Parlament. Videozuschaltungen bei Zivilverfahren und digitale Versammlungen von Firmen und Vereinen, ursprünglich eine Corona-Notmaßnahme, werden auf Dauer zugelassen: So funktionieren sie künftig.
Videozuschaltungen vor Gericht waren ursprünglich Teil der Corona-Bestimmungen, werden nun aber einen Dauereinrichtung: Mit Außerkrafttreten der Corona-Bestimmungen am 30. Juni 2023 hatte sich insofern im Justizbereich Handlungsbedarf ergeben, um die Möglichkeit von Videozuschaltungen vor Gericht bei Zivilverfahren weiterhin sicherzustellen. Der Justizausschuss des Nationalrats hat nun die entsprechende Gesetzesvorlage beschlossen und dabei auch einer zweiten digitalen Neuerung grünes Licht gegeben: Unternehmen und Vereinen sollen virtuelle Zusammenkünfte ebenfalls offenstehen, auch ohne pandemiebedingte Kontakteinschränkungen.
Eine weitere Vorlage der Justizministerin zum Umgründungsrecht von Kapitalgesellschaften passierte den Ausschuss mit den Stimmen aller Fraktionen außer der SPÖ. Mit einem mitbeschlossenen Abänderungsantrag zum Gerichtsgebührengesetz soll als inflationsdämpfende Maßnahme, ähnlich wie der zuletzt verfügte Gebührenstopp für Bundesgebühren, die Erhöhung der Gerichtsgebühren um weitere 18 Monate verschoben werden, berichtet die Parlamentskorrespondenz.
Virtuelle Verfahren werden zum Dauerrecht
Die Regierung erklärt ihren Novellenentwurf für virtuelle Zivilprozesse mit der bewährten Praxis während der Corona-Pandemie. Die Übernahme dieser Regelung zur Verfahrenserleichterung in das Dauerrecht werde sowohl von Rechtsanwalts- als auch von Richterseite gewünscht. Die Richterin oder der Richter hat jedoch gemäß Regierungsvorlage weiterhin physisch im Verhandlungssaal anwesend zu sein, um mit einem „Aufruf zur Sache“ die Verhandlung zu starten. Damit sei auch die verfassungsrechtlich gebotene Möglichkeit einer Teilnahme der Öffentlichkeit sichergestellt, heißt es in den Erklärungen zum Entwurf. Für die Vorlage sprachen sich ÖVP, SPÖ, FPÖ und Grüne aus. Ein mitbeschlossener Abänderungsantrag der Koalitionsparteien enthält formelle Klarstellungen.
Grundsätzlich bedarf es einer gerichtlichen Anordnung zur virtuellen Abhaltung einer Verhandlung und Beweisaufnahme, wobei der Umfang der Videozuschaltungen im Ermessen des Gerichts liegt, also ob alle Parteien und deren Vertreter:innen oder bloß einzelne von diesen virtuell am Verfahren beteiligt werden. Da die Streitparteien mit dieser Vorgangsweise einverstanden sein müssen, wird ihnen ein Widerspruchsrecht ohne Begründung innerhalb einer vom Gericht festgelegten Frist eingeräumt.
Daneben bietet der Entwurf die Möglichkeit, dass das Gericht die ausdrückliche Zustimmung der Parteien zur bevorstehenden Verhandlung im Videoformat einholt, ausgenommen einer virtuellen Ladung zum ersten vorbereitenden Verhandlungstag. Die Einschränkungen zur Anberaumung einer Videoverhandlung sollen laut Justizministerium sicherstellen, dass die konkrete Verhandlungssituation für den Einsatz von Videotechnologie geeignet ist.
Nicht möglich bei problematischen Beweismitteln – oder Personen
Fälle, in denen das Erscheinen einer Partei vor Gericht durch Verfahrensleitung und Sitzungspolizei gewährleistet werden muss, oder solche, in denen von einer Kamera schwer aufzunehmende Gegenstände oder Dokumente eingesehen werden müssen, betrachtet das Ministerium als eher ungeeignet für Videoverhandlungen. Außerstreitige Verfahrensmaterien (z.B. Verlassenschaft, Unterhalt, Adoption) werden wiederum als grundsätzlich geeignet für diese Verhandlungsform gewertet.
Neben der Zivilprozessordnung und dem Außerstreitgesetz werden in der vorgeschlagenen Sammelnovelle für Videoverhandlungen auch das Unterbringungsgesetz, das Heimaufenthaltsgesetz, die Insolvenzordnung, die Exekutionsordnung, das Gerichtsorganisationsgesetz und das Bundesverwaltungsgerichtsgesetz geändert. Zusätzliche Änderungen in letzterer Materie schreiben den Umlaufweg als Möglichkeit zur Abstimmung und Beschlussfassung der Senatsmitglieder bzw. der Laienrichter:innen am Bundesverwaltungsgericht fest.
Das virtuelle Gesellschafter-Versammlungsgesetz
Mit dem neuen Gesetz zur Durchführung virtueller Gesellschafterversammlungen will die Regierung Kapitalgesellschaften, Genossenschaften, Vereinen sowie Versicherungsvereinen ein Wahlrecht einräumen, ob sie ihre Gesellschafterversammlungen künftig in Präsenz, virtuell oder hybrid durchführen wollen. Die während der Covid-19-Pandemie zeitlich befristete gesetzliche Grundlage für „virtuelle Versammlungen“ soll somit in den geltenden Rechtskanon überführt werden, konkret ab 14. Juli 2023.
Damit könne rechtsformübergreifend die passendste Versammlungsform gemäß der Regelungen im jeweiligen Gesellschaftsvertrag gewählt werden, heißt es in der Erklärung zum Gesetzesentwurf, wobei das Justizressort mit Verweis auf die unterschiedlichen Unternehmens- und Gesellschafterstrukturen mögliche Kosteneinsparungen nicht spezifizieren will.
Angemerkt wird jedoch, dass für börsennotierte Aktiengesellschaften physische Hauptversammlungen einen erheblichen Kostenfaktor darstellen. Entsprechende Zusammenkünfte im Videoformat würden somit Einsparungen von durchschnittlich 50.000 € bei Miete, Energie, Transport, Sicherheit und Verpflegung bewirken bzw. von 100.000 € und mehr bei großen Kapitalgesellschaften. Durch den Wegfall der Reisetätigkeit von Aktionär:innen würden darüber hinaus bei virtuellen Versammlungen die CO2-Emissionen deutlich reduziert, auch der Papierverbrauch sei geringer.
Erwartet wird außerdem eine Erhöhung und Diversifizierung der Hauptversammlungs-Präsenz, indem einer breiten nationalen und internationalen Aktionärsbasis die Teilnahme über Videozuschaltung erleichtert wird. Für börsennotierte Aktiengesellschaften sieht die Vorlage eigene Sonderbestimmungen vor, etwa hinsichtlich Wortmeldungen und Stimmrechte. Die Vorlage passierte den Ausschuss mit den Stimmen von ÖVP und Grünen.
Petra Oberrauner (SPÖ) pochte darauf, dass es für Kleinaktionär:innen eine niedrigere Schwelle von 5% statt 10% brauche, um ihre Rechte zu berücksichtigen. Harald Stefan (FPÖ) sprach sich gegen die Vorlage aus, zumal man solche digitalen Versammlungen aus seiner Sicht nur unter besonderen Umständen machen sollte. Johannes Margreiter (NEOS) stellte die Befürchtung in den Raum, dass die Kernäktionär:innen sehr schnell nur virtuelle Hauptversammlungen machen werden, wodurch sich vor allem betagtere Kleinaktionär:innen schwer tun würden, teilzunehmen.
Ähnlich wie Agnes Sirkka Prammer (Grüne) erläuterte Justizministerin Alma Zadić, dass bei börsennotierten Aktiengesellschaften die Schwelle jetzt tatsächlich bei 5% einer Minderheit der Aktionär:innen liegen soll, um ein Verlangen zu stellen, wie die Versammlung stattfinden soll. Diese Schwelle sei im Vergleich zum Begutachtungsentwurf eben auf 5% herabgesetzt worden.