Digitalisierung & Berater. Mit KI zu weniger Streiks? Berater Kearney hat nach eigenen Angaben in zwei Fällen KV-Verhandlungen mit neuen Tools beschleunigt. Nebenfronten rücken dabei in den Mittelpunkt.
Konjunkturell schwierige Zeiten bringen oft auch heftige Tarifverhandlungen. Einen neuen Ansatz, die Gemüter zu beruhigen und drohende Streiks zu vermeiden, schlägt Unternehmensberatung Kearney vor. So soll der Einsatz von Analytics und KI zähe Kollektivvertragsverhandlungen vereinfachen und beschleunigen. Diese Methoden sorgen nicht nur für Transparenz auf beiden Seiten, sondern auch für einen ganzheitlichen Ansatz, in dem Lohn- und Arbeitsbedingungen gleichermaßen integriert sind, heißt es.
Optimierungstools oder KI-Modelle sollen in der laufenden Verhandlung die Folgen der Vorschläge beider Seiten simulieren und Tradeoffs bewertbar machen, um ein faires Verhandlungsergebnis für Arbeitgeber und Arbeitnehmern zu erzielen. Dabei geht es freilich nicht darum, den Verhandlern die Hauptforderung („Arbeitnehmer fordern 4 Prozent, Arbeitgeber bieten 3 Prozent“) abzunehmen, sondern eher Potenziale an Nebenfronten auszuloten.
Mehr Geld, aber dafür wird die Verpflegung gestrichen
Bernhard Mutius, Principal Digital & Analytics bei Kearney, führt zwei Beispiele an, wo diese Methoden erfolgreich eingesetzt wurden. In beiden Fällen ging es um die Gehälter bei Airlines.
Bei einer europäischen Fluggesellschaft wünschten sich die Mitarbeitenden flexiblere Teilzeitmodelle. Ursprünglich wollte die Gesellschaft genau das verhindern und auf ihren bisherigen starren Teilzeitangeboten beharren. Analysen zeigten dann, dass eine intelligente Steuerung der Teilzeit die Produktivität steigern kann, da so Peaks im Sommer und ruhigere Phasen im Winter durch eine smarte Verteilung der Arbeitszeiten besser aufgefangen werden können, so Kearney. Mit einem KI-basierten Optimierungsmodell habe man eine maschinelle Zuweisung der Arbeitszeiten erarbeitet, mit der eine Steigerung der Kapazitäten von mehr als zwei Langstreckenflugzeugen erreicht werden konnte. „Gleichzeitig wurden die Wünsche der Mitarbeitenden besser berücksichtigt, als es mit traditionellen Methoden möglich gewesen wäre“, so Mutius.
Bei einer Fluggesellschaft auf dem amerikanischen Kontinent wiederum haben Berater auf beiden Seiten Daten so transparent aufbereitet, dass in den Verhandlungen faktenbasierte Win-Wins erzielt wurden, so Mutius: „Die Piloten forderten höhere Löhne. Unter anderem hat die Airline die Gehälter leicht erhöht, aber dafür den Piloten keine Verpflegung mehr zur Verfügung gestellt.“
Die Piloten wussten nicht, wie teuer ihre Verpflegung inklusive der Logistik für die Airline war – und sahen zudem kein Problem in der Abschaffung, da die meisten das Essen ohnehin nicht mochten. Darüber hinaus konnten die für die Piloten unattraktiven Abflugzeiten leicht angepasst werden, heißt es. Ohne die Analyse der Berater wäre der Airline gar nicht bewusst gewesen, dass sich mit den neuen Abflugzeiten eine höhere Effizienz erreichen lässt.
„Zufriedenheit proaktiv messen“
Das Potential sei damit noch lange nicht ausgeschöpft. „Wenn Unternehmen mittels Daten und KI die Mitarbeiterzufriedenheit proaktiv messen und so ihre Employee-Value Proposition differenzierter verbessern, könnten sie Streiks vielleicht sogar schon im Vorfeld verhindern“, betont der Analyst.
Natürlich könne laut Mutius KI am Ende nicht jeden Streik verhindern. Aber dort, wo komplizierte Vertragskonstrukte und viele unterschiedlichen Optionen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen mit mehrdimensionalen Auswirkungen existieren, dann könne KI tatsächlich gewinnbringend für Tarifverhandlungen eingesetzt werden.
Ähnliche Parameter wie bei den Airlines gelten auch für Tarifverhandlungen bei der Bahn, beim Flughafenpersonal, in der Automobilindustrie oder im Gesundheitswesen, heißt es. Doch damit Analytics und KI effektiv für beide Seiten eingesetzt werden können, müssen die Arbeitgeber das Vertrauen von Gewerkschaften und Betriebsräten gewinnen, so Kearney. Damit Arbeitnehmervertreter den Nutzen der KI in Verhandlungen einschätzen können, brauchen sie klare Informationen zu den zugrunde liegenden Daten und Algorithmen.