Krems. An der Donau-Uni diskutierten Rechtsprofis Fragen des Justizsystems, Steuerrechts und der internationalen Handelsschiedsgerichtsbarkeit in Zeiten des Ukraine-Krieges.
Der Department Talk an der Donau-Uni Krems, der in hybrider Form am 20. Juni 2022 vom Department für Rechtswissenschaften und Internationale Beziehungen organisiert wurde, widmete sich „Legal Challenges and Solutions for Ukrainians at Home and Abroad“. Jurist*innen aus der Ukraine vermittelten Einblicke in unterschiedliche rechtliche Aspekte des Krieges, vom Zugang zum Rechtssystem über arbeitsrechtliche Konsequenzen bis hin zum Steuerrecht und weiteren Gebieten, so die Veranstalter.
„Solidarität aller österreichischen Unis“
In seiner Begrüßung verwies Univ.-Prof. Thomas Ratka, Leiter des Departments für Rechtswissenschaften und Internationale Beziehungen an der Universität für Weiterbildung Krems, eingangs auf die Solidaritätsbekundung aller österreichischen öffentlichen Universitäten mit der Ukraine durch die Rektorenkonferenz. Es sei aber zugleich Teil der gesellschaftlichen Verantwortung der Universitäten, sich mit den Phänomenen des Krieges inhaltlich auseinanderzusetzen, gerade in Hinblick auf die Menschen aus der Ukraine, die nach Österreich geflüchtet sind.
Rechtliche Grundlagen für Enteignungen
Der ehemalige stellvertretende Justizminister der Ukraine, Univ.-Prof. Yurii Prytyka, Leiter des Instituts für Zivilverfahren an der Nationalen Taras-Schewtschenko-Universität in Kiew und Schiedsrichter am Internationalen Handelsschiedsgericht (ICAC), ging auf die Ausübung von Eigentumsrechten durch natürliche und juristische Personen sowie durch Gebietsfremde im Lichte des Kriegsrechts ein.
Mittels eines zu gründenden speziellen Staatsunternehmens könne die Ukraine per Gesetz Eigentümerin der Vermögenswerte von Russ*innen und des russischen Staates werden. Um seine Handlungsfähigkeit zu gewährleisten, passe das Internationale Handelsschiedsgericht (ICAC) seine Verfahrensordnung hinsichtlich der Zustellung von Verfahrensdokumenten an.
Herausforderungen mit Flexibilität begegnen
Univ.-Prof. Iryna Izarova, Professorin für Zivilprozessrecht an der Nationalen Taras-Schewtschenko-Universität Kiew und Gastwissenschafterin am Department für Rechtswissenschaften und Internationale Beziehungen der Universität für Weiterbildung Krems, sprach über die aktuellen Herausforderungen beim Zugang zur Justiz und der ordnungsgemäßen Rechtspflege.
Um einen umfassenden Schutz der Menschenrechte zu erreichen, verfolge die Justiz flexiblere Ansätze und mache von erweiterten Ermessensspielräumen Gebrauch. Im Sinne eines fairen Verfahrens erscheine es sinnvoll, den Richterorganisationen und den Leiter*innen der Justiz mehr Befugnisse zu geben, um die Rechtspflege in Kriegszeiten oder bei anderen zukünftigen Herausforderungen ordnungsgemäß zu organisieren.
Arbeitsrecht in Kriegszeiten
Die Kriegshandlungen führten auch zu erheblichen Veränderungen und Einschränkungen der Arbeitsrechte und -garantien, über die Olena Terekh, assoziierte Universitätsprofessorin für Zivilprozessrecht an der Nationalen Taras-Schewtschenko-Universität Kiew, referierte. Mit dem Gesetz „Über die Organisation der Arbeitsbeziehungen im Kriegszustand“ verabschiedete die Ukraine am 15. März 2022 weitreichende Einschränkungen der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte und Freiheiten der Menschen und Bürger*innen. Dies betreffe unter anderem die Bereiche „Versetzung und Änderung wesentlicher Arbeitsbedingungen“, den Einsatz weiblicher Arbeitskräfte bei schweren Arbeiten, die Erhöhung der Arbeitszeit auf 60 Stunden pro Woche sowie die Verringerung des bezahlten Jahresurlaubs.
Ein Novum in der aktuellen Arbeitsgesetzgebung stelle die Möglichkeit der Aussetzung des Arbeitsvertrags dar. Das geltende Arbeitsrecht sehe zudem Arbeitsgarantien für Personen vor, die zu den ukrainischen Streitkräften eingezogen wurden oder in die Reihen der territorialen Verteidigung eingetreten sind.
Umgang mit Vollstreckungstiteln
Liubov Maliarchuk, ebenso von der Nationalen Taras-Schewtschenko-Universität Kiew, stellte die Herausforderungen bei der Durchsetzung von Vollstreckungstiteln für private und staatliche Akteur*innen dar. Mit der Einführung des Kriegsrechts ab dem 24. Februar 2022 war es verboten, Vollstreckungsverfahren einzuleiten und Maßnahmen zur Vollstreckung von Entscheidungen in Verwaltungs- und Gebietseinheiten zu ergreifen, die aufgrund eines militärischen Angriffs vorübergehend besetzt sind. Um etwa Inkassobüros in diesen Gebieten ihre Arbeit zu ermöglichen, müssten die Vorschriften für die Vorlage von Vollstreckungstiteln im ganzen Land vereinfacht werden.
Mit Steuerrecht Unternehmen schützen
Vira Savchenko, CEO der BDO in der Ukraine, erläuterte, wie mit steuerrechtlichen Maßnahmen die Wirtschaft in der Ukraine gestärkt werden soll. So wurde in der Werchowna Rada, dem ukrainischen Parlament, beschlossen, die Realsteuerlast zu senken, laufende Steuerprüfungen auszusetzen und generell vereinfachte Rahmenbedingungen für Unternehmer*innen zu schaffen. Mit diesem Maßnahmenbündel sollen Unternehmen gerettet und Arbeit in den Regionen geschaffen werden.
Diskussion zu den Entwicklungen
An der abschließenden, sehr internationalen Diskussion nahmen mehr als 20 Personen teil, heißt es dazu weiter: Unter ihnen Univ.-Prof. Joanna Mucha von der Universität Poznan (Polen), Univ.-Prof. Lurdes Mesquita-Varregoso von der Universität Portucalense (Portugal), Univ.-Prof. Alan Uzelac von der Universität Zagreb (Kroatien) und Univ.-Prof. Andrew Hammond, J. D. von der University of Florida (USA). Themen wie Ausnahmeregelungen von der Europäischen Menschenrechtskonvention, die Vollstreckung von Urteilen und die Umsetzung des Rechts auf ein faires Verfahren sowie universelle Gerichtsbarkeit wurden besprochen.