Gastbeitrag. Die Blockchain ist ein Antriebsmotor der Digitalisierung. Häufig wird für ihren Einsatz eine „DAO“ (Decentralized Autonomous Organization) aufgesetzt – eine autonome Organisation von Personen, die mit Smart Contracts interagieren. Dabei stellen sich noch etliche offene Rechtsfragen, schildern Marcus Lusar und Clara Sator von Kanzlei Cerha Hempel in ihrem Gastbeitrag.
1. Die Zukunft hat schon begonnen – die „DAO“ als neue globale Organisationsform
Der Anwendungsbereich der Blockchain-Technologie erweitert sich stetig, so etwa um die sog. „DAOs“. DAO steht dabei für Decentralized Autonomous Organization. Üblicherweise ist damit eine dezentralisierte, autonom agierende Organisation gemeint, die auf vielen miteinander interagierenden Smart Contracts basiert. Sie ermöglicht – ähnlich wie gewöhnliche Gesellschaftsformen – ein organisiertes Zusammenwirken von Personen im Rahmen eines vorab festgelegten Handlungssystems.¹
Durch Kapitalgeber werden ihr finanzielle Mittel zugeführt, die in weiterer Folge durch vorab definierte Regelungen (Smart Contracts) verwaltet werden.² Jüngst kursierte beispielsweise die Constitution DAO in den Medien, die vergangenen November nahezu 47 Millionen Dollar an Kapital eingesammelt hatte, um eine seltene Kopie der US-Verfassung bei einer Sotheby’s-Auktion zu erwerben.³ Für mediales Aufsehen sorgte auch die AssangeDAO, die fast 56 Millionen Dollar generierte, um die Befreiung des WikiLeaks-Gründers Julian Assange zu unterstützen.⁴
2. Zu Blockchains und Smart Contracts
Wenn Sie bis jetzt nur Chinesisch verstehen, sind Sie sich nicht alleine. Denn die Infrastruktur einer DAO gründet im Wesentlichen auf einer Fülle miteinander verknüpfter Smart Contracts, die auf der Blockchain abgelegt werden. Um die Funktionsweise einer DAO somit zu verstehen, ist daher ein Grundverständnis der Blockchain-Technologie und der darauf abgelegten Smart Contracts notwendig. Die Blockchain ist vereinfacht gesagt eine dezentralisierte Datenbank. Dezentralisiert bedeutet, dass Kopien aller Daten auf dem Rechner jedes einzelnen Teilnehmers gespeichert und jederzeit einsehbar sind. Alle Transaktionen können aufgrund einer digitalen Signatur auf einen bestimmten digitalen Schlüssel zurückgeführt werden. Einmal gespeicherte Daten können nicht mehr gelöscht werden.
Smart Contracts ermöglichen die automatische Ausführung vordefinierter – als Wenn-Dann-Bedingungen festgelegter – Programmabläufe. Sobald also eine vorab bestimmte, digital überprüfbare Bedingung eintritt, wird ein bestimmter Vorgang – wie beispielsweise die Erfüllung eines Vertrages – ausgeführt. Durch die Ablage der Smart Contracts auf der Blockchain, ist sichergestellt, dass die automatisierten Regeln nahezu unveränderbar und öffentlich einsehbar sind.
3. Decentralized Autonomous Organization – „DAO“
3.1. THE DAO
Eines der prominentesten DAO-Projekte war die von Christoph Jentzsch ins Leben gerufene The DAO.⁵ Jentzsch veröffentlichte im Jahr 2016 ein Whitepaper,⁶ in dem er die „Gründung“ einer Organisation plante, die im Wesentlichen auf Smart Contracts und der Ethereum-Blockchain basierte. Kritisiert wurden dabei die üblichen Organisationsformen von Unternehmen, weil diese für deren Handlungsfähigkeit überwiegend dem Dazwischentreten eines Menschen bedürfen, die sich ihrerseits unglücklicherweise oftmals nicht an gesetzliche oder vertragliche Regelungen halten würden. Allfällige straf- oder zivilrechtliche Sanktionierung der Verantwortlichen wäre ein schwacher Trost für jene Anleger, die ihr Geld verloren hatten.
Um dem entgegenzuwirken, machte The DAO Gesellschaftsorgane überflüssig und erforderte darüber hinaus auch keine Vertrauensbasis zwischen den Teilnehmern. Teilnehmer konnten außerdem in Echtzeit direkt auf die Verwendung des eingebrachten Vermögens Einfluss nehmen.
3.2. „Gründung“ und Funktionsweise einer DAO
Basierend auf dem Modell von Jentzsch erfolgt der „Gründungsprozess“ durch Ablage eines Programmcodes auf der Blockchain. Dieser legt – ähnlich wie ein Gesellschaftsvertrag – Eckpunkte zur grundlegenden Organisation, wie Teilnehmerrechte, sowie Preis und Anzahl der Anteile an der DAO fest. Außerdem wird eine Mindesthöhe an aufzubringendem Gründungskapital (creation goal) und ein Zeitraum, in dem dieses Ziel erreicht werden muss (creation phase) definiert. Wird das creation goal nicht innerhalb der creation phase erreicht, entsteht die DAO nicht und diejenigen Kapitalgeber, die bereits Geld überwiesen haben, erhalten ihr Geld zurück.⁷
Nach Ablage des Programmcodes auf der Blockchain beginnt die Kapitalaufnahme. Investoren können Anteile in Form von Token im Rahmen eines Initial Coin Offerings beziehungsweise Initial Token Offerings durch Übersendung eines Kaufpreises (idR in Form einer Kryptowährung, zB Ether) an eine digitale Adresse erwerben. Diese Anteile (Equity Token) vermitteln Eigentümer- und Stimmrechte und sind frei übertragbar.
Die Tätigkeit der erfolgreich gegründeten DAO besteht im Wesentlichen in der Verwaltung der aufgebrachten finanziellen Mittel, die – entsprechend der vorher definierten Regeln – verwendet werden. Die Tokeninhaber können Investitionsvorschläge (proposals) unterbreiten, und so direkt an den Entscheidungen über die Kapitalverwendung mitwirken, wobei jedem Tokeninhaber ein Vorschlagsrecht zukommt. Über Vorschläge wird innerhalb der Gemeinschaft entschieden; die Mehrheitserfordernisse werden vorab festgelegt und können von DAO zu DAO unterschiedlich sein. Wird ein Vorschlag angenommen, wird dieser wiederum mithilfe von Smart Contracts umgesetzt.
3.3. Schwierige rechtliche Einordnung
In der juristischen Literatur fällt eine rechtliche Einordnung dieses neuen Phänomens schwer,⁸ allen voran werden die gesellschaftsrechtlichen Implikationen diskutiert. Es stellen sich mehr rechtliche Fragen als es Antworten gibt, weil ein traditioneller gesetzlicher Regelungsrahmen fehlt. Fraglich ist beispielsweise, ob das neuartige Gebilde eine Gesellschaftsform sui generis ist,⁹ was aufgrund des numerus clausus der Gesellschaftsformen sowohl in Österreich¹⁰ als auch in Deutschland¹¹ abzulehnen ist. Denkbar wäre es, DAOs unter dem Auffangtatbestand der GesBR zu subsumieren,¹² sodass ihr keine Rechtsfähigkeit zukommt.¹³ Dies birgt jedoch theoretisch die Gefahr der unbeschränkten Haftung der „Gesellschafter“ gegenüber Gläubigern.
Daneben ist überhaupt ungeklärt, welches nationale Recht auf die DAO anwendbar ist, da ihr „Sitz“ auf der Blockchain¹⁴ und dezentralisiert ist, und die Teilnehmer auf der gesamten Welt verstreut sein können.¹⁵ Ein Rückgriff auf die im internationalen Gesellschaftsrecht geltende Gründungs- als auch Sitztheorie bringt in vielen Konstellationen auch kein Ergebnis. In der (deutschen) Literatur wird ein Rückgriff auf die lex fori, also das Recht des angerufenen Gerichts, vorgeschlagen,¹⁶ was jedoch zu willkürlichen Ergebnissen führen dürfte.¹⁷ Selbst wenn man aber zu einem anwendbarem Recht gelangen würde, stellt sich das Problem, dass eine DAO häufig mangels Rechtsfähigkeit selbst nicht parteifähig ist – und daher weder selbst klagen, noch geklagt werden kann. Lediglich die Tokeninhaber selbst könnten belangt werden, jedoch werden diese oftmals nicht auffindbar sein.¹⁸
3.4. Wyoming als Vorreiter
Eine Vorreiterrolle zur Schaffung eines eigenen Rechtsrahmens hat der US-Bundesstaat Wyoming eingenommen, der erst kürzlich ein Gesetz erlassen hat, das die Gründung und Verwaltung von DAOs reglementiert.¹⁹ Die Entwicklung in Österreich und Europa bleibt abzuwarten. Angesichts steigender Beliebtheit und zahlreicher damit einhergehenden – weitgehend unbeantworteten – Rechtsfragen, erscheint es aber unerlässlich, dass der Gesetzgeber tätig wird. Außerdem könnte es der DAO dadurch ermöglicht werden, abseits der Blockchain (rechtsgeschäftlich) zu handeln.²⁰ Bis dato bedarf es für das Tätigwerden in der analogen Welt noch eines Vermittlers beziehungsweise Treuhänders.²¹
Die Autorinnen und Autoren
- Marcus Lusar ist Rechtsanwaltsanwärter bei Cerha Hempel und spezialisiert auf die Bereiche Corporate (va Start-ups & Venture Capital), IT-Verträge und Restrukturierungen.
- Clara Sator ist juristische Mitarbeiterin bei Cerha Hempel und im Bereich Corporate Commercial tätig.
Fußnoten
1 Geißler, Decentralized Autonomous Organizations, in Hanzl/Pelzmann/Schragl, Handbuch Digitalisierung 355 (357); Brogyanyi/Burian, Decentralized Autonomous Organization, in Anderl, Blockchain in der Rechtspraxis 195 (196).
2 Hanzl/Rubey, Blockchain – frischer Wind im Gesellschaftsrecht, GesRZ 2018, 102 (103).
3 https://www.forbes.com/sites/abrambrown/2021/12/01/crypto-tokens-people-constitution-dao-ether-redeem-refund/?sh=6c9a708c6f3f
4 https://www.businessinsider.com.au/julian-assange-dao-nft-bid-wikileaks-founder-pak-53-million-2022-2/amp.
5 Brogyanyi/Burian, Decentralized Autonomous Organization, in Anderl, Blockchain in der Rechtspraxis 195 (196); Hanzl, Decentralized Autonomous Organization („DAO”) – Notwendigkeit eines neuen Gesellschaftstyps? ÖJZ 2019, 293 (293).
6 Jentzsch, Decentralized Autonomous Organization to Automate Governance Final Draft – Under Review, ursprünglich abrufbar unter https://download.slock.it/public/DAO/WhitePaper.pdf.
7 Hanzl, Decentralized Autonomous Organization („DAO”) – Notwendigkeit eines neuen Gesellschaftstyps? ÖJZ 2019, 293 (294).
8 In Österreich beispielsweise Hanzl/Rubey, Blockchain – frischer Wind im Gesellschaftsrecht, GesRZ 2018, 102; Thöni, Die DAO (Decentralized Autonomous Organization) – eine Gesellschaftsform sui generis? GES 2018, 371; Geißler, Decentralized Autonomous Organizations, in Hanzl/Pelzmann/Schragl, Handbuch Digitalisierung 355. In Deutschland etwa Mann, Die Decentralized Autonomous Organization – ein neuer Gesellschaftstyp? NZG 2017 1014.
9 So Hanzl/Rubey, Blockchain – frischer Wind im Gesellschaftsrecht, GesRZ 2018, 102 (104).
10 Brogyanyi/Burian, Decentralized Autonomous Organization, in Anderl, Blockchain in der Rechtspraxis 195 (196); Thöni, Die DAO (Decentralized Autonomous Organization) – eine Gesellschaftsform sui generis? GES 2018, 371 (376); wohl auch Gassner, Gesellschaftsrecht, in Binder Grösswang, Digital Law2, 77 (102).
11 ZB Mann, Die Decentralized Autonomous Organization – ein neuer Gesellschaftstyp? NZG 2017 1014 (1017).
12 Hanzl, Decentralized Autonomous Organization („DAO”) – Notwendigkeit eines neuen Gesellschaftstyps? ÖJZ 2019, 293 (296); Gassner, Gesellschaftsrecht, in Binder Grösswang, Digital Law2, 77 (101). Offenlassend Thöni, Die DAO (Decentralized Autonomous Organization) – eine Gesellschaftsform sui generis? GES 2018, 371 (376).
13 Hanzl, Decentralized Autonomous Organization („DAO”) – Notwendigkeit eines neuen Gesellschaftstyps? ÖJZ 2019, 293 (296).
14 Thöni, Die DAO (Decentralized Autonomous Organization) – eine Gesellschaftsform sui generis? GES 2018, 371 (373).
15 Hanzl, Decentralized Autonomous Organization („DAO”) – Notwendigkeit eines neuen Gesellschaftstyps? ÖJZ 2019, 293 (296).
16 Mann, Die Decentralized Autonomous Organization – ein neuer Gesellschaftstyp? NZG 2017 1014 (1019 f).
17 Gassner, Gesellschaftsrecht, in Binder Grösswang, Digital Law2, 77 (104).
18 Gassner, Gesellschaftsrecht, in Binder Grösswang, Digital Law2, 77 (104).
19 Geißler, Decentralized Autonomous Organizations, in Hanzl/Pelzmann/Schragl, Handbuch Digitalisierung 355 (367 f).
20 Thöni, Die DAO (Decentralized Autonomous Organization) – eine Gesellschaftsform sui generis? GES 2018, 371 (375); Gassner, Gesellschaftsrecht, in Binder Grösswang, Digital Law2, 77 (103).
21 Gassner, Gesellschaftsrecht, in Binder Grösswang, Digital Law2, 77 (101).