Billigprodukte. Der Einsturz der Textilfabrik Rana Plaza mit 1.100 Toten jährt sich am Sonntag zum neunten Mal. Das neue EU-Lieferkettengesetz ist eine Konsequenz daraus – aber noch nicht scharf genug, so NGOs.
Ohne Nachschärfungen werde sich Rana Plaza wiederholen, heißt es konkret in einer Aussendung: Mehr als 1.100 Menschen verloren 2013 in dem als einsturzgefährdet bekannten Gebäudekomplex Rana Plaza in Bangladesh ihr Leben, weit über 2.000 wurden verletzt. Der Gebäudeeinsturz gilt als schwerste Katastrophe der Textilindustrie. In der Fabrik ließen bekanntlich etliche namhafte europäische Unternehmen produzieren – und auch heute noch gilt die Modeindustrie als einer der Brennpunkte im Konflikt möglichst kostengünstiger Produktion vs. Nachhaltigkeit.
Ende Februar 2022 präsentierte die EU-Kommission nun den lang erwarteten Vorschlag für ein EU-Lieferkettengesetz. Vertreter*innen der zivilgesellschaftlichen Kampagne “Menschenrechte brauchen Gesetze!” kritisierten bei einem gemeinsamen Pressegespräch mit Kalpona Akter, Arbeitsrechtsaktivistin und Gründerin der „Bangladesh Center for Workers Solidarity“, jedoch die politischen Fortschritte seit dem Einsturz von Rana Plaza: Der Richtlinienentwurf der EU sei nicht adäquat, um die Arbeiter*innen vor Ort ausreichend zu schützen. Die Forderung: Wenn ein Unglück passiert, sollen Arbeiter das Recht haben, das Unternehmen in dem Land zu verklagen, in dem es ansässig ist.
„Das Rana Plaza Gesetz wirkt nicht“
„Als in Frankreich 2017 das erste Lieferkettengesetz weltweit beschlossen wurde, sprach man vom „Rana Plaza Gesetz“ – und alle wussten sofort, warum es so ein Gesetz geben muss. Eine Schwäche des französischen Gesetzes, und leider auch des neuen EU Richtlinienvorschlags, ist allerdings, dass Betroffene von Menschenrechtsverletzungen noch immer massive Hürden zu überwinden haben, um tatsächlich zu ihrem Recht zu kommen. Eine der größten Hürden ist dabei die Beweislast. Sie darf nicht allein auf den Schultern der Betroffenen liegen“, so Claudia Saller, Geschäftsführerin der European Coalition for Corporate Justice (ECCJ).
Damit sich Rana Plaza nie wieder wiederholt, brauche das EU-Lieferkettengesetz Nachschärfungen. Der derzeitige Vorschlag würde 99% aller EU-Unternehmen nicht betreffen, kritisiert Kampagnenkoordinatorin Bettina Rosenberger. „Der Entwurf verschriftlicht zwar Ansätze der unternehmerischen Verantwortung, die Unternehmen in der Vergangenheit im Rahmen freiwilliger Selbstverpflichtungen bereits umgesetzt haben. Allerdings haben sich diese Ansätze meist als ineffektiv oder Greenwashing herausgestellt. Nicht trotz, sondern wegen weniger Arbeitsrechten lassen europäische Unternehmen in Bangladesch produzieren. Umso wichtiger ist ein strenger Rechtsrahmen für die gesamte Lieferkette“, so Stefan Grasgruber-Kerl (Südwind).
Ein Streitpunkt ist die gewerkschaftliche Organisation
Hartwig Kirner, Geschäftsführer von Fairtrade Österreich, fordert, dass die „Anerkennung und Umsetzung existenzsichernder Löhne und Einkommen, Vereinigungsfreiheit und Kollektivverhandlungen als unteilbare Menschenrechte sowie das Mitspracherecht aller Rechteinhaber*innen im vorliegenden Gesetzesentwurf verankert werden“. Das EU-Lieferkettengesetz setze sich zum Ziel, Arbeitnehmer*innen weltweit besser zu schützen. „Der vorliegende Entwurf bindet Gewerkschaften und Arbeitnehmer*innenvertretungen aber völlig unzureichend ein. Das ist inakzeptabel“, so Julia Wegerer, Juristin der Arbeiterkammer Wien.