Forschungsförderung. Ein neues Christian Doppler Labor der TU Graz forscht an datengesteuerter Zustandsüberwachung im Stahlherstellungsprozess. Die Industrie sponsert in Form von RHI Magnesita mit.
Im neuen „Christian Doppler Labor für zuverlässige Systeme in rauen Umgebungen“ fokussieren sich Forschende der TU Graz mit Unterstützung durch den Feuerfest-Konzern RHI Magnesita auf die datengesteuerte Zustandsüberwachung im Stahlherstellungsprozess, heißt es in einer Aussendung.
Die Stahlproduktion und ihre Probleme
Bei der Stahlproduktion geht es heiß zu: Im Inneren von Hochöfen können die Temperaturen auf bis zu 1700 Grad Celsius steigen. Sie sind damit der Inbegriff einer „rauen Umgebung“. Unverzichtbar sind daher feuerfeste Materialien, die diesen Bedingungen standhalten können – und zwar nicht nur in der Stahlindustrie, sondern überall dort, wo Hochtemperaturverfahren zum Einsatz kommen.
Feuerfestprodukte, wie sie unter anderem RHI Magnesita herstellt, sichern nicht nur Materialien während der Hochtemperaturprozesse ab, sondern schützen Feuerungs- und Ofenanlagen vor thermischer, mechanischer und chemischer Belastung. Doch wie lässt sich der Zustand der feuerfesten Auskleidung der Anlagen möglichst effizient und präzise datengesteuert überwachen? Dieser Frage widmen sich laut einer Aussendung Franz Pernkopf und sein Team vom Institut für Signalverarbeitung und Sprachkommunikation der TU Graz.
Das neue CD-Labor
„Wir wollen die datenbasierte Zustandsüberwachung von Maschinen in rauen, industriellen Anwendungen weiter vorantreiben und haben dafür bewusst das Anwendungsbeispiel Stahlproduktion gewählt“, so Pernkopf, der das neue „Christian Doppler Labor für zuverlässige Systeme in rauen Umgebungen“ leitet. Am 17. April 2023 wurde es von der Uni gemeinsam mit dem Unternehmenspartner RHI Magnesita eröffnet. Sieben Jahre lang werde nun mit finanzieller und wissenschaftlicher Unterstützung durch RHI Magnesita geforscht. Größter öffentlicher Fördergeber des CD-Labors ist das Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft (BMAW).
Machine Learning für die Prozessoptimierung
„Heute liegen die meisten Anwendungsbereiche des maschinellen Lernens in der virtuellen Welt, Stichwort Empfehlungssysteme, Börsenprognosen oder Social Media“, so Franz Pernkopf. Intelligente Systeme, die komplexe Abhängigkeiten modellieren und Schlussfolgerungen aus den riesigen gesammelten Datenmengen ziehen, sind aber auch für industrielle Anwendungen spannend. Pernkopf: „Derzeit erleben wir den Übergang von Machine Learning-Systemen von der virtuellen in die reale Welt, zum Beispiel in Anwendungen für die autonome Navigation, das Internet der Dinge und Industrie 4.0. Es liegt auf der Hand, dass dieser Übergang verschiedene Herausforderungen mit sich bringt. Die gilt es zu überwinden.“
„Wir sind überzeugt davon, dass wir durch diese Kooperation nicht nur die Prozesse unserer Kunden effizienter gestalten und unsere eigenen Produkte nachhaltiger machen können, sondern auch neue digitale Lösungen und Produkte anbieten können, um unsere Kunden noch besser zu unterstützen“, so Constantin Beelitz, Regional President Europe, CIS & Turkey von RHI Magnesita.
Die Forschungsaufgaben
In dem neuen CD-Labor soll der Weg für die Anwendung von Machine Learning zur Zustandsüberwachung in industriellen Umgebungen geebnet werden. „Ziel ist es, die Lücke zwischen der Grundlagenforschung im Bereich ML und industriellen Anwendungen in rauen Umgebungen zu schließen“, so Pernkopf. In folgenden drei Bereichen werde geforscht:
- Robuste Repräsentation: Dabei werden tiefe neuronale Netze und hybride Modelle zum Erlernen von Repräsentationen genutzt, um manuelles Feature-Engineering zu vermeiden. Darüber hinaus werden diese zur Erkennung von Ausreißern, zur Datenaugmentierung und zum semi-überwachten Lernen verwendet, um der beschränkten Datenmenge bzw. einer minderen Datenqualität entgegenzuwirken und die Generalisierungsfähigkeit der Modelle zu verbessern.
- Lernen und Unsicherheitsschätzung: Hier werden Bayes’sche Modelle adaptiert, um Unsicherheitsschätzungen für die Vorhersagen bereitzustellen. Weiters werden Methoden zur Überwindung von Domänenverschiebungen entwickelt und wird Transferlernen für die Wissensnutzung über verwandte Applikationen hinweg verwendet.
- Erklärbarkeit und Prozessoptimierung: Es werden Methoden entwickelt, um die Ursachen für die Vorhersage der Black-Box-ML-Modelle zu verstehen. Darüber hinaus werden Methoden zur Modelladaption während der Modellnutzungsphase erforscht.
Die grundlegende Innovation ist laut TU Graz die Verbesserung der datengetriebenen Zustandsüberwachung. Die betrachtete Applikation ist die Modellierung von Feuerfestmaterialien während der Produktion und deren Einsatz in der Stahlherstellung. Die Ergebnisse des Labors sollen aber auch für weitere Industrieprozesse anwendbar sein.