Interview. Fachverlag Manz hat eine Reihe neuer Tools und Produkte gestartet, darunter das Nachhaltigkeitsportal NIU, den „Bookscreener“ als neue Buchvorschau und mehr. Eine neue Version des KI-Tools kommt, sagt Chefin Susanne Stein-Pressl.
Extrajournal.Net: Manz hat in den letzten Monaten eine ganze Reihe neuer Tools und Produkte gestartet. Dazu zählt mit NIU ein neues Nachhaltigkeitsportal, es gibt Bookscreener als neue Buchvorschau im Webshop usw. Wirkt sich hier schon die angekündigte KI-Offensive aus?
Susanne Stein-Pressl: Etliche, aber nicht alle unserer Innovationen basieren auf dem Einsatz von künstlicher Intelligenz. Vor kurzem haben wir mit dem Nachhaltigkeitsportal NIU ein neues Angebot an Fachinformation geschaffen, das sich in erster Linie an Nachhaltigkeitsmanager:innen, also auch juristische Laien richtet: Das Thema Nachhaltigkeit und ESG gewinnt für die Wirtschaft immer mehr an Bedeutung, wie man unter anderem am neuen Lieferkettengesetz sieht. Als kleines Geschenk für unsere Leser:innen anlässlich unseres 175-jährigen Firmenjubiläums bieten wir 2024 alle Inhalte auf NIU zum Kennenlernen kostenfrei an. Manz selbst ist Mitglied bei der Nachhaltigkeitsorganisation respACT, deren Mitglieder wiederum auf NIU aktiv sind. Wie oben bereits erwähnt, tun sich hier hinsichtlich der Zielgruppen interessante neue Perspektiven für uns auf: Wir glauben, dass die Inhalte von NIU verstärkt auch für Personen relevant sein werden, die nicht permanent juristisch tätig sind. In vielen Unternehmen ist der oder die CFO für das Thema ESG zuständig. Oft sind das Betriebswirte. Es ist spannend, diese verschiedenen Welten thematisch unter ein Dach zu bringen.
„Verschiedene Welten unter einen Hut bringen“
Das von Ihnen auch erwähnte Tool Bookscreener zielt auch darauf ab, verschiedene Welten unter einen Hut zu bringen: die digitale Webshop-Welt und die analoge Bücher-Welt. Bookscreener ist ein digitales Recherchewerkzeug, das seit Mitte März in unserem Webshop im Einsatz ist. Es wurde von LeReTo speziell für die Suche in Fachliteratur entwickelt, um beispielsweise anzuzeigen, wie oft ein bestimmtes Schlagwort in dem ausgewählten Buch vorkommt. Damit können unsere User:innen bereits vor dem Kauf feststellen, wie hoch die Relevanz des Inhalts für ihre Bedürfnisse ist. Man kann sagen, Bookscreener ist ein digitales Suchen und Blättern im Buch.
KI setzen wir derzeit in unterschiedlichen Bereichen ein: Erstens in der Ähnlichkeitssuche in der RDB: Dabei findet die Datenbank vollautomatisch ähnliche Inhalte zu der jeweiligen Suchanfrage. Das System ist also in der Lage, den Inhalt von Dokumenten selbsttätig zu interpretieren. Ähnlichen Komfort bietet die Semantische Suche als weiteres KI-basiertes RDB Feature. Diese Art der Suche ist in der Lage, die Bedeutung hinter dem Suchbegriff oder der Phrase zu erfassen und damit deren Kontext zu berücksichtigen. Konkret: Selbst wenn Schlüsselbegriffe nicht wortwörtlich im Text vorkommen, können über die Semantische Suche relevante Dokumente angezeigt werden.
Im Manz Genjus KI-Labor arbeiten wir derzeit an der Weiterentwicklung unseres KI-basierten Prototypen, der bereits letztes Jahr im Sommer einem eingeschränkt öffentlichen Test unterzogen wurde. Die Ergebnisse dieses Tests haben die Basis für die Evolution des KI-Labors gebildet. Der Prototyp ermöglicht es, mithilfe eines LLM-Sprachmodells in den Dialog mit den User:innen zu treten und diese bei der Recherche zu unterstützen, so wie man es beispielsweise von ChatGPT oder Copilot kennt. Im Unterschied zu diesen beiden Anwendungen liegen unseren Antworten aber nicht die unendlichen Weiten des ganzen Internets zugrunde, sondern ausschließlich unser geprüfter und fundierter Manz-Content. Unsere User:innen können sich also auf die gewohnte inhaltliche Qualität der Publikationen von Manz verlassen. Dazu liefern wir zu jeder Antwort auch punktgenau die Quellenangaben, ähnlich wie Zitate in wissenschaftlichen Publikationen, die zur Generierung der Antwort durch das LLM verwendet wurden.
Extrajournal.Net: Sogenannte Large-Language-Models (LLMs), die Informationen auf statistischer Basis verknüpfen, bilden die Grundlage derartiger KI-Systeme. Welche kommen bei Ihnen zum Einsatz?
Susanne Stein-Pressl: Wir testen derzeit parallel unterschiedliche Modelle, darunter auch ChatGPT 4 und Claude 3. Hier ist der Auswahlprozess noch nicht abgeschlossen, wir testen viel und werden letztendlich jenes auswählen, das die Bedürfnisse der juristischen Sprache am besten erfüllt.
„User wollen 20 relevante Ergebnisse, nicht 200 beliebige Suchtreffer“
Extrajournal.Net: Der Gesetzesumfang nimmt bekanntlich immer mehr zu. Geht es irgendwann nicht mehr ohne KI, um sich in der Textflut einen Überblick zu verschaffen?
Susanne Stein-Pressl: Natürlich schätzen es die User:innen, wenn sie als Suchergebnis lediglich 20 Treffer erhalten, die dann aber absolut relevant und verwertbar sind – im Gegensatz zu 200 beliebigeren Suchtreffern, die man kaum mehr überblicken kann. Erwartet wird von den Nutzer:innen unter anderem auch, dass ihnen als Beiprodukt der Recherche auch Werkzeuge zur Verfügung gestellt werden, die sie bei der Erstellung von Texten in ihrer juristischen Arbeit unterstützen. Ich denke, dass die KI diesbezüglich die zentrale Innovation meiner Generation ist.
Extrajournal.Net: Sie arbeiten also derzeit intensiv daran, diese Innovation in die Realität umzusetzen. Wie stehen die österreichischen Fachverlage generell im internationalen Vergleich da, was den KI-Einsatz betrifft?
Susanne Stein-Pressl: Die österreichische Justiz ist ein wesentlicher Faktor für den digitalen juristischen Wandel in Österreich, da sie schon immer eine digitale Vorreiterstellung eingenommen hat, z.B. mit Justiz 3.0 oder dem elektronischen Rechtsverkehr (webERV), die auch international anerkannt sind. Das wirkt sich auch auf alle anderen Akteure in Österreich aus, wie Anwaltei, Notariate, Wirtschaftsprüfung, die Fachverlage usw. Natürlich haben die einzelnen Unternehmen am Markt der juristischen Fachinformation unterschiedliche Strategien: Verlage wie Manz, LexisNexis oder Linde arbeiten jeweils an der Digitalisierung ihres Angebots und entwickeln eigene KI-Lösungen. Kleinere Fachverlage hingegen gehen eher Kooperationen mit den erstgenannten ein, nicht zuletzt aus wirtschaftlichen Gründen.
Auch von allen führenden deutschen Fachinformationsanbietern werden KI-Lösungen geprüft bzw. sind solche in Planung. Ich glaube, wir sind in Österreich im Vergleich zu den deutschen Anbietern bei der Entwicklung von KI-Anwendungen für die juristische Recherche sehr gut aufgestellt.
Manz legt jedenfalls beim Content Wert auf inhaltliche Spitzenqualität: Wir sehen es als unseren wichtigsten Auftrag an, den Manz Content so optimal für die KI-Anwendungen aufzubereiten, dass wir die hohen Ansprüche unserer Kundinnen und Kunden erfüllen können.
„Rechtsbranche ist resistent in Krisenzeiten“
Extrajournal.Net: Die neuen digitalen Technologien eröffnen zwar die Aussicht auf neue Geschäftsfelder, sie bringen aber auch – wie man täglich liest – teilweise recht hohe Kosten mit sich. Wie ist die wirtschaftliche Lage der Fachverlage nach der Corona-Pandemie und in Zeiten des Ukraine-Kriegs?
Susanne Stein-Pressl: Die wirtschaftliche Lage der juristischen Fachverlage nach der Corona-Pandemie und in Zeiten des Ukraine-Kriegs ist durch verschiedene Herausforderungen und Chancen gekennzeichnet. Während der Pandemie haben viele Verlage ihr digitales Angebot ausgebaut. Der Ukraine-Krieg wiederum hat zu einer allgemeinen wirtschaftlichen Unsicherheit aufgrund der durch die hohen Energiepreise ausgelösten hohen Inflation in allen Bereichen geführt. Die Rechtsbranche und deren Marktteilnehmer hat sich allerdings in diesen Krisenzeiten als sehr resistent erwiesen.
Insgesamt sind die juristischen Fachverlage, wie viele andere Branchen auch, in einer Phase der Anpassung und müssen sowohl die Herausforderungen der Digitalisierung als auch die wirtschaftlichen Auswirkungen der aktuellen globalen Ereignisse bewältigen. Diejenigen, die erfolgreich eine starke digitale Präsenz aufbauen und effizient auf die Bedürfnisse ihrer Nutzer eingehen, könnten langfristig gut positioniert sein, um aus diesen Herausforderungen gestärkt hervorzugehen.
Heuer gibt es von uns zum 175-jährigen Jubiläum von Manz eine Kommunikationskampagne mit Autorinnen und Autoren, Kundinnen und Kunden sowie bedeutenden Persönlichkeiten der juristischen Szene. Im Rahmen der Entwicklung dieser Jubiläumskampagne haben wir uns auch gefragt, warum wir das alles eigentlich tun: Was macht den Kern unserer Tätigkeit über so einen langen Zeitraum aus? Die Antwort lautet, dass die Rechtsinformation ein enorm wichtiges Element für die Rechtsstaatlichkeit ist. Das galt in der Nachkriegszeit, als Manz unter den enorm schwierigen wirtschaftlichen und politischen Verhältnissen die ersten Fachbücher und -zeitschriften veröffentlichte, ganz genauso wie heute.
Im Interview
Mag. Susanne Stein-Pressl ist Geschäftsführende Gesellschafterin der MANZ’sche Verlags- und Universitätsbuchhandlung GmbH.