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Interview: „Menschliche Übersetzer bleiben trotz KI gefragt“

Alena Petrova ©Universität Innsbruck

Translatoren. Der Bedarf an Übersetzungen verdoppelt sich alle vier Jahre – doch glauben viele Menschen, dass diese Arbeit bald nur noch maschinell erledigt wird. Ein Irrtum, sagt Prof. Alena Petrova, Chefin des Translator-Instituts der Uni Innsbruck, im Interview über KI & Deepl, Studien-Spezialisierung & Co.

Extrajournal.Net: Man sagt, dass sich der Bedarf an Übersetzungen alle vier Jahre verdoppelt, mit starken Wachstumsgebieten zum Beispiel bei Übersetzungen in und aus dem Chinesischen und anderen asiatischen Sprachen. Die Zahl der Berufseinsteiger*innen scheint dagegen eher zu stagnieren. Ist die Angst vor dem Jobverlust durch automatische Übersetzungssysteme der Grund, und wie groß sind die Auswirkungen wirklich?

Alena Petrova: Die Studierendenzahlen sind in letzter Zeit auch bei uns tatsächlich zurückgegangen, aber das hat nicht allein damit zu tun, dass viele junge Leute glauben, dass es aufgrund der Entwicklung des maschinellen Übersetzens keine Zukunft für den Beruf ‚Humanübersetzer*in‘ gibt. Sinkende Studierendenzahlen sind auch der Corona-Pandemie geschuldet, da viele junge Leute nach zwei Jahren des virtuellen Schulunterrichts sich überhaupt gegen die Aufnahme eines Studiums entscheiden. Aber der Beruf ist nach wie vor gefragt und das wird sich auch nicht ändern. Der Hauptgrund dafür ist, dass die maschinellen Übersetzungssysteme – trotz der augenfälligen Verbesserungen in den letzten Jahren – nach wie vor keine ganzen Texte übersetzen können, es wird nur auf Satzbasis übersetzt.

„Es wird die Übersetzungsleistung nur imitiert“

Es sind also weiterhin menschliche Translator*innen – die Humanübersetzer*innen – notwendig?

Alena Petrova: Auch wenn die Tools unvergleichlich besser geworden sind, kann die Maschine nur Satz für Satz übersetzen, was bedeutet, dass die Bezüge zwischen den Sätzen oft fehlerhaft sind. Der Gedanke des maschinellen Übersetzens ist ja grundsätzlich alt, es gab ihn bereits Ende der Vierzigerjahre. Und schon 1954 gab es das erste Tool. Die ersten Systeme waren regelbasiert und relativ primitiv aus heutiger Sicht. Es folgten statistische Systeme – sie haben abgebildet, mit welcher Häufigkeit ein Wort einem anderen in einer anderen Sprache entspricht; sie haben bereits gute Ergebnisse gebracht. Und im letzten Schritt kamen nach der Jahrtausendwende maschinelle Übersetzungssysteme auf Basis von neuronalen Netzen wie DeepL. Gerade dieser letzte Schritt hat jetzt die Laien erkennen lassen, dass sich da viel getan hat. Die Qualität ist für viele Sprachenpaare und Textarten sehr hoch und dennoch „lückenhaft“, sie hängt interessanterweise maßgebend von der Qualität der Trainingsdaten ab, mit denen die Maschinen von Menschen „gefüttert“ werden.

Es gibt nach wie vor mehr als genug Arbeit für menschliche Übersetzer*innen, nicht nur für maschinelle Übersetzungssysteme?

Alena Petrova: Absolut, mit den maschinellen Tools kann man zwar sehr schnell große Textmengen übersetzen, aber wenn es um hohe Qualität geht, braucht es nach wie vor Humanübersetzer*innen. Eigentlich weiß man schon seit einem Bericht aus dem Jahre 1966, dass ein vollautomatisches maschinelles Übersetzen ohne menschlichen Eingriff nicht möglich ist. Das, was die meisten Menschen „Maschinelles Übersetzen“ nennen, ist eine der beiden Formen des computergestützten Übersetzens: Entweder der Computer unterstützt den Menschen (v.a. im Bereich der Terminologie) oder der Mensch unterstützt den Computer.

Bei der zweiten Variante sprechen wir v. a. vom sogenannten Post-Editing: Ein*e Humaübersetzer*in gibt einen Text in ein Tool (zum Beispiel Google Translate oder Yandex) ein und passt dann das Ergebnis an seine/ihre Bedürfnisse an. Oder wir verwenden sogenanntes Pre-Editing: Wir nehmen einen Text, passen ihn im Vorhinein an – indem wir zum Beispiel Links davor schützen, übersetzt und damit zerstört zu werden – und geben ihn dann zur Übersetzung ein.

Früher waren die Übersetzungssysteme eher Hilfsmittel, nun wandelt sich das Berufsbild tatsächlich immer mehr in Richtung Post-Editing. Das merken wir am Markt und berücksichtigen es auch im Studium. Wir legen aber weiterhin viel Wert darauf, die sogenannte translatorische Basiskompetenz zu vermitteln, sonst könnten unsere Studierenden später ja nicht beurteilen, wie gut das maschinelle Ergebnis ist. Das wichtigste Tool von Übersetzer*innen ist nach wie vor die Verstehensleistung und die eigene Kompetenz. Die Maschine kann nicht denken, sie imitiert lediglich den Vorgang der menschlichen Übersetzung. Nur versierte Humanübersetzer*innen, die auch verstehen, was geschrieben wurde, können wirklich eine fehlerfreie Übersetzung garantieren und ihr den letzten Feinschliff geben. Die Leute glauben allerdings, dass es bald keine menschlichen Übersetzer*innen mehr geben wird – doch dem ist absolut nicht so.

Sie reagieren im Studienangebot auf die Marktentwicklungen mit einer verstärkten Spezialisierung. Wie sieht das aus?

Alena Petrova: Wir bieten ein dreijähriges Bachelor- und ein zweijähriges Master-Studium an. Im Bachelor werden die translatorischen Grundkompetenzen vermittelt, im Master spezialisiert man sich dann weiter. Grundsätzlich bieten wir drei Spezialisierungen an. Die Fachtext-Übersetzer*innen („Fachübersetzen und Translationstechnologie“) beschäftigen sich mit technischen Texten wie z. B. den Handbüchern zu neuen Maschinen. Dieser Bereich ist nach wie vor sehr gefragt und macht mehr als 50 Prozent aller Übersetzungsaufträge aus. Zu den angebotenen Fachgebieten gehören bei uns neben Technik Recht, Medizin, Wirtschaft u. a. Wobei ein*e gute Übersetzer*in sich auch in andere, neue Gebiete schnell einarbeiten kann.

Unsere zweite Spezialisierung ist „Literarisches und audiovisuelles Übersetzen“, wobei es sich beim audiovisuellen Übersetzen bei uns vorwiegend um das Erstellen von Untertiteln handelt. Im deutschsprachigen Raum wird es auf universitärer Ebene nur bei uns angeboten, Literaturübersetzen kann man sonst nur in Düsseldorf und Filmübersetzen in Hildesheim auf einer Fachhochschule studieren.

Außer dieser zwei Formen der schriftlichen Sprachmittlung gibt es noch eine dritte, mündliche Form – das Dolmetschen (Spezialisierung „Theorie und Praxis des Konferenzdolmetschens“). Einer der größten Auftraggeber in diesem Bereich ist die EU. Auch wenn die EU versucht, Mehrsprachigkeit aufrechtzuerhalten, ist leider die Tendenz festzustellen, dass bei vielen internationalen Veranstaltungen Englisch als Lingua Franca benützt wird, statt von einer Landessprache in die andere zu dolmetschen. Bei uns kann man im Sprachenpaar mit Deutsch Englisch, Französisch, Italienisch, Spanisch und Russisch belegen. Einige weitere Sprachen werden zusätzlich in reduzierter Form angeboten (z. B. Portugiesisch oder Chinesisch) oder können über eine sogenannte Brückensprache (zum Beispiel Polnisch über Russisch) schneller erlernt werden.

„Tools können neutral erzählende Prosa übersetzen“

Generell kann man sagen, dass wir flexibler geworden sind – früher war es zum Beispiel so, dass man im klassischen Modell zwei Sprachen studiert hat. Momentan ist das MA-Studium auch mit einer Sprache möglich. Man belegt dann Kurse aus allen drei Spezialisierungen und erwirbt ein sogenanntes Mischprofil (mit schriftlichen und mündlichen Kompetenzen), was auf dem Markt sehr gefragt ist. Und das Dolmetschen kann man jetzt auch mit drei (passiven) statt wie früher nur mit zwei Sprachen studieren, was wiederum die gängige Praxis in der EU besser abbildet.

Es hat also zahlreiche Änderungen in der Ausbildung gegeben (darunter auch mehr Kurse zu maschinellen Übersetzungstools und Translationstechnologie), die Grundbedeutung der Humanübersetzer*innen ist aber nicht zurückgegangen. Es kommt stark auf die Aufgabe an, und wie sie sachgerecht gelöst werden kann. So gibt es ja auch das Vorurteil, dass die maschinelle Übersetzung nicht für literarische Texte genutzt werden kann. Das ist nicht ganz so – bei einem neutralen erzählenden Text ist das sehr wohl möglich. Sobald dagegen ein sogenannter „markierter“ Text vorkommt, ob das nun poetische Stilmittel sind ist oder auch die Sprache der Werbung, dann klappt die maschinelle Übersetzung nicht mehr.

Im Interview

Assoz.-Prof. Dr. Alena Petrova ist Leiterin des Instituts für Translationswissenschaft der Universität Innsbruck.

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