Österreich. Die Präsidenten aller vier Oberlandesgerichte sehen die Justiz in Nöten: Es mangele an Richtern, Geld, Ausstattung, Nachwuchs, Gutachtern und mehr.
Die Präsidentin und die Präsidenten der vier österreichischen Oberlandesgerichte fordern von der künftigen Bundesregierung in einem gemeinsamen offenen Brief eine Stärkung des Rechtsstaats. Unterzeichnet ist die Aussendung von Katharina Lehmayer (OLG Wien), Helmut Katzmayr (OLG Linz), Michael Schwanda (OLG Graz) und Wigbert Zimmermann (OLG Innsbruck).
„Stiller Tod der Justiz“
Im Jahr 2019 warnte der damalige Justizminister Clemens Jabloner vor dem „stillen Tod“ der Justiz, heißt es einleitend in der Aussendung. Die OLG-Präsidentin und die OLG-Präsidenten erneuern nun diese Warnung: Die Justiz befinde sich weiterhin in einem kritischen Zustand. Sie fordern Maßnahmen, um das Vertrauen in den Rechtsstaat zu stärken, und mehr Ressourcen, um die Arbeit der Gerichte qualitativ und quantitativ aufrecht erhalten zu können, wie es heißt. Es folgt eine lange Liste von geforderten Maßnahmen zur Stärkung des Rechtsstaats in Österreich.
Pensionierungen belasten Personal
So brauche es ausreichend Personal und Budget, um Rechtsstreitigkeiten rasch und qualitativ hochwertig erledigen zu können. Durch die demografische Entwicklung komme es auch in der Justiz in den nächsten Jahren zu einer Vielzahl an Pensionierungen, zugleich steige der Arbeitsaufwand. So fehlen nach der aktuellen Personalanforderungsrechnung derzeit knapp 200 richterliche Planstellen bei den 20 Landesgerichten und den 113 Bezirksgerichten, heißt es.
Dazu kommen laufend zusätzliche Aufgaben wie die soeben eingebrachte Neuregelung der Sicherstellung im Strafverfahren, für die derzeit noch gar keine zusätzlichen Planstellen vorgesehen seien. Im Supportbereich, dem Rückgrat der Arbeit der Gerichte, aber auch bei Sachverständigen und in der Erwachsenenvertretung herrsche ebenso großer Personalbedarf.
Es bestehe aber auch ein Rückstau an Reformen, etwa bei der Einführung einer unabhängigen Weisungsspitze, wie es im EU-Rechtstaatlichkeitsbericht 2024 zum wiederholten Mal empfohlen wird. „Ein funktionierender Rechtsstaat ist die Grundlage der Demokratie, er gewährleistet ein friedliches und sicheres Zusammenleben der Menschen und sichert den Wirtschaftsstandort. Der Justiz kommt dabei eine unverzichtbare Funktion zu“, heißt es.
Verstärkung für die Mannschaft und den Rechtsstaat
Die OLG-Präsidentin und die OLG-Präsidenten fordern eine ausreichende Personalausstattung. Sie müsse dem gestiegenen Arbeitspensum, den immer komplexer werdenden Rechtsfällen und den zusätzlichen Aufgaben durch neue Gesetzesvorhaben Rechnung tragen. Dringend benötigt werde zusätzliches Unterstützungspersonal für die Arbeit der Richter:innen, damit diese sich auf ihre Kernaufgaben konzentrieren können. Es braucht auch mehr Personal für die Kanzleien und Teamassistenzen, aber auch für juristische Mitarbeiter:innen, Verfahrensmanager:innen und Expert:innen.
Dazu gehöre auch eine leistungsgerechte Entlohnung für alle Bediensteten, die den gestiegenen Anforderungen gerecht wird. Die OLG-Präsidentin und die OLG-Präsidenten fordern auch, dass das Thema Rechtsstaatlichkeit in den Lehr- und Ausbildungsplänen der Schulen und Universitäten verankert wird. In diesem Zusammenhang brauche es ebenso eine Kampagne für den Rechtsstaat im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit der Justiz. Dadurch soll das Bewusstsein für den Wert und die Bedeutung des Rechtsstaats in der Bevölkerung gesteigert werden.
„Durch Mangel an Sachverständigen droht Stillstand“
Gerichtliche Verfahren seien in der Praxis ohne die Beiziehung von Sachverständigen kaum mehr durchführbar. In allen Bereichen führe der Mangel an geeigneten Sachverständigen zu einer Konzentration auf einige wenige Experten. Dadurch verlängere sich in einigen Fällen bereits die Verfahrensdauer. In manchen Bereichen drohe sogar der Stillstand der Rechtspflege.
Besonders problematisch ist der Mangel laut der Aussendung der OLG-Präsident:innen im medizinischen Bereich, aktuell vor allem bei den Gerichtspsychiater:innen. Es wird gefordert, dass die Tarife für die Entlohnung der medizinischen Sachverständigen angehoben werden. Zudem solle die Eintragungsfrist für Berufe von fünf auf drei Jahren verkürzt werden, in denen die Abgabe von Gutachten zur Berufsausbildung gehört (wie bei Ärzt:innen und Techniker:innen).
Durch die Einrichtung von Gutachtensstellen an Kliniken und Spitälern sollen zudem personelle Kapazitäten für die Erstellung von Gerichtsgutachten und für die Ausbildung zukünftiger Sachverständiger vorgesehen werden.
Mehr Ressourcen für Erwachsenenvertreter
Eine besonders große Nachfrage herrsche aktuell auch nach Erwachsenenvertreter:innen. Auch hier brauche es mehr Ressourcen, insbesondere für die Erwachsenenschutzvereine, damit die Kapazitätsengpässe bei den Vertretungsnetzen behoben werden können. „Die Justiz hat hier eine Schutzfunktion für die Bevölkerung“, so die OLG-Präsident:innen.