Recht & Praxis. Auf die Unternehmen kommt „eine Bandbreite neuer gesetzlicher Vorgaben und Regulierungen“ zu, hieß es am 12. Wiener Unternehmensrechtstag – insbesondere das Lieferkettengesetz.
Österreichische Unternehmen müssen sich gegenwärtig und in naher Zukunft mit einer Bandbreite neuer gesetzlicher Vorgaben und Regulierungen auseinandersetzen, die Veränderungen im Unternehmensalltag mit sich bringen werden, so eine Aussendung der Veranstalter: Ein Beispiel dafür sei etwa das erneuerte Sanktionengesetz, das im Zuge des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine verschärft wurde und verstärkte Kontrollmaßnahmen für international tätige Unternehmen brachte.
Ein weiteres wichtiges Beispiel ist das Lieferkettengesetz – und hier besteht im Rahmen der EU-Regeln noch Spielraum für den Gesetzgeber, konkret also die nächste österreichische Bundesregierung bzw. die Regierungsparteien im Parlament, hieß es bei der Veranstaltung.
Im Bild: Die Vortragenden des 12. Wiener Unternehmensrechtstages, v.l.n.r.: Martin Oppitz (Eunomia), Johannes Barbist (Binder Grösswang), Stephan Korinek (Finanzmarktaufsicht Österreich), Univ.Prof. Susanne Kalss, Christoph Nauer (bpv Hügel), Erich Hampel (B&C) © B&C Privatstiftung/APA-Fotoservice/Juhasz
Das Lieferkettengesetz rollt an
Das neue EU-Lieferkettengesetz, die „Richtlinie über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit“, verpflichtet Unternehmen künftig, ihre Lieferketten systematisch auf Menschenrechts- und Umweltstandards zu überprüfen und darüber zu berichten. Dies soll dazu beitragen, soziale und ökologische Standards weltweit zu verbessern und für mehr Transparenz und fairen Wettbewerb in einer globalisierten Wirtschaft zu sorgen.
Mit diesen und weiteren für den Wirtschaftsstandort Österreich relevanten Rechtsfragen befasste sich der 12. Wiener Unternehmensrechtstag am 1. Oktober 2024 an der Wirtschaftsuniversität Wien. Die unter der Leitung von Susanne Kalss, Professorin an der WU Wien, und Ulrich Torggler, Professor an der Universität Wien, durchgeführte Fachtagung geht auf eine gemeinsame Initiative mit der B&C Privatstiftung zurück.
Die Vortragenden
Erich Hampel, Stiftungsvorstand der B&C Privatstiftung, wies in seiner Eröffnungsrede im Festsaal der Wirtschaftsuniversität Wien auf die Bedeutung des Unternehmensrechts für Stabilität und Wachstum am Wirtschaftsstandort Österreich und für ganz Europa hin. Er regte eine intensive Auseinandersetzung mit den Themen Regulierung und Überregulierung an und sprach über die Praxisauswirkungen neuer Gesetze für die heimische Wirtschaft und deren internationaler Wettbewerbsfähigkeit.
Die fünf Vortragenden des Tages gingen auf die Themen Bankgesellschaftsrecht, Versicherungsrecht, Lieferkettenrecht im Konzern sowie auf das Sanktionenrecht und Investitionskontrollrecht ein: Martin Oppitz (Eunomia), Stephan Korinek (Finanzmarktaufsicht Österreich), Univ.Prof.in Susanne Kalss, Christoph Nauer (bpv Hügel) und Johannes Barbist (Binder Grösswang).
Einwirkungen durch europäische Regulierungsstandards
Susanne Kalss, Universitätsprofessorin an der WU Wien, wies auf die alte und traditionelle Verbindung von Gesellschaftsrecht und öffentlichem Recht zur Durchsetzung öffentlicher Interessen hin. Sie erläuterte die neuen und stetig steigenden Anforderungen an österreichische Unternehmen durch neue Kontrollbehörden und machte deutlich, welche weitreichenden organisatorischen Veränderungen, etwa im Bereich der Datenerfassungen und Dokumentationspflichten, damit für die betroffenen Unternehmen verbunden sind.
Gesetzgeber und Behörden in Europa greifen durch technische Regulierungsstandards in Zukunft noch stärker in das Tagesgeschäft und in Geschäftsbeziehungen von Unternehmen ein. Im Bank- und Versicherungsrecht sei das schon länger die Regelungstechnik; neue Beispiele dafür sind das EU-Lieferkettengesetz, Sanktionen und das Investitionsschutzgesetz.
Die Verzahnung von Unternehmensrecht auf nationaler und europäischer Ebene führt laut Kalss zu einer kontinuierlich wachsenden Komplexität der Regelungen. Unternehmen seien deswegen auch im normalen Tagesgeschäft immer stärker auf die Unterstützung externer Rechtsexpertinnen und Rechtsexperten angewiesen. Intensiv diskutiert wurde dabei, ob österreichische und europäische Unternehmen und der Wirtschaftsstandort durch überbordende Regulierungen an Autonomie und Wettbewerbsfähigkeit einbüßen, heißt es.
Wen europäisches Bankenrecht das Gesellschaftsrecht „überlagert“
Rechtsanwalt Martin Oppitz, Bank- und Kapitalmarktrechtexperte (Eunomia), ging in seinem Vortrag auf gesellschafts- und unternehmensrechtliche Besonderheiten für Kreditinstitute ein. Er erörterte, wie Gesellschaftsrecht und Bankenrecht ineinandergreifen. Dieses Wechselspiel könne zu sinnvollen Ergänzungen, aber auch zu Widersprüchen führen. Als konkretes Beispiel schilderte er die Überlagerung des Gesellschaftsrechts durch europäisches Bankenrecht. Er betonte, wie wichtig es ist, die beiden Regelsysteme auszubalancieren. Darin sieht er eine Herausforderung für mehrere Instanzen: Primär seien jene Aufsichtsbehörden gefragt, die sich mit Rechtsanwendung und -durchsetzung beschäftigen. Auch Gerichte, die universitäre Lehre und die Rechtsberatung müssen sich dementsprechend anpassen.
Der Leiter der behördlichen Aufsicht über Versicherungsunternehmen und Pensionskassen bei der Finanzmarktaufsicht Österreich, Stephan Korinek, ging auf aktuelle Themen des Versicherungs- und Gesellschaftsrechts ein. Dort gebe es aktuell große Veränderungen durch neue europarechtliche Regelungen. Er betonte, dass die Finanzmarktregulierung zunehmend vom Prinzip der Vollharmonisierung – einem Konzept der EU, das darauf abzielt, Rechtsnormen bei den Mitgliedstaaten zu vereinheitlichen – geprägt ist. Damit habe sich die Komplexität weiter erhöht.
Durch die Verwendung unbestimmter Gesetzesbegriffe im Europarecht besteht dennoch Handlungsspielraum bei der praktischen Anwendung in Österreich. Als Beispiel erläuterte er, dass durch Verschränkung von europäischen und österreichischen Regelungen spezielle Verhaltenspflichten für die Unternehmen und ihre Organisation entstehen.
Gestaltungschancen der neuen österreichischen Regierung
In ihrem Vortrag zum Thema „Lieferkettenrecht – Auswirkungen auf das Gesellschafts- und Konzernrecht“ wies Susanne Kalss darauf hin, dass Österreich hinsichtlich des neuen Lieferkettenrechts eine große Regulierungswelle erwartet. Sie betonte, dass es in den nächsten zwei Jahren, bis das Gesetz ab Juni 2026 gilt, eine Gestaltungsmöglichkeit für Österreich gibt.
Besonders wichtig sei es, diese Regelungen für österreichische Unternehmen in der Praxis verständlich und leicht umsetzbar zu gestalten. Mögliche Lösungsansätze sieht Susanne Kalss beispielsweise in der Entwicklung eines Leitfadens durch die Wirtschaftskammer oder die Industriellenvereinigung. Die Aufgabe des Gesetzgebers sei es, einen Rahmen zu schaffen, der es Unternehmen ermöglicht, innerhalb der europarechtlichen Vorgaben ihre unternehmerischen Ziele zu erreichen und wettbewerbsfähig zu bleiben.
Der Angriff auf die Ukraine und die Sanktionen
Rechtsanwalt Christoph Nauer, Unternehmensrechtsexperte und Managing Partner bei bpv hügel, hielt einen Vortrag zum Thema Sanktionenrecht und ging dabei auf aktuelle wirtschaftliche und rechtliche Auswirkungen des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine im Detail ein.
Johannes Barbist, Partner in der Wiener Rechtsanwaltskanzlei Binder Grösswang und spezialisiert auf öffentliches Wirtschaftsrecht, hielt seinen Vortrag zum Thema Investitionskontrollrecht und betonte dabei, dass Investitionskontrollen im Umfeld der aktuellen wirtschafts- und geopolitischen Veränderungen besonders wichtig seien.
Eine genaue Prüfung, welche Unternehmen aus nicht-EU-Staaten österreichische Unternehmen kaufen, sei aus seiner Sicht notwendig und sinnvoll. Dennoch betonte er, dass es in vielen Bereichen Verbesserungen braucht, um den Unternehmenserwerbsprozess nicht zu sehr zu verschleppen. In manchen Branchen sind die Investitionskontrollen und die Prüfungen der Gefährdungslage zu streng. In diesen Bereichen werden die Verfahren dadurch häufig grundlos verzögert, so Barbist.