Gerichte & Diplomatie. Die 70 Mio.-Euro-Geldbuße Österreichs gegen REWE ruft die Deutsche Handelskammer auf den Plan: Die Rechtssicherheit für deutsche Austro-Investments mit 600.000 Jobs sei in Gefahr.
Bei der Deutschen Handelskammer in Österreich (DHK) erntet das Urteil des österreichischen Obersten Gerichtshof (OGH), die REWE International AG zu einer Geldbuße in Höhe von 70 Mio. Euro zu verurteilen, großes Unverständnis. So formuliert es die Interessenvertretung selbst in einer Aussendung. REWE hat deutsche Eigentümer.
„Völlig unangemessen und unverhältnismäßig“
Die Geldbuße sei für einen Verstoß gegen eine bloße Formvorschrift völlig unangemessen und unverhältnismäßig, zumal es offenbar in der Sache nicht eindeutig war, ob überhaupt eine Anmeldepflicht vorlag, der Zusammenschluss nachträglich als unproblematisch freigegeben wurde, und REWE nicht vorsätzlich gehandelt und schon gar nicht gegen das Kartell- oder Missbrauchsverbot verstoßen habe, so die DHK.
Die DHK ist Teil des Netzwerks der deutschen Auslandshandelskammern (AHK) und eine Interessenvertretung deutscher Unternehmen in Österreich. Von denen es bekanntlich viele gibt, wie die DHK in ihrer Aussendung vorrechnet: Rund 6.000 deutsche Unternehmen seien in Österreich wirtschaftlich aktiv und tragen mit ihren Investitionen zu gut einem Drittel der gesamten österreichischen Wirtschaftsleistung bei. Etwa 600.000 österreichische Arbeitnehmer:innen seien mittelbar und unmittelbar durch Engagement der deutschen Wirtschaft in Österreich und durch die Außenwirtschaftsbeziehung Österreichs mit Deutschland beschäftigt. „Für die deutsche Wirtschaft in Österreich ist ein verlässlicher Rechtsrahmen unerlässlich“, heißt es.
Die Strafe und ihre Kritiker
Die 70 Millionen-Strafe gegen REWE ist die höchste, die es im Wettbewerbsrecht bisher in Österreich gab. Sie geht auf eine jetzt gefallene Entscheidung des Obersten Gerichtshofs (OGH) zurück. REWE hatte 2018 in Wels (OÖ) in einem Einkaufszentrum einen Supermarkt-Standort angemietet, ohne dies vorher bei der Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) zu melden. Nun ist die Marktkonzentration im Lebensmittelhandel in Österreich bereits sehr hoch, die Behörde schritt ein. Es ging aber nicht um eine Untersagung, sondern nur um die Nicht-Meldung an sich.
Dafür setzte es vom Kartellgericht zunächst 1,5 Millionen Euro Strafe, die der BWB aber nicht ausreichend schien: Die Behörde rief den OGH an und forderte eine strengere Bestrafung, wozu der OGH nun seinen Sanktus erteilt hat. Die Strafhöhe müsse im Verhältnis zur Wirtschaftskraft stehen, sonst wirke sie nicht abschreckend, so die Begründung. Und REWE hat einen Konzernumsatz von 92,3 Milliarden Euro. Doch das allein könne nicht ausschlaggebend sein, heißt es wiederum bei REWE: Ein einzelner Supermarkt brauche 50 Jahre, um eine solche Strafe zu erwirtschaften, es sei so als würde ein Autofahrer zur Strafe für Falschparken dazu verdonnert, sein Auto ein zweites Mal zu kaufen.
Der OGH will mit der Höhe der Geldbuße offensichtlich vorbeugend abschrecken, konstatiert auch die DHK. Allerdings, so Thomas Gindele, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Handelskammer in Österreich, habe der OGH mit dem Urteil dem gesamten österreichischen Wirtschaftsstandort einen Bärendienst erwiesen. Die völlig überzogene Geldbuße des OGHs würde Unternehmen zukünftig davor abschrecken, in Österreich zu investieren. Auch sei es nicht vertrauensbildend, wenn bereits ein strenges aber angemessenes Urteil gefällt wurde und dann nachgelegt wird.
„Standort unter Druck“
Die Wirtschaftsstandorte Österreich und Deutschland stehen aktuell hinsichtlich ihrer Wettbewerbsfähigkeit massiv unter Druck. Ein Standortvorteil, der immer überzeugte, war und ist die Rechtssicherheit und Verlässlichkeit, meint die DHK. Dazu gehöre auch, dass im Falle von Vergehen und Fehlern angemessen reagiert wird.
„Es ist für Unternehmen nicht mehr nachvollziehbar, wenn sich eine Geldbuße ausschließlich an dem Geldbußniveau innerhalb der EU und der Finanzkraft des betroffenen Unternehmens orientiert und nicht mehr an der Schwere und Vorwerfbarkeit des begangenen Vergehens. Dabei darf es keine Rolle spielen, dass der auch für schwere Kartellverstöße geltende, ohnehin extrem weite Rechtsrahmen noch eine viel höhere Geldbuße vorsehen kann“, so Gindele.