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„Genormte grüne Gebäude sind Wettbewerbsvorteil“

Christian Oberbichler ©Dachgrün GmbH / Gruchmann

Bau & Umwelt. Nachhaltiges Bauen liegt im Trend: Mit den neuen ÖNORM-Verfahren zur Dach- und Wandbegrünung könnten Städte wie Wien ihre Grünflächen verdoppeln, sagt Austrian Standards-Experte Christian Oberbichler im Interview.

Extrajournal.Net: Bauwerksbegrünung soll als Schutz für das Gebäude dienen und Vorteile für Städte, Umwelt sowie Klima bringen. Dafür sorgen sollen jedenfalls die neuen ÖNORMEN für die Dach-, die Vertikal- und die Innenraumbegrünung. Was ist konkret der Vorteil?

Christian Oberbichler: Es ist für alle Beteiligten ein großer Vorteil, dass wir nun für die Bauwerksbegrünung Mindeststandards haben. Als Bauherr kann ich mit standardisierten Gewerken (Anm.: handwerkliche und bautechnische Arbeiten im Bauwesen) vergleichbare Angebote erhalten und unter diesen auswählen. Ich kann sie zweitens auch besser bewerten. Und drittens: Gibt es Probleme oder sogar Streitigkeiten wegen der Qualität der Ausführung, kann ein Sachverständiger auf die Normen zurückgreifen und so die Sachlage viel einfacher beurteilen. Normen sind damit ein wesentlicher Beitrag zur Qualitätssicherung.

Bei der Bauwerksbegrünung liefern die Pflanzen den Mehrwert, zum Beispiel durch die erzeugte Verdunstungskälte, die das Bauwerk und seine Umgebung kühler hält. Dazu brauchen die Pflanzen Wasser, welches mit der richtigen Begrünungstechnik bereitgestellt werden kann. Damit das alles klappt, muss also die Vegetations- und Bewässerungstechnik stimmen. Insbesondere die Drainage- und Wasserspeicherschicht und das Pflanzsubstrat sollen den vorgegebenen Werten der Norm entsprechen, dann ist mit einer dauerhaften Begrünung ein tatsächlicher und nachweisbarer Mehrwert für das Gebäude gegeben. Man kann das so sehen wie den Dämmwert einer Fassade: Wenn der hoch ist, dann sind die Heizkosten entsprechend niedriger. Genauso ist es bei uns: Begrünung und Wasser in der Stadt bringen einen greifbaren Nutzen für Bauherr und die Allgemeinheit, wir sagen grüne und blaue Infrastruktur dazu.

„Bis zu 75 Grad Hitze am Blechdach, nur 35 Grad auf einem Gründach“

Welchen Nutzen gibt es für das Gebäude?

Christian Oberbichler: Das ist erstens die Lebensdauer der Gebäudehülle, also zum Beispiel der Bauwerksabdichtung. Die Gebäudehülle unter der Begrünung hält länger, das bedeutet: ich muss sie seltener sanieren. Die Lebensdauer der Dachabdichtung verlängert sich – je nach Ausführung – um 20 bis zu 100 Prozent.

©Dachgrün GmbH

Zweitens verbessert sich das Innenraumklima. Die beschatteten Wände und die Verdunstung durch die Pflanzen halten das Gebäude kühler und reduzieren damit die erforderliche Kühlleistung durch eine Klimaanlage. Der Energiehaushalt des Gebäudes wird näher ans Positive gerückt. Auf einem Kies- oder Blechdach kann es im Sommer nämlich leicht 65 oder 70 Grad heiß werden, auf der Oberfläche eines Gründaches messen wir hingegen nur 35 Grad, dafür sorgen die Pflanzen.

Die Regenwasserbewirtschaftung wiederum, die schon seit dem Jahr 2002 ein Schwerpunkt der Begrünungsnormen-Arbeit in Österreich ist, sorgt dafür, dass auf einem intensiv begrünten Gebäude bis zu 90 Prozent des Niederschlags zurück gehalten wird. Wenn man den Rest auch noch sammelt und vor Ort dem natürlichen Kreislauf zuführt, erhält man ein sogenanntes „Nullabflußgebäude“. Das ist ja gerade bei den aktuellen Starkregenereignissen ein wichtiges Thema. Es hilft, die negativen Auswirkungen durch versiegelte Flächen zu verringern.

Gilt ein begrüntes Gebäude sozusagen automatisch als „entsiegelte Fläche?“

Christian Oberbichler: Ja, aber nur dann, wenn es optimal begrünt wurde und der gesamte Niederschlag auf der Parzelle versickert, gespeichert und auch wieder verdunstet wird. Womit wir wieder bei der Norm sind. Gerade für das Regenwassermanagement ist es ganz wichtig vom Start weg richtig zu planen. Auch der übrige Impact der Bauwirtschaft muss reduziert werden, dafür müssen alle eingebunden sein, von der Planer*in bis zur Bautechniker*in. Zum Glück geht der Trend bei Neubauten auch schon stark in diese Richtung. Ein wichtiges Thema ist aber die Sanierung des Altbestands: Wenn zum Beispiel ein bestehendes Blech-, Kies- oder Foliendach saniert werden muss, dann sollte eine Dachbegrünung längst Standard sein.

Das bringt uns zu einem wichtigen Punkt – den Kosten.

Christian Oberbichler: Die sind im Vergleich nicht hoch. Wenn man für eine extensive Begrünung 8 – 10 cm Pflanzsubstrat auf ein Gebäude aufbringt, dann liegen die Mehrkosten bezogen auf das Gesamtprojekt im Promillebereich, das macht also kaum einen Unterschied zu einem nackten Foliendach. Bei den einfachsten Lösungen starten wir bei Großflächen in der Errichtung etwa bei 20 Euro exkl. pro Quadratmeter. Zum Glück treffen uns bei der Begrünung die aktuell steigenden Kosten in der Baubranche nicht im vollen Umfang, da wir hauptsächlich mit lokalen Herstellern und auch recyceltem Material für die Pflanzsubstrate arbeiten. Das spart Energie- und Transportkosten. Auch die Pflanzen kommen aus regionalen Baumschulen und wir setzen regionale Fachkräfte ein. Bei meinem Unternehmen kommen zum Beispiel Pflanzsubstrate und Pflanzen aus dem Großraum Wien.

Was kostet die laufende Wartung eines begrünten Gebäudes?

Christian Oberbichler: Bei einer bestehenden extensiven Dachbegrünung ist eine regelmäßige Kontrolle erforderlich. Das ist aber ohnehin für viele Gewerke im Baubereich vorgesehen oder vorgeschrieben. Unumgänglich ist es, die Entwässerungs- und Anschlagseinrichtungen auf einem Dach zu prüfen. Man muss also eine Kontrolle durchführen, egal ob Gründach oder nackte Dachhaut. Im Rahmen eines solchen Kontrollganges wird auch die Vegetation begutachtet. Hat man dagegen eine Intensivbegrünung, so ist regelmäßige Gartenpflege erforderlich, da liegen die Kosten dann entsprechend bei etwa 10 bis 12 Euro pro Quadratmeter und Jahr. Aber jeder Büro-Tower hat seinen Fensterputzer, der am Gebäude auf- und abfährt um die Glasflächen zu reinigen. Ich hätte noch nie gehört, dass das jemand groß thematisiert hätte. Es ist richtig, dass begrünte Flächen Pflege bedürfen, aber sie stiften im Verhältnis zu anderen Dachdeckungen und Fassadenbekleidungen wesentlich mehr Nutzen.

Die gesamte Fläche regelmäßig neu anzusäen oder komplett zu sanieren ist nicht nötig?

Christian Oberbichler: Das wäre nur nötig, wenn die Begrünung mangelhaft ausgeführt wurde. Wenn z.B. an windexponierten Stellen die Pflanzsubstratschicht erodiert, weil das schützende Pflanzenkleid fehlt, dann führt das zu Problemen. Auf Basis der Normen arbeitende Profis gehen daher so vor, dass sie in den ersten drei Jahren nach der Herstellung – im Rahmen der Anwuchs- und Entwicklungspflege – eine dauerhafte Vegetationsgesellschaft etablieren. Somit ist gewährleistet, dass die Begrünung dann gut in die Jahre kommt. Gesicherte Qualität bei Planung, Herstellung und Pflege sorgt also für nachhaltige Bauwerksbegrünungen mit Mehrwert. Tatsächlich verschaffen uns die österreichischen Begrünungsnormen im deutschen Sprachraum eine Pionierrolle.

„Normen überarbeitet, um technische Fortschritte abzubilden“

Welche Normen gibt es konkret?

Christian Oberbichler: Es gibt bereits seit dem Jahr 2010 die L1131 für die Begrünung von Dächern und Decken, das ist die Dachbegrünungs-Norm, deren Inhalte teilweise bereits auf die 1980er-Jahre zurückgehen. Sie wird jetzt gerade überarbeitet, um die technischen Fortschritte und Entwicklungen seit dem Jahr 2010 einzuarbeiten und abzubilden. So legen wir wegen der zunehmenden Starkregenereignisse noch mehr Aufmerksamkeit auf den Regenwasser-Rückhalt. Als Maßnahme gegen das Artensterben wird die Rolle der begrünten Flächen zur Schaffung von Lebensräumen verstärkt, sie wirken also multifunktional. Und dann geht es auch darum, die Koexistenz mit Photovoltaik-Anlagen zu verbessern. Es ist nämlich ohne weiteres möglich, begrünte Dächer mit PV-Anlagen zu versehen, wenn die nötigen Abstände von der Vegetation, vor allem in der Höhe gegeben sind. Die Pflanzen kühlen durch Verdunstung dabei gleichzeitig die PV-Paneele, die dadurch im Sommer näher an ihrer optimalen Betriebstemperatur bleiben, also leistungsfähiger sind.

Eine neue Norm ist die L1136 für die Vertikalbegrünung im Außenraum, denn auch in Österreich ist die Fassadenbegrünung seit 2005 mehr und mehr ein Thema, beispielsweise durch das Wiener MA48 Gebäude am Gürtel. Diese Norm reflektiert die Erkenntnisse aus der Praxis der letzten 15 Jahre. Es geht dabei um die Schaffung dauerhaften Wurzel- und Lebensraums für Pflanzen am Gebäude, direkt an und auf der Fassade. Es ist eine sehr anwenderfreundliche Norm geworden, mit einem umfangreichen Anhang mit Checklisten, Abbildungen und auch Vorschlägen für Vereinbarungen mit den Auftraggeber*innen.

Eingeführt wurde die Vereinbarung eines Begrünungsziels. Dabei wird festgelegt, mit welcher Begrünungskategorie begrünt wird, und gleichzeitig wird auch der Aufwand für Wartung und Pflege abschätzbar: wie lange dauert es, bis es grün ist, und wie lange soll die Begrünung dann auf dem Bauwerk verbleiben?

Die dritte Norm ist L1133 für die Innenraumbegrünung. Diese gibt auch vor, wann eine Innenraumbegrünung nicht der Norm entsprechen muss. Wer nur kurz für den Fotografen bei einem Event Pflanzen aufstellt, für den sind die Normvorgaben nicht bindend. Normgerecht ausgeführt werden muss es aber, wenn die Begrünung 10 Jahre oder sogar Bauwerks-lebenslang Freude machen soll.

„Dachbegrünung könnte Wiens Grünflächen verdoppeln“

Wie groß ist das Potenzial für Dachbegrünung?

Christian Oberbichler: Wir haben ausgerechnet, dass wir die gewidmeten Wiener Grünflächen, auf den Wiener Dächern und Wänden noch einmal abbilden könnten. So finden sich an die 6.000 Hektar Dachflächen in Wien. Zum Vergleich: Der Lainzer Tiergarten hat 2.450 Hektar, ganz Wien 41.000 ha. Es ist also enormes Potenzial vorhanden. Die Bauwerksbegrünung bringt klare Vorteile sowohl für Bauherren als auch für die Wohnumgebung. Ich hoffe, dass sich das Thema daher sowohl in der Gesellschaft und beim Gesetzgeber immer mehr durchsetzt. Es ist ja dringend an der Zeit, alle Möglichkeiten zur Klimawandelanpassung zu nutzen. Unter Druck entstehen Diamanten.

Im Interview

DI Christian Oberbichler ist Geschäftsführer der Dachgrün GmbH, Lektor für Bauwerksbegrünung an der Universität für Bodenkultur Wien, Mitglied des Komitees 229 „Grünräume“ und Leiter der Arbeitsgruppe 229.17 „Bauwerksbegrünung“ bei Austrian Standards.

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