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Whistleblower-Gesetz: Viel Gutes und eine große Schwäche

Mirco Schmidt ©EQS Group

Interview. Österreich hat den Entwurf des Whistleblower-Gesetzes veröffentlicht. Er bringt mehr Offenheit als die EU-Richtlinie vorgibt, schreckt aber gleichzeitig Hinweisgeber mit Strafen bis 40.000 € ab, sieht Mirco Schmidt, Country Manager des Tool-Anbieters EQS Group, Licht und Schatten.

Die EQS Group positioniert sich als Marktführer auf dem Gebiet der Hinweisgebersysteme, also Online-Tools für Whistleblower. Wie ist die EQS Group in Österreich aufgestellt und wie viele Kunden bzw. installierte Hinweisgebersysteme gibt es bereits?

Mirco Schmidt: Derzeit betreuen wir im Wiener Büro die österreichischen Kunden der Whistleblowing-Lösungen der EQS Group: Integrity Line und BKMS. Wir sind Marktführer und haben derzeit rund 300 Systeme in Österreich installiert. Es gibt noch zwei bis drei relevante Wettbewerber auf diesem Markt. Manche Anwaltskanzleien und Wirtschaftsberater bieten ebenfalls Hinweisgebersysteme an, in 90 Prozent der Fälle steht dann aber auch ein System eines großen Anbieters dahinter und dieses wird in partnerschaftlicher Zusammenarbeit ausgerollt. Wir hatten gerade im vierten Quartal 2021, als die EU-Richtlinie in Kraft trat, einen Nachfrageanstieg, in diesen drei Monaten kamen allein in Österreich 60 neue Kunden bei der EQS Group hinzu.

In Österreich ist nun das neue Hinweisgeber-Gesetz in Begutachtung gegangen. Damit wird die nach EU-Richtlinie schon bestehende Pflicht zur Einrichtung eines Hinweisgebersystems in nationales Recht umgesetzt. Riskieren Unternehmen Strafen, die kein solches System implementiert haben?

Mirco Schmidt: Das Nichtvorhandensein eines Systems wird nicht sanktioniert. Zwar sind 20.000 Euro Verwaltungsstrafe avisiert, wenn Unternehmen die Meldungen von Whistleblowern nicht behandeln oder aktiv behindern, doch das ist nicht wirklich abschreckend. Man muss aber bedenken: Die Schäden, wenn man über kein solches System verfügt und die Probleme daher nicht intern abhandeln kann, sind in der Regel deutlich größer als die Verwaltungsstrafe, hier setzen sich die Unternehmen einer echten Gefahr aus, wenn sie keinen effektiveren Hinweisgeberschutz ermöglichen.

„Einige positive Überraschungen“

Die EQS Group ist international aktiv und hat damit den Vergleich mit anderen Ländern. Was gefällt Ihnen an dem österreichischen Gesetzesentwurf?

Mirco Schmidt: In der EU-Richtlinie ist vorgesehen, dass die Mitgliedsstaaten bei deren Umsetzung den sachlichen Anwendungsbereich erweitern können. Zunächst sah das in Österreich nicht danach aus, doch der vorliegende Entwurf hat dann doch einige positive Überraschungen gebracht. Grundsätzlich werden in Österreich Unternehmen und Institutionen wie Gebietskörperschaften ab 250 Mitarbeitenden bzw. 10.000 Einwohnern verpflichtet sein, ein Hinweisgebersystem einzurichten. Das kann elektronisch sein oder theoretisch auch offline, als Briefkasten oder dergleichen – aber die allermeisten werden wohl den digitalen Weg wählen, schon allein um die Sicherheits- und Dokumentationspflichten zu erfüllen, die damit verknüpft sind.

Aus unserer Sicht ist sehr wichtig, dass sowohl EU-Tatbestände wie auch einige österreichische Straftatbestände laut Entwurf vom Schutz umfasst sein werden. Darin geht Österreich weiter als die Richtlinie, das ist insgesamt sehr sinnvoll. Ein sehr positiver Aspekt des österreichischen Gesetzesentwurfs ist zudem, dass in Österreich auch eingehende anonyme Meldungen behandelt werden müssen, das ist beispielsweise in Deutschland so nicht im Entwurf gefordert. Ein kleiner Tipp von uns: auch kleinere Unternehmen sollten sich bereits mit der neuen Gesetzgebung befassen, denn ab 18. Dezember 2023 müssen auch Gesellschaften und Institutionen ab 50 Mitarbeitenden die Anforderungen erfüllen.

„Die erste Kontaktaufnahme erfolgt meistens anonym“

Sie sprachen anonyme Meldungen an: Wie wichtig sind diese?

Mirco Schmidt: Sehr wichtig, denn der größte Teil der eingehenden Meldungen ist anonym oder zumindest zunächst anonym: Es geht hier vor allem um die erste Phase, den Beginn der Kontaktaufnahme, bei der der Hinweisgebende erst einmal Vertrauen schöpfen muss. Zunächst anonym bleiben zu können, erleichtert das oft sehr und hilft somit Unternehmen auf Missstände frühzeitig hingewiesen zu werden.

Wohin sollte ein Hinweisgeber sich eigentlich wenden, zunächst zum eigenen Unternehmen, oder gleich zu einer Behörde?

Mirco Schmidt: Es ist die Idee, dass gemeldete Vorfälle zuerst intern (im Unternehmen, Anm.) behandelt werden können – und erst dann, als Eskalation, auch extern gemeldet werden. Das Wichtigste dabei ist der aus der Meldung resultierende Schutz vor Repressalien, der übrigens auch für Personen im näheren privaten Umkreis des Whistleblowers gilt. Aber natürlich nur bei richtigen Meldungen, nicht bei falschen oder missbräuchlichen Meldungen. Der österreichische Entwurf sieht für wissentliche Falschmeldungen sogar eine hohe Verwaltungsstrafe vor, nämlich 20.000 Euro, im Wiederholungsfall sogar 40.000 Euro. Das scheint etwas unverhältnismäßig zu sein, da Hinweisgebende im Fall einer falschen Meldung deutlich härter getroffen sind als ein Unternehmen, welches Personen aktiv vom Melden abhält. Aus meiner Sicht kann so eine abschreckende Wirkung entstehen, bei Unsicherheit überhaupt einen Hinweis abzugeben. Deutschland sieht keine solchen Strafen vor. Es scheint hier doch eine sehr große Angst vor der Vernaderung zu herrschen, obwohl die Praxis zeigt, dass Falschmeldungen generell selten sind – es ist ein einstelliger Prozentsatz aller eingehenden Meldungen, wie repräsentative Studien zeigen.

Gibt es noch offene Punkte bei der Umsetzung der Whistleblower-Richtlinie?

Mirco Schmidt: Ja, dazu gehört die Umsetzung in Unternehmen mit mehreren Standorten, (inter)nationalen Konzernen zum Beispiel. Es gab die Überlegung, dass in solchen Fällen alle Tochterunternehmen über 250 Mitarbeitenden ein eigenes Hinweisgebersystem einrichten müssen, ein einziges System pro Konzern also jedenfalls nicht reicht. Das scheint nun so doch nicht zu kommen. Es ist aber sicherlich richtig, dass ein Unternehmen in jedem Land, in dem es tätig ist, ein eigenes Hinweisgebersystem einrichten muss. Ich würde aber nicht so weit gehen und jeden einzelnen Standort dazu verpflichten, das wäre zu aufwändig und überfordert die Unternehmen.

Wie viele Hinweisgebersysteme werden in Österreich wohl noch eingerichtet werden?

Mirco Schmidt: Wir sehen hier noch deutliches Potenzial. Es gibt ja insgesamt etwa 2.000 Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitenden in Österreich. Mittelfristig wird der Markt noch erheblich größer, wenn auch Unternehmen ab 50 Mitarbeitenden ein Hinweisgeber-System anbieten müssen.

Meldesysteme für Hinweisgebende sind ein aktuelles Thema, ein weiteres sind die geplanten Meldesysteme für nachhaltige Lieferketten und dergleichen. Auch da kommt auf die Unternehmen einiger Anpassungsbedarf zu. Wie groß wird dieser Markt sein?

Mirco Schmidt: Es kommen hier noch einige Herausforderungen auf die Unternehmen zu, wenn die Gesellschaften ihre gesamte Lieferkette überprüfen und die Einhaltung der ESG-Kriterien (Environment, Social, Governance, Anm. d. Red.) sicherstellen müssen. Diese Gesetzgebung sollten auch kleine und mittlere Unternehmen im Auge behalten. Zwar müssen diese nicht unmittelbar die Regelungen erfüllen, allerdings ist davon auszugehen, dass große Kunden sie, als Bestandteil ihrer Lieferkette, dazu verpflichten werden. Auch bei der Einhaltung der Nachhaltigkeitsstandards spielen Whistleblowing-Systeme eine zentrale Rolle.

Im Interview

Mirco Schmidt ist Country Manager Austria bei der EQS Group.

 

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