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Business, Recht

„Welle an Verbandsklagen steht bevor“: Firmen müssen sich anpassen

Bojana Vareskic ©Angelika Schiemer

Wien. Mit der neuen Verbandsklage werden in Österreich zahlreiche neue Verfahren kommen, so Deloitte Legal-Anwältin Bojana Vareskic: Unternehmen sollen ihre Geschäftspraktiken anpassen und sich organisatorisch vorbereiten.

Die Europäische Sammelklage ist nun auch in Österreich umgesetzt und seit 18. Juli 2024 in Kraft. Dabei wird auch explizit die Möglichkeit der Prozessfinanzierung durch Dritte eingeführt. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund stehe wohl eine Welle an Verbandsklagen bevor, schreibt Deloitte-Expertin Bojana Vareskic (Anwältin und Partnerin bei Deloitte Legal).

„Die neu eingeführte Verbandsklage wurde in Österreich schon lange erwartet“, so Bojana Vareskic auf Anfrage von Extrajournal.Net: „Bereits zu Beginn des Jahres 2024 – sohin vor In-Kraft-Treten der Verbandsklagen-Richtlinien-Umsetzungsnovelle – wurde eine Verbandsklage auf Abhilfe auf Basis der EU-Richtlinie selbst zugelassen. Betrachtet man die Vielzahl an derzeit laufenden Sammelaktionen in Österreich, sind damit weitere Klagen wohl in naher Zukunft zu erwarten.“

Welche Branchen vor allem betroffen sein werden

Adressaten von Verbandsklagen sind nach ihrer Ansicht primär Unternehmen, die Leistungen gegenüber einer Vielzahl an Verbraucherinnen und Verbrauchern erbringen. Klassischer Weise stehen dabei Unternehmen in der Versicherungs-, Banken- oder Energiebranche im Fokus. „Aber auch andere Industrien können betroffen sein“, so Vareskic: „Verbandsklagen kann nur vorgebeugt werden, wenn die eigenen Geschäftspraktiken normkonform sind. Daher empfiehlt es sich, die eigenen Geschäftspraktiken rechtlich unter die Lupe zu nehmen und gegebenenfalls anzupassen.“

Auf organisatorische Bewältigung vorbereiten

Ebenfalls sei anzuraten, sich bereits intern eine Strategie zur organisatorischen Bewältigung von Abhilfeverfahren zurecht zu legen, um im Klagsfall gewappnet zu sein. Werde man Adressat einer Verbandsklage, hängt die weitere verfahrensstrategische Vorgehensweise natürlich stets vom Einzelfall ab. In einem solchen Fall sollte man sich zeitnah an den Rechtsbeistand des Vertrauens wenden, weil die Fristen recht knapp sein können, heißt es.

So funktioniert die neue Verbandsklage

Ziel der Richtlinie (EU) 2020/1828 ist es, unerlaubte innerstaatliche oder grenzüberschreitende Geschäftspraktiken, welche die Interessen einer großen Anzahl von Verbrauchern bedrohen oder schädigen, zu beenden und Verbrauchern Abhilfe in Form von Schadenersatz zu ermöglichen. Dies erfolgt durch Einführung der Verbandsklage (der sog. Europäischen Sammelklage).

Die Verbandsklage ist keine Gruppenklage, wie aus dem anglo-amerikanischen Raum bekannt; vielmehr kann diese lediglich von Qualifizierten Einrichtungen und ausschließlich zum Schutz kollektiver Interessen von Verbrauchern erhoben werden. Derzeit gelten u.a. Wirtschaftskammer Österreich und Bundesarbeiterkammer Österreich als innerstaatlich und grenzüberschreitende Qualifizierte Einrichtungen.

Bisherige Formen der Klage bleiben

Rechtsansprüche können auch weiterhin in bisher bekannter Form geltend gemacht werden: individuell, in Form von Massenklagen oder auch der sog. „Sammelklage österreichischer Prägung“, die eine Übertragung von Rechtsansprüchen auf eine Person zur gemeinsamen Verfolgung dieser Ansprüche vorsieht. Ebenfalls bleiben die nach österreichischem Recht bereits bestehenden Verbandsklagen, etwa iSd §§ 28 KSchG und § 14 UWG, von der neu eingeführten Europäischen Sammelklage unberührt.

Neu eingeführt werden zwei Arten von Klagen: (i) Verbandsklage auf Unterlassung und (ii) Verbandsklage auf Abhilfe. Kernelement der Verbandsklage ist die neu geschaffene Möglichkeit, im Abhilfeverfahren kollektiv einen (bereits im österreichischem Recht verankerten) Zwischenantrag auf Feststellung zu stellen, mittels dem die Feststellung über den Bestand oder Nichtbestand eines Rechtes oder Rechtsverhältnisses als Vorfrage beurteilt werden soll; dies mit Wirkung für alle am Verfahren beteiligten Verbraucher.

Die Klage auf Abhilfe hat ein bestimmtes Begehren auf Abhilfe von mindestens 50 Verbraucher auf Grund von im Wesentlichen gleichartigen Sachverhalten gegen denselben Unternehmer zu enthalten. Dabei können Qualifizierte Einrichtungen in der Klage erklären, dass noch weitere Verbraucher dem Abhilfeverfahren beitreten können, und die genauen Kriterien dafür angeben. Ein Beitritt kann bis drei Monate nach Veröffentlichung der Entscheidung über die Durchführung eines Verbandsklageverfahrens erfolgen.

Starke Stellung der Prozessfinanzierer

Der österreichische Gesetzgeber wählte im Vergleich zu anderen Mitgliedstaaten einen eher liberalen Zugang zur Prozessfinanzierung, so Vareskic. Die Finanzierung einer Verbandsklage durch Dritte ist zulässig. Die Qualifizierte Einrichtung kann Beitritte von Verbrauchern zu einem Verbandsklageverfahren gar davon abhängig machen, dass die Beitretenden den zwischen der Qualifizierten Einrichtung und dem Prozessfinanzierer vereinbarten Vertrag abschließen.

Mit der Einführung der Europäischen Sammelklage soll ein effizienter und schnellerer Rechtsschutz für Verbraucher geschaffen werden. Ob dieses Ziel mit den neu eingeführten Verbandsklageverfahren tatsächlich erreicht wird, müsse sich noch zeigen. Das Handelsgericht Wien sowie auch der Oberste Gerichtshof erblicken in der vermeintlichen „Lockerung“ der Anforderungen an Vorbringen und Beweisen keine Verfahrenserleichterung, so die Deloitte Legal-Partnerin, die im August die Leitung des Bereichs Litigation (Prozessführung) in ihrer Kanzlei übernommen hat.

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