Interview. Die Österreichische Akademie der Wissenschaften (ÖAW) ist ein Flaggschiff der Forschung mit 1.800 Beschäftigten. Thomas Berghammer, Head of Legal, über Forscher und Gesetze, Quantenphysik und Ethical Reviews, Ephesos und KI.
Extrajournal.Net: Sie leiten die Rechtsabteilung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), eines bedeutenden Akteurs innerhalb der Forschungslandschaft in Österreich. Wie wird man Wissenschaftsjurist?
Thomas Berghammer: Ich habe früher im Bereich M&A und Kapitalmarktrecht bei der Wirtschaftskanzlei Binder Grösswang gearbeitet. Das bedeutet natürlich die gesamte Bandbreite des Unternehmensrechts. Auch die ÖAW erfordert eine große juristische Bandbreite: Sie ist mit 1.300 Beschäftigten bzw. 1.800 inklusive Tochter-Unternehmen selbst eine große Institution – und sie wird weiter wachsen, etwa durch Gründung neuer Institute. Die ÖAW ist aber kein alltägliches Unternehmen: Es kommt ein spezielles Element hinzu, die Arbeit mit der Wissenschaft.
Welche Themen beschäftigen Sie in der Praxis?
Thomas Berghammer: Wir haben unter anderem mit Compliance-Themen zu tun, mit Gewerberecht, mit Beihilfenrecht, Gesellschaftsrecht und allgemeinem Vertragsrecht usw. Speziell geht es auch um Lizenzrecht, vor allem im Bereich der Töchter und Spin-offs. Dazu kommt das wichtige Thema Datenschutz. Die DSGVO kennt zwar Ausnahmen für die Wissenschaft, legt ihr aber dennoch Regeln auf, die zum Beispiel von den Sozialwissenschaftlern bei Umfragen zu berücksichtigen sind – oder bei der Auswertung alter Datenbestände.
Im Zuge der Corona-Pandemie wurde der Umgang mit öffentlichen Daten sowie Gesundheitsdaten und vor allem die Verknüpfung verschiedener Datenbestände zum großen Thema. Einerseits wollten die Forschenden die Pandemie bekämpfen und dazu möglichst exakte Daten gewinnen, andererseits ist die Registerforschung streng reglementiert. Datenschutz spielt unter anderem auch bei der Migrationsforschung eine Rolle. Daher haben wir eigene Spezialisten für Datenschutz und führen zunehmend auch „Ethical Reviews“ durch, die die Frage betreffen: Was darf, was soll in der Forschung getan werden? Für die Rechtsbereiche Arbeitsrecht und Beschaffungen haben wir spezialisierte Juristen in der Personalabteilung und der zentralen Beschaffung, welche sich um diese doch sehr umfassenden Themen kümmern.
„Wir sehen uns als Ermöglicher“
Kommen die Forschenden bereits in der Konzept-Phase einer Studie zu Ihnen?
Thomas Berghammer: Die Wissenschaftler, speziell die Sozialwissenschaftler oder Biomediziner, die ständig mit Datenschutz oder anderen rechtlichen Thema zu tun haben, kennen sich selbst sehr gut aus und wissen frühzeitig, wann sie unsere Hilfe brauchen – meist um Detailfragen zu klären oder eine möglichst praktikable Lösung für ein konkretes Forschungsziel zu finden. Wir sehen uns in der Rechtsabteilung als Ermöglicher und tun unser Bestes, für jedes Forschungsprojekt einen möglichst einfachen und praktikablen Weg zu finden. Natürlich muss man ständig am Ball bleiben. Die Unwägbarkeiten sind manchmal groß, man muss sich vor Augen halten, dass die EU-Kommission selbst befürchtet, wegen der Abhängigkeit von Microsoft- Produkten gegen die DSGVO zu verstoßen. Vielleicht wäre angesichts des vermehrten Einsatzes von KI-Software, um die man über kurz oder lang nicht mehr herumkommen und die wesentlicher Bestandteil der Forschung sein wird, an der Zeit, das Datenschutzrecht einer Revision zu unterziehen.
Die KI-Regulierung ist das nächste große Thema, die natürlich ebenfalls stark von der EU geprägt ist. Die Strafen gehen sogar noch über DSGVO-Strafen hinaus, da geht es um wirklich hohe Beträge, auch wenn man sagen muss, dass diese selbst bei der DSGVO meines Wissens bislang nicht in voller Höhe ausgeschöpft wurden. Trotzdem müssen wir penibel dafür sorgen, dass unsere Forschung den Regularien entspricht. Die ÖAW und ihre Kooperationspartner sind natürlich unter den ersten, die KI einsetzen und haben dies auch schon vor ChatGPT getan. Neu ist aber jetzt neben der neuen KI-Regulierung auch die Breite des Einsatzes: In Zukunft wird KI standardmäßig als Teil der Betriebssysteme überall als aktives Feature oder im Hintergrund mitlaufen, daher stellen sich hier komplexe Compliance-Themen.
„Research Security rückt zunehmend in den Fokus“
Muss man als Wissenschaftsjurist die Forschungsgegenstände verstehen?
Thomas Berghammer: Es handelt sich tatsächlich oft um schwierige Materien. Man muss nicht alles wissen, aber inhaltlich versteht man doch meistens gut genug, was die Forscher machen – oder man fragt nach. Manche Projekte stechen heraus, z.B. der Beitrag der ÖAW zur JUICE Mission der ESA, bei der unser Institut für Weltraumforschung mitgewirkt hat. Oder die Grabungen unseres archäologischen Instituts in Ephesos, die die größte wissenschaftliche Unternehmung Österreichs im Ausland sind. Natürlich auch die faszinierende Quantenforschung unserer Institute in Wien und Innsbruck.
Wir müssen die Projekte gut genug verstehen, um mögliche Risiken auffangen zu können. Manchmal stellen sich neben den rechtlichen Fragestellungen auch ethische Themen, etwa, wenn sozialanthropologische Forschung zu Minderheiten oder unterdrückten Gruppen für diese ein Risiko bedeuten könnte. Das Thema Foreign Interference bzw. Research Security rückt zunehmend in den Fokus, so wie auch die Frage, inwieweit Projekte und Kooperationen mit Institutionen in Ländern durchgeführt werden sollen, deren Rechtssysteme stark von jenem der EU abweichen. Oft sind die rechtlichen Themen mit anderen Aspekten verschränkt, sodass eine gesamtheitliche Betrachtung erforderlich ist.
Wie komplex sind Forschungskooperationen mit Universitäten, international, mit privaten Unternehmen?
Thomas Berghammer: Das Förderwesen ist ein gut eingespieltes System, bei dem sich normalerweise keine komplexen Fragestellungen ergeben. Schwieriger ist es dort, wo Unternehmen sich mit einem Anliegen direkt an uns wenden, es also um Auftragsforschung geht. Das kann zum Beispiel bei der Materialprüfung der Fall sein – unser Erich Schmid Institute of Materials Science in Leoben etwa arbeitet oft mit namhaften Unternehmen zusammen. Bei Spin-offs (Anm.d.Red.: Ausgründungen neuer junger Unternehmen) sind Kooperationen rechtlich sehr komplex. Das ist ein Thema, auf das wir stark setzen. Wenn wir eine Technologie haben, die entsprechendes Kapital zur Entwicklung benötigt, versuchen die Spin-offs dies mit externen Partnern umzusetzen. Nicht nur die Forschung bewegt sich dabei auf höchstem Niveau, auch die rechtlichen Herausforderungen, die sich insbesondere in Verhandlungen mit privaten Investoren stellen.
Quantum Computing und Raumforschung mit der ESA
Welche Rolle nimmt die ÖAW bei Spin-offs ein?
Thomas Berghammer: Wir sehen Spin-offs als einen wichtigen Faktor für den Forschungsstandort an. Sie dienen dazu, neue Technologien bis zur Anwendungsreife zu entwickeln und idealerweise auf den Markt zu bringen. In Spinoffs arbeiten Wissenschaft und Wirtschaft eng zusammen, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen. Man freut sich besonders, wenn es Erfolge gibt, denn viele Startups erreichen ihre Ziele nicht. Gelingt es aber, dann kann der Erfolg oft groß sein. Natürlich ist die ÖAW kein Finanzinvestor. Sollte es zu Erträgen kommen, würden diese in die Forschung reinvestiert werden. Ein erfolgreiches Spin-off der ÖAW gemeinsam mit der Universität Innsbruck ist zum Beispiel Parity Quantum Computing GmbH in Innsbruck.
Gibt es abseits von Spin-offs größere Projekte der ÖAW, die Sie aktuell beschäftigen?
Thomas Berghammer: Ein bedeutendes Projekt der ÖAW ist das neue Aithyra-Institut für Künstliche Intelligenz in der Biomedizin am Vienna BioCenter Campus: Wir errichten es in Kooperation mit der gemeinnützigen Boehringer Ingelheim Stiftung (BIS) aus Mainz. Es wird mit einer Summe von 150 Millionen Euro seitens BIS die größte private Förderung erhalten, die es in Österreich jemals gab. Gründungsdirektor ist Michael Bronstein, Professor an der Universität Oxford.
Ein weiteres wichtiges Projekt ist das neue Austrian Science Communication Center von ÖAW, Uni Wien und TU Wien. Der historische Standort im Zentrum Wiens an der Wollzeile 27a wird zu einem lebendigen Ort des Wissenschaftsdialogs werden. Es wird Ausstellungen und Mietflächen für wissenschaftliche Akteure bieten und damit – ebenso wie zum Beispiel die Lange Nacht der Forschung– auch dazu dienen, die Begeisterung für die Wissenschaften zu fördern, sowohl in der Bevölkerung insgesamt wie auch gerade bei jungen Menschen, die ihre Ausbildung wählen und vielleicht den Weg in die Wissenschaft einschlagen. Ich darf nun seit vielen Jahren für die ÖAW tätig sein, es ist wirklich toll für die Wissenschaft zu arbeiten, auch als Jurist.
Im Interview
Dr. Thomas Berghammer LL.M. leitet die Stabsstelle Recht und Compliance der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW)