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„Die Zinsen gehen in Richtung 1,5 Prozent“

Sieglinde Klapsch ©Steiermärkische Sparkasse

Analyse. Die Europäische Zentralbank EZB versucht derzeit die Inflation einzudämmen ohne gleichzeitig die Wirtschaft abzuwürgen: Die Steiermärkische Sparkasse versucht in einer Analyse das Ergebnis abzuschätzen.

Die Europäische Zentralbank EZB ist in einer der wohl schwierigsten Phasen seit ihrer Gründung vor 24 Jahren, ihr weiterer Weg kommt einer scharfen Gratwanderung gleich. Ihre Herausforderung, die Inflation einzudämmen, ohne die Wirtschaft deutlich abzuwürgen, sind so groß wie schon lange nicht mehr, analysiert die Steiermärkische Sparkasse Private Banking im jüngsten Marktkommentar.

Von den Märkten war die, in der Vorwoche verkündete neue Ausrichtung der Zins- und Geldpolitik, nämlich die Anleihekäufe zum Beginn des dritten Quartals zu beenden und den Leitzins im Juli um 0,25% anzuheben, erwartet und bereits eingepreist worden. Gleichzeitig brauche es ein Programm für Südeuropa, wo die Anleihekurse zuletzt ins Straucheln kamen.

Die Kurse von Aktien und Anleihen hatten in diesem spannungsgeladenen Umfeld schon in den Wochen davor nachgegeben – vereinzelt sogar deutlich – und bieten damit teilweise interessante Wiederveranlagungs- bzw. Einstiegsmöglichkeiten. Nicht übersehen dürfe man aber eine Reihe von Risiken, so die Steiermärkische Sparkasse.

Auch Kerninflation hoch

Vor allem bleibe die Inflationsgefahr hoch und es stelle sich die Frage nach der langfristigen Antwort der EZB. Im Mai lag im Euroraum nicht nur die allgemeine Teuerungsrate bei beunruhigenden 8,1%, auch die Kerninflation (Inflation ohne Energie und Nahrungsmittel) kletterte auf 3,8%, womit die Teuerung in der Breite angekommen zu sein scheint.

Lange Zeit argumentierten die Notenbanker ihre abwartende Haltung mit temporären Effekten, etwa dem Basiseffekt bei den Rohstoffpreisen, die sich sukzessive auflösen und den Druck von der Inflationsrate – und damit von einer restriktiveren Politik der EZB – nehmen sollten. EZB-Präsidentin Christine Lagarde und ihre Kollegen bemühten dabei des Öfteren den Terminus der „angebotsinduzierten Inflation“. Das heißt, sie sahen die Ursache der hohen Inflation in der außerordentlichen Knappheit der Rohstoffe sowie in den unterbrochenen Lieferketten und nicht in einem Nachfrage-Anstieg, den man in der Regel durch höhere Zinsen in den Griff bekommen würde.

Das Dilemma hat mehrere Ursachen

Diese Strategie war laut Steiermärkischer Sparkasse von Anfang an mit Risiken behaftet, da sie eine Beruhigung des Lieferkettenproblems – vor allem in Asien – vorausgesetzt hätte. Spätestens seit dem überraschenden Ausbruch des Ukraine Kriegs sei aber klar geworden, dass diese Strategie nicht aufgeht, vor allem auch deswegen, weil China weiterhin an seiner Zero-Covid-Politik festhält und bei Auftreten von einzelnen Corona-Infektionen ganze Millionenstädte abriegelt – mit negativen Auswirkungen auf die Produktion und damit auf die Lieferketten in den Westen.

Zu allem Überfluss hat nun auch Russland die Gaslieferungen in mehrere europäische Länder gedrosselt, was die Preise weiter antrieb. Versorger wie der deutsche Energiekonzern RWE müssen nun noch höhere Kaufpreise akzeptieren, um ihre Lieferverpflichtungen in Nordwesteuropa erfüllen zu können. In Österreich will man der Gasverknappung mit einer Umrüstung des Fernheizkraftwerks Mellach im Süden der Steiermark von Gas auf Kohle begegnen, womit man einen gewissen Teil des russischen Gases ersetzen will.

Rasant steigende Erzeugerpreise

Mit Spannung wurden auch die deutschen Erzeugerpreise für den Monat Mai erwartet. Aufgrund der unterbrochenen Lieferketten stiegen diese im April um satte 33,5%, im Mai um 33,6% an. Damit ist weiterer Druck auf die Inflationsdynamik gegeben, da dieser Preisanstieg bei den Vorprodukten noch nicht zur Gänze im Endprodukt und an den Konsumenten weitergegeben wurde.

Dies hätte auch Auswirkungen im Sinne der sogenannten Zweitrundeneffekte, wenn es zu einer Lohn-Preis-Spirale kommt. Dass diese Effekte im Gegensatz zu Rohstoffpreisen nicht temporärer Natur sind, unterstreiche das Dilemma der EZB in ihrer aktuellen Zins- und Geldpolitik.

Der „neutrale Zins“

Viele Marktteilnehmer stellen sich laut Steiermärkischer Sparkasse in Zeiten wie diesen die Frage, wie hoch denn ein Zinsschritt sein müsste, um die Inflation deutlich einbremsen zu können. Die EZB-Ratsmitglieder nennen dazu immer wieder den Terminus „neutraler Zins“. Zuletzt sprach Christine Lagarde in einem ihrer Communiqués von einer „schrittweisen weiteren Normalisierung der Zinssätze in Richtung des neutralen Zinssatzes“.

Dieser neutrale Zins ist definiert als das Niveau, mit welchem die Wirtschaft weder unterstützt noch gebremst wird. Aktuell wird dieser von den Ratsmitgliedern bei ca. 1,5% gesehen. Eine Erhöhung der Leitzinsen auf dieses Niveau in den kommenden Monaten ist durchaus realistisch, meinen die Sparkassen-Analysten (natürlich ohne Gewähr).

Die Taylor Rule kommt ins Spiel

Eine alternative Indikation bietet die sogenannte „Taylor Rule“, entwickelt vom US-Ökonomen John Taylor. Diese bemisst neben dem neutralen Zins noch weitere Komponenten wie die erwartete Inflationsrate, die Differenz zwischen erwarteter Inflation und dem Inflationsziel sowie das „Output Gap“ (Differenz zwischen tatsächlichem BIP und dem Produktionspotenzial einer Volkswirtschaft) und dient damit quasi als Richtschnur für die Notenbankpolitik.

Dieser Wert befindet sich aktuell laut den Angaben bei über 8%, würde also einen deutlich restriktiveren Kurs für die EZB vorzeichnen, als er aktuell ist. Die Anwendung der Taylor Rule sei aber utopisch, denn die EZB sieht sich noch mit einer weiteren Herausforderung konfrontiert, nämlich der wirtschaftlichen Divergenz zwischen Nord- und Südeuropa.

Verschuldung in Südeuropa

Länder wie Spanien oder Italien verabsäumten es in den vergangenen „Niedrigzins“-Jahren, notwendige Reformen auf den Weg zu bringen, um den Staatshaushalt zu sanieren. Stattdessen stiegen die Verschuldungsraten weiter an. Per Ende 2021 wies Spanien eine Schuldenquote von 118% des BIP auf, Italien 150% und Griechenland sogar 193%. Im Vergleich dazu lag dieser Wert in Österreich bei 83%, in Deutschland bei 69%, so die Werte von Eurostat.

Bei der neuen Ausrichtung der Zinspolitik müsse die EZB laut Steiermärkischer Sparkasse also besondere Vorsicht walten lassen, da diese Länder mit höheren Zinsen deutlich schlechter umgehen könnten als Kerneuropa, etwa Deutschland, Österreich oder die Niederlande. Aber auch in Frankreich werden mit dem für Premier Macron ungünstigen Ausgang der Parlamentswahlen am vergangenen Sonntag die Umsetzungen geplanter Reformen wie die Anhebung des Pensionsalters und Steuerreformen schwierig, wenn nicht sogar unmöglich.

„Neues Instrument“ angekündigt

Eine deutliche Warnung schickten die Märkte in der Vorwoche aus, als die Kurse der Staatsanleihen südeuropäischen Länder, insbesondere der italienischen, deutlich sanken, Markturbulenzen inbegriffen. Die EZB beschloss daraufhin in einer kurzfristig einberufenen Sondersitzung, das bereits stillgelegte Wertpapierkaufprogramm wieder zu reaktivieren, um die Renditen zu stabilisieren. Zudem hieß es, dass die Notenbank an einem „neuen Instrument zur Verteidigung der Euroraum-Integrität arbeite“.

Dieses neue Instrument dürfte laut Steiermärkischer Sparkasse wieder in Richtung eines neuen Kaufprogrammes gehen, das bestimmte Bedingungen an die Regierungen stellt, damit diese von den Käufen profitieren können. Die Arbeiten an diesem Instrument sollen rechtzeitig vor der Sitzung am 20. und 21. Juli abgeschlossen sein, die konkrete Ausgestaltung des Instruments ist noch nicht ausformuliert.

 

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