jahrhundert gedient habe.

An der Podiumsdiskussion nahmen Bundeskanzlerin a.D. und VfGH-Präsidentin a.D. Brigitte Bierlein, Parlamentsdirektor Harald Dossi sowie der Geschäftsführer des Hans-Kelsen-Instituts Thomas Olechowski vom Institut für Rechts- und Verfassungsgeschichte der Universität Wien teil. Grundtenor der DiskutantInnen war, dass sich die Bundesverfassung immer als krisenfest erwiesen hat.

Als Gäste konnten unter anderem Christoph Kardinal Schönborn, Vizekanzler Werner Kogler, der ehemalige Nationalratspräsident Andreas Khol, der Präsident des Verfassungsgerichtshofs Christoph Grabenwarter und Rechnungshofpräsidentin Margit Kraker sowie VertreterInnen der Parlamentsparteien und Mitglieder der Volksanwaltschaft begrüßt werden.

Moderiert wurde der Festakt von Gerald Gross, für die musikalische Begleitung sorgte das Selini Quartett.

Der Föderalismus prägt Österreich

Im Rahmen ihrer Begrüßung konzentrierte sich Bundesratspräsidentin Andrea Eder-Gitschthaler vor allem auf den föderalistischen Aspekt der Bundesverfassung. „Der Föderalismus des B-VG war und ist wesentliches Element zur Identitätsbildung und zum Zusammenhalt Österreichs“, sagte sie. Er sei mehr als ein Organisationsprinzip. Er sei keine Kopfgeburt, sondern eine Herzensangelegenheit.

Föderalismus ist für Eder-Gitschthaler Ausdruck des unbedingten Willens, im Miteinander die Zukunft zu finden und sich im gegenseitigen Respekt gemeinsam auf den Weg zu machen. Sie wies auch auf die Bedeutung der Länder und Länderkonferenzen zur Konsolidierung der Staatsgewalt in der Ersten Republik und die Ausarbeitung der Bundesverfassung hin, fügte aber hinzu, dass sich die Länder im Prozess der Kompromissfindung vor 100 Jahren zunehmend weniger behaupten konnten. Daher sei das B-VG ein „Bundesstaatskompromiss“.

Dass die Landeshauptleutekonferenz als ein Organ außerhalb der Verfassung existiert, das Einfluss auf das politische Geschehen im Bundesstaat ausübt, ist für die Bundesratspräsidentin ein typisch österreichischer Weg. In diesem Sinne erweise sich die Bundesverfassung nicht nur elegant, sondern auch tolerant, bemerkte Eder-Gitschthaler.

„Kluge Weiterentwicklung der Verfassung“

Die Verfassung einer liberalen Demokratie ziele nicht auf einen Vollkasko-Staat ab, appellierte Bundesministerin für EU und Verfassung Karoline Edtstadler an die Eigenverantwortung der Bürgerinnen und Bürger. Der Schutz der Freiheitsrechte bedeute keinesfalls, dass wir all unserer Eigenverantwortung entledigt seien, auch wenn das Bedürfnis in Krisenzeiten nach detaillierten Regelungen groß sei, hielt sie in Anspielung auf die gegenwärtige Situation fest.

Grundsätzlich sprach sich Edtstadler für eine kluge Weiterentwicklung der Verfassung aus, ohne an deren Grundprinzipien zu rütteln. Sie sei auch in der Vergangenheit teils durch Verfassungsänderungen, teils durch die Judikatur des VfGH mit dem gesellschaftlichen Wandel gewachsen, etwa was die Rolle der Frau, das Verständnis von Familie oder die Kodifikation der Kinderrechte betrifft.

Als vordringlich erachtet die Ministerin, den technischen Wandel in der Verfassung zu berücksichtigen, vor allem im Hinblick auf Desinformation, Hass im Netz und die Bündelung von Macht bei wenigen supranationalen Konzernen. Edtstadler ortet eine konkrete Gefahr für die Demokratie, wenn Menschen die Welt nur noch in begrenzten Filterblasen wahrnehmen. Das Recht auf Meinungsäußerungsfreiheit begründe nicht das Recht auf eigene Fakten, stellte sie fest. Vielmehr liege es in der gemeinsamen Verantwortung, Anstrengungen für Faktentreue und Objektivität im neuen Medienpluralismus zu unternehmen und vor diesbezüglichem Missbrauch zu schützen.

„Augenmaß und Umsicht bei Einschränkung der Grundrechte“

Bundespräsident Alexander Van der Bellen bekräftigte seine Auffassung von der „Eleganz“ der Bundesverfassung, indem er auf die Ereignisse im Jahr 2019 und auf die aktuellen Herausforderungen durch die Corona-Pandemie einging.

Im Mai und Juni 2019 habe die Bundesverfassung die Lösung der damaligen Regierungskrise ohne interpretatorische Kunststücke allein aufgrund ihres klaren Wortlauts ermöglicht und sich damit als „hervorragender Wegweiser“ durch eine in der Zweiten Republik noch nie dagewesene Situation erwiesen, lobte Van der Bellen die Väter des B-VG.

Die Bundesverfassung habe ihre Aufgabe als Basis des staatlichen Geschehens und als Wahrerin der Grundrechte in den hundert Jahren ihres Bestehens hervorragend erfüllt, so der Bundespräsident.

Im Hinblick auf die aktuelle Situation bezeichnete das Staatsoberhaupt die „in dramatischer Weise“ erfolgten Einschränkungen der verfassungsrechtlich gewährleisteten Grund- und Freiheitsrechte in der Covid-19-Pandemie als eine „leider notwendige Zumutung“. Gleichzeitig forderte er eine laufende Abwägung und breite gesellschaftliche Debatte ein, um die richtige Verhältnismäßigkeit herzustellen, wie viel wir von einem Grundrecht herzugeben bereit sind, um ein anderes zu schützen. Das richtige Augenmaß bei derartigen essentiellen Entscheidungen dürfe man dabei nie verlieren, und darauf werde er in seiner Verantwortung immer sorgsam und penibel achten, betonte Van der Bellen. Augenmaß und Umsicht gebiete auch der Respekt vor unserer bewährten Verfassung, sagte er.

Mit Nachdruck unterstrich er in diesem Zusammenhang, dass Einschränkungen der Grundrechte nur so lange gelten dürfen, wie sie den besonderen Umständen der gegenwärtigen gesundheitlichen Krise geschuldet sind. Er sei froh, fügte er hinzu, dass es darüber einen breiten politischen Konsens gibt.

Das B-VG blieb bis heute Österreichs Fundament

Artikel I des B-VG „Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus“ ist in den Köpfen der Österreicherinnen und Österreicher fest verankert, ebenso dass Österreich ein Bundesstaat ist. Prägend für die Republik waren aber auch das Verbotsgesetz vom 8. Mai 1945 sowie der Staatsvertrag vom 15. Mai 1955. Sie sollen deshalb in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt bleiben.

Der parlamentarische Prozess, der schließlich zur Beschlussfassung des B-VG geführt hat, war ein mühsamer. Vor dem Hintergrund einer politisch äußerst schwierigen Situation und einer aufgeheizten Stimmung war es, wie Bundespräsident Alexander Van der Bellen sagte, eine „politische Meisterleistung“ und einer großen Kompromissbereitschaft von allen Seiten geschuldet, dass die Verfassung überhaupt beschlossen werden konnte. Die politische Debatte war nicht nur durch die großen Auffassungsunterschiede zwischen den politischen Lagern und dem Ringen zwischen Zentralstaat und Bundesländern geprägt. Die Beschlussfassung erfolgte auch 16 Tage vor den für den 17. Oktober 1920 angesetzten Neuwahlen, nachdem die Koalition zwischen Sozialdemokraten und Christlichsozialen zerbrochen war und eine Übergangsregierung die Amtsgeschäfte führte.

Den Grundstein dafür, dass das Bundes-Verfassungsgesetz auch nach zahlreichen Novellierungen Grund- und Leitnorm sowie Fundament der freien, demokratischen Republik Österreich geblieben ist, sei nicht zuletzt auch der hervorragenden fachlichen Unterstützung durch das Juristenteam Hans Kelsen, Georg Froehlich und Adolf Merkel zu danken.

Die großen Brocken wurden erst später angegangen

  • Der politische Kompromiss war damals auch nur möglich, weil sensible Bereiche, wie die Finanzverfassung, Fragen der Organisation der Verwaltung in den Ländern und der Kompetenzen im Schul- und Erziehungswesen, ausgeklammert und erst später, im Rahmen der Verfassungsnovelle 1925 geregelt wurden.
  • Auch die Neuformulierung der Grundrechte wurde ausgespart, man griff auf das Staatsgrundgesetz vom 21. Dezember 1867 zurück.
  • 1958 trat Österreich der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) bei, sie steht seit 1964 im Verfassungsrang.
  • Mit dem Vertrag von Lissabon trat am 1. Dezember 2009 auch die Charta der Grundrechte der EU in Kraft. Seit einer richtungsweisenden Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes (VfGH) im Jahr 2012 sind die darin verankerten Rechte nationalen Grundrechten einschließlich der EMRK prinzipiell gleichgestellt und somit auch vor dem VfGH durchsetzbar.

Das B-VG hatte eine wechselvolle Geschichte. So wurde es im Juli 1925 und im Dezember 1929 in wichtigen Punkten abgeändert, 1929 wurde die Rolle des Bundespräsidenten und der Bundesregierung gestärkt. Im Mai 1934 wurde die Bundesverfassung zur Gänze außer Kraft gesetzt und durch eine autoritäre Verfassung ersetzt. Vier Jahre später gab es unter dem Nazi-Regime überhaupt keine österreichische Verfassung mehr.

Ein selbstständiges Österreich konnte erst im April 1945 wieder errichtet werden. Abermals wurde das B-VG zur Grundlage der Republik und ist es bis heute – trotz zahlreicher Änderungen – geblieben.

Im Jahr 2003 machte das Parlament einen Vorstoß zu einer grundlegenden Staats- und Verfassungsreform und setzte dazu den Österreich-Konvent unter dem Vorsitz des ehemaligen Rechnungshofpräsidenten Franz Fiedler ein. Der Konvent tagte vom 30. Juni 2003 bis 31. Jänner 2005 und legte einen umfassenden Bericht vor. Im Februar 2007 wurde unter dem Vorsitz des Leiters des Verfassungsdienstes im Bundeskanzleramt, Georg Lienbacher, eine Expertengruppe beim Bundeskanzleramt eingerichtet.

Die neuen Veränderungen

Als eines der Ergebnisse daraus wurde im Rahmen des „Demokratiepakets“ das Wahlalter auf 16 Jahre gesenkt, die Briefwahl eingeführt und die Legislaturperiode des Nationalrats von vier auf fünf Jahre verlängert. Auf der Grundlage der Vorschläge dieser Expertengruppe beschloss das Parlament unter anderem auch die Bereinigung des Bundesverfassungsrechts und die Neuregelung weisungsfreier Behörden.

Das neue Bundeshaushaltsrecht basiert ebenso wie die Schaffung der neun Landesverwaltungsgerichte, des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesfinanzgerichts auf Vorschlägen des Österreich-Konvents.

 

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