Wien. 5,8 Millionen Krankenstandstage wurden in Österreich 2023 mit der Diagnose „Psychische Erkrankung“ gezählt. Eine riesige Belastung für die Betroffenen und die Volkswirtschaft, hieß es bei einer Podiumsdiskussion der Volksbank Wien.
Bereits 10,23 Prozent aller Krankenstandstage entfielen im vergangenen Jahr auf die Diagnose „Psychische Erkrankungen“. Die durchschnittliche Dauer eines solchen Krankenstandes lag bei 37,2 Tagen. Alarmierend sei aber vor allem die Tatsache, dass der prozentuelle Anteil psychischer Erkrankungen seit dem Jahr 1994 massiv gestiegen ist. Vor 30 Jahren lag er nämlich nur bei 2,6 Prozent.
Unlängst luden deswegen die Volksbank Wien, der Verein ganznormal.at und die Sparda Bank zum Business-Frühstück in den Flughafentower in Schwechat. Ein Podium diskutierte dabei über die rasante Zunahme psychischer Erkrankungen und mögliche Lösungsansätze. Dabei wurden Probleme gerade in Bereichen geortet, die oft vergessen werden: Etwa bei Menschen im Homeoffice oder auch bei Führungskräften und Selbständigen.
Pressesprecher Peter Kleemann begrüßte in Vertretung von Flughafen-Vorstand Julian Jäger die Gäste, Markus Pohanka (Austro Control und ehemaliger ORF-Moderator) moderierte die Diskussion.
Gesamtkosten von knapp 15 Milliarden Euro
Welche Auswirkungen psychische Erkrankungen auf die Volkswirtschaft haben, versuchte die OECD bereits im Jahr 2018 in ihrer Studie „Health at a Glance“ zu dokumentieren. Laut Studie beliefen sich die Gesamtkosten mentaler Erkrankungen für alle 28 EU-Staaten auf die Summe von 607 Milliarden Euro – oder 4,10 Prozent des BIP, so die Volksbank Wien in einer Aussendung.
Für Österreich wurden damals Gesamtkosten von 14,93 Milliarden Euro (4,33 Prozent des BIP 2015) ermittelt, heißt es. Diese bestehen demnach aus direkten Kosten für das Gesundheits- und das Sozialsystem sowie indirekten Kosten für den Arbeitsmarkt.
„Natürlich liegt der Anstieg an psychischen Krankheiten auch daran, dass wir heute anders damit umgehen. Beispielsweise war Burnout in den 1990ern noch kein Thema. Das heißt aber nicht, dass es diese Erkrankungen damals nicht gab. Zum Glück steigt die Erkenntnis, wie sehr sich ungesunde Arbeitsbedingungen körperlich und psychisch auswirken. In vielen Fällen ist der Arbeitsplatz der Patient, wodurch sich die Bedeutung der Prävention zeigt“, so Johanna Klösch, Arbeits- und Organisationspsychologin bei der AK Wien, im Rahmen der Podiumsdiskussion.
Dass der erste Schritt das Bewusstmachen ist, meinte auch Eva Pinkelnig, Skispringerin, Sportlerin des Jahres und ausgebildete Erzieherin. Sie wies darauf hin, dass Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen, eine besondere Vorbildwirkung haben und deshalb viel beitragen können.
„Wenn junge Menschen sehen, dass ihre Idole offen mit psychischen Belastungen umgehen, trauen sie sich das auch. Es hilft auch zu sehen, dass selbst Profisportler und Stars, die vermeintlich ein sorgenfreies Leben führen, nicht vor psychischen Erkrankungen gefeit sind. Jedes Auto braucht manchmal ein Service, genauso braucht jeder Mensch zeitweise mentale Hilfe. Viele Menschen erwarten von sich selbst einen Perfektionismus, den es so gar nicht geben kann. Selbstwertschätzung, Bewegung und der persönliche Kontakt mit anderen Menschen sind viel wertvoller als soziale Medien“, so Pinkelnig.
Corona-Pandemie förderte Erkrankungen
Der Höhepunkt beim Anteil der Krankenstandstage wurde laut den Angaben während der Pandemie in den Jahren 2020/2021 verzeichnet. Vor allem junge Menschen hatten demnach verstärkt mit Depressionen zu kämpfen. In den Pandemie-Jahren waren laut der OECD-Studie „Health at a Glance – Europe 2022” 41,3 Prozent der jungen Menschen von Depressionen betroffen. Im Vergleich dazu lag der Anteil in der Gesamtbevölkerung damals bei 23,7 Prozent, heißt es.
Das Thema psychischer Erkrankungen zieht sich allerdings laut Volksbank Wien durch alle Altersgruppen. Das zeigen die Zahlen der Frühpensionierungen: Im Jahr 2023 entfielen rund 32 Prozent aller Frühpensionierungen auf die Diagnose „Psychische Erkrankungen und Verhaltensstörungen“. Bei Frauen waren es sogar fast 43 Prozent.
„Diese Zahlen sind besorgniserregend, besonders auch die psychischen Probleme vieler junger Menschen, die erst ins Arbeitsleben eintreten. Da kommt erst eine Welle auf uns zu. Die Pandemie hat uns vor große Herausforderungen gestellt und gleichzeitig unseren Arbeitsalltag verändert. Remote-Work oder Homeoffice sind heute ganz normal“, so Christian Horak, Partner EY Parthenon.
Der Strategieberater empfiehlt Unternehmen, das Thema schon frühzeitig anzugehen und nicht erst dann, wenn die Mitarbeitenden im Beruf sind. Dazu gehöre ein Denken für die „Community“; jedes Unternehmen müsse glaubhaft etwas für die Gesellschaft tun. Wenn die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einmal im Unternehmen sind, dürfe man die Verantwortung der Führungskräfte nicht unterschätzen.
Homeoffice bietet nicht nur Vorteile
Bestätigung bekam er von Johanna Klösch, die allerdings darauf hinwies, dass das Homeoffice nicht nur Vorteile böte: „Gerade das Homeoffice birgt auch Gefahren psychischer Belastung. Arbeits- und Freizeit können leichter verschwimmen, der unmittelbare Kontakt zu den Arbeitskollegen fehlt und auch die Feedbackkultur ist noch nicht ganz im Remote-Modus angekommen“, warnte die Expertin. Laut ihr reiche es nicht aus, neue Arbeitszeitmodelle anzubieten. „Wir stehen beim Thema New Work noch ganz am Anfang und müssen gemeinsam lernen, mit Chancen und Risiken umzugehen und die notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen“, so Klösch.
Alexander Biach, Generaldirektor der SVS, betonte, dass man bei allen diskutierten Maßnahmen oft die Selbständigen vergäße. „Für selbständige Unternehmer ist das Arbeiten alleine oft ganz normal. Wir erreichen sie nicht über interne Mentoring-Programme oder Kampagnen. In Gesunden- und Vorsorgeuntersuchungen müssen deshalb auch psychische Erkrankungen endlich den nötigen Stellenwert bekommen, um präventiv handeln zu können. Für Unternehmer und Führungskräfte wird Empathie eine zentrale Aufgabenstellung in der Zukunft. Um dies zu können, muss man vorerst einmal sich selbst wertschätzen“, so Biach.