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Whistleblowing wird Pflicht: Der Stand der Vorbereitung

Marcus Sultzer ©EQS Group

Countdown. Am 17.12.2021 werden Hinweisgebersysteme Pflicht für EU-Firmen: Den Stand der Vorbereitungen und bisherige Whistleblowing-Erfahrungen der Unternehmen wurden jetzt auf der ECEC 2021 präsentiert.

Die Uhr tickt: Noch etwas mehr als zwei Monate, dann sind alle Unternehmen in der EU ab einer gewissen Mindestgröße dazu verpflichtet, Hinweisgebersysteme – also Anlaufstellen für Whistleblower – einzurichten: Ab 250 Mitarbeiternenden gilt die Pflicht sofort, für Unternehmen ab 50 Mitarbeiter dann zwei Jahre später.

Gleichzeitig erfolgt eine rechtliche Besserstellung der Hinweisgeber: Sie bringt unter anderem eine Beweislastumkehr, warnte Marcus Sultzer, Vorstand der EQS Group, bei der Präsentation der Studiue „Whistleblowing Report 2021“, der im Rahmen der European Compliance and Ethics Conference (ECEC) vorgestellt wurde. Das gelte unabhängig davon, ob die zugrundliegende EU-Richtlinie bereits in nationales Recht umgesetzt wurde oder nicht.

Doch die Unternehmen sind sich noch nicht alle der Bedeutung der Neuerungen bewusst: So erfüllt beispielsweise nur jedes siebte deutsche Unternehmen laut der Studie bereits alle Anforderungen der EU-Whistleblower-Richtlinie.

Die Studie

ECEC-Veranstalter EQS Group führt gemeinsam mit der Schweizer Fachhochschule Graubünden seit dem Jahr 2017 Studien zu Hinweisgebersystemen und Whistleblowing in Europa durch. Als Technologieanbieter für Compliance-Themen, Investor Relations u.a. glaube man nicht nur an die Technik, sondern sei auch von der Wichtigkeit von Ethik und Compliance im Unternehmensalltag überzeugt.

Wurde beim ersten Durchgang 2017 nur die Situation in der Schweiz erfasst, folgte 2019 die Ausweitung auf Deutschland, Frankreich und das Vereinigte Königreich. 2021 standen bei der Studie die Auswirkungen der EU-Richtlinie sowie die der Corona-Pandemie im Mittelpunkt, erläutert Professor Christian Hauser von der Fachhochschule Graubünden, der als Projektleiter verantwortlich für die Erstellung des Reports war. Dabei wurden heuer insgesamt 1.239 Unternehmen aus den vier Ländern befragt.

Im Gegensatz zu anderen internationalen Studien stand nicht die Einstellung der Whistleblower selbst, also sozusagen der wirtschaftspsychologische Ansatz, im Vordergrund, sondern man wollte herausfinden, wie gut bestimmte Tools und organisatorische Maßnahmen in Sachen Whistleblowing funktionieren – und warum, so Hauser.

Wichtigste Erkenntnis: Die Inhalte der EU-Richtlinie zum Schutz von Hinweisgebenden erfahren bei den europäischen Compliance-Verantwortlichen große Zustimmung, dennoch erfüllt bisher nur jedes siebte Unternehmen in Deutschland alle Anforderungen der neuen Regulierung, die am 17. Dezember 2021 in Kraft tritt.

„Wenige Monate vor dem Inkrafttreten der Richtlinie sind viele Unternehmen noch nicht ausreichend vorbereitet. Die Unternehmen sollten nun die verbleibende Zeit nutzen, um ein effizientes Meldesystem einzuführen, das ihre Prozesse und Kultur stärkt“, erklärt Hauser.

Mehr als ein Drittel der Unternehmen von Missständen betroffen

  • Bisher verfügen 73,9 Prozent der Unternehmen in Deutschland mit mehr als 249 Mitarbeitenden über eine Meldestelle als Instrument zur Prävention und Aufdeckung von Missständen und erfüllen damit eine der zentralen Anforderungen der EU-Whistleblower-Richtlinie.
  • Bei den kleinen und mittleren Unternehmen (20 bis 249 Mitarbeitende) liegt der Anteil dagegen erst bei 43,7 Prozent, allerdings fallen die meisten von diesen (ab 50 Mitarbeitende) auch erst in zwei Jahren unter die Richtlinie. Die kleineren Unternehmen mit 20 bis 49 Mitarbeitenden sind davon gar nicht betroffen.
  • Im Zeitablauf zeigt sich eine Zunahme: Insgesamt hatten zum Untersuchungszeitraum 63,4% der Unternehmen eine Meldestelle, 2019 waren es erst 59,6%.

„Alle drei Jahre passiert etwas“

Wie wichtig ein funktionierendes Meldesystem ist, zeige die Tatsache, dass 37,1 Prozent der Unternehmen in Deutschland im Jahr 2020 von illegalem und unethischem Verhalten betroffen waren, das sind mehr als in Großbritannien (35,8%), Frankreich (32,8%) und der Schweiz (32,5%).

Im internationalen Durchschnitt passierte also bei rund einem Drittel der Unternehmen etwas, erläutert Hauser – und stellt dazu fest, dass man diesen Anteil durchaus auch so auffassen könne, dass pro Unternehmen alle drei Jahre etwas passiere. Dabei wurden in der Studie nur Vorfälle gezählt, die entweder ungesetzlich waren oder gegen einen Code of Conduct oder andere unternehmensinterne Vorschriften („Soft Law“) verstießen. Von Vorfällen häufiger betroffen sind übrigens Finanzunternehmen sowie Firmen mit großen Auslandsaktivitäten.

Whistleblowing erweist sich als effektiv

Den finanziellen Schaden durch die Missstände beziffert gut ein Viertel der betroffenen deutschen Unternehmen mit mehr als 100.000 Euro. In der Schweiz lag der Schaden bei mehr als einem Drittel der Unternehmen über der 100.000 Euro-Grenze, in Großbritannien dagegen nur bei knapp 20 Prozent.

Erfreulich sei jedenfalls, dass mithilfe der Meldestelle beispielsweise fast 40 Prozent der befragten deutschen Unternehmen über 80 Prozent des finanziellen Gesamtschadens aufdecken konnten. Anders ausgedrückt: Whistleblowing erweist sich demnach als durchaus effektiv.

Coronabedingte Entlassungen erhöhen Wahrscheinlichkeit von Missständen

Der Report untersucht außerdem die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Meldebereitschaft:

  • Im vergangenen Jahr erhielten die europäischen Unternehmen mit Meldestelle im Schnitt 34 Hinweise, was einem deutlichen Rückgang gegenüber dem Jahr 2018 (52) bedeutet. Basierend auf den Befunden anderer Studien lasse sich hier ableiten, dass die Pandemie zu gewissen Dysfunktionalitäten von Prozessen und Strukturen geführt hat, die auch die Meldestellen betreffen.
  • Unternehmen, bei denen es coronabedingt zu einem Mitarbeiterabbau kam oder in denen ein Großteil der Mitarbeitenden im Homeoffice (> 66 %)gearbeitet hat, verzeichneten hingegen mehr Meldungen als andere Unternehmen. Allerdings war bei diesen auch die Wahrscheinlichkeit höher, von Missständen betroffen zu sein.

Nur rund 10 Prozent der Hinweise sind missbräuchlich

Die Studie widerlege auch erneut eindrucksvoll den häufig geäußerten Vorbehalt, dass Meldestellen vermehrt missbräuchlich genutzt werden könnten, betonen FH Graubünden und EQS Group: In Deutschland hatte demnach nur jede zehnte Meldung nicht wahrheitsgemäße oder verleumderische Inhalte. Dass Meldestellen für Whistleblower also dazu verwendet werden, unbescholtene Kolleg*innen anzuschwärzen, sei in der Regel nicht der Fall.

Dieser Wert lag auch bei jenen Unternehmen nicht höher, die anonyme Hinweise erlauben. „Unternehmen sollten deshalb anonyme Meldungen zulassen, ansonsten laufen sie Gefahr, dass wichtige Hinweise auf Rechtsverstöße sie nicht oder nur verspätet erreichen“, erklärt Sultzer. Es sei auch ein klarer Trend zu anonymen Systemen erkennbar, was begrüßenswert sei. Grundsätzlich sei eine möglichst offene und effektive Kommunikation mit den Whistleblowern am effektivsten – und zwar außerhalb der Linienverantwortung, also ohne dass der oder die unmittelbare Vorgesetzte eingeschaltet ist.

In Deutschland können demnach bereits bei 73,2 Prozent der Meldestellen Hinweise ohne Angaben zur Identität eingereicht werden. In der Schweiz (57,1 %), Großbritannien (55,3 %) und Frankreich (48,8 %) sind es deutlich weniger.

A propos Meldungen: Große Unternehmen erhalten laut der Studie im Jahr durchschnittlich 46 Whistleblowing-Meldungen über ihre Meldestelle, bei den kleinen sind es 6. Zwar liegt der Anteil missbräuchlicher Meldungen nur bei rund einem Zehntel, rund die Hälfte erweise sich aber als irrelevant: Ihnen liegt kein Rechtsverstoß zugrunde, sondern oft so banale Probleme wie ein ausgefallener Drucker, der der Hinweis- statt der IT-Meldestelle angedient wird.

 

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