Bauern & Supermärkte. Seit drei Jahren berät das Fairness-Büro des Landwirtschaftsministeriums bei unfairen Handelspraktiken. Nun wurde eine Art Retail-Sündenregister enthüllt. Es soll auch für EU-Ermittlungen dienen.
Seit drei Jahren bietet das Fairness-Büro des Landwirtschaftsministeriums Bäuerinnen und Bauern sowie Lebensmittelproduzenten anonyme und kostenlose Hilfe, wenn sie von unfairen Handelspraktiken betroffen sind, so eine Aussendung. Der nun veröffentlichte Fairness-Büro-Bericht zeige deutlich ein nach wie vor starkes Ungleichgewicht in der Lebensmittelkette. 2024 sei die Zahl der Beschwerden noch weiter gestiegen: Mehr als 800 unmittelbare und mittelbare Beschwerden wurden verzeichnet.
„Diese Zahl zeigt schwarz auf weiß, wie groß die Macht der Handelsketten gegenüber kleineren Produzenten ist. Um ein Ausnutzen von Machtpositionen zu verhindern, müssen wir kontinuierlich handeln. Denn viele Produzenten fürchten, ihren Regalplatz zu verlieren und sehen sich gezwungen unfaire Bedingungen zu akzeptieren, weil ihnen Alternativen fehlen“, so Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig.
Marktkonzentration schafft ungleiche Verhältnisse
In Österreich beherrschen die drei größten Handelsketten rund 90% des Lebensmittelmarktes. „Diese hohe Marktkonzentration führt zu harten Preisverhandlungen, drohenden Auslistungen und einseitigen Vertragsänderungen. Mehr als 100.000 bäuerliche Betriebe und Verarbeiter stehen einer Handvoll Handelsriesen gegenüber – das ist ein Kampf mit ungleichen Waffen“, so Totschnig.
Mit dem Fairness-Büro will sich das Ministerium für mehr Fairness entlang der Lebensmittelkette einsetzen. Seit der Gründung des Fairness-Büros habe sich nicht nur die Zahl der Fälle erhöht, sondern auch das Wissen über unlautere Handelspraktiken. Diese Erkenntnisse werden regelmäßig an die EU-Kommission weitergegeben, um das Ungleichgewicht zwischen Produzenten, Verarbeitern und der Lebensmittelketten auch auf EU-Ebene zu thematisieren.
Tatsächlich enthält die Aussendung des Ministeriums eine Art detailliertes Sündenregister – wobei aber keine konkreten Handelsunternehmen beim Namen genannt werden.
„Fleischerbetriebe unter Druck (Quelle: Fairness-Büro)“
Handelsketten verweigern traditionellen und familiengeführten Fleischerbetrieben trotz der steigenden Personal- und Energiekosten eine Preisanpassung für ihre Produkte, lautet einer der Vorwürfe. In einem dokumentierten Fall habe eine Handelskette den Konsumentenpreis eines Produkts um 30% erhöht, während der Produzent gleichzeitig 2% weniger erhielt.
Darüber hinaus nutzen Handelsketten sinkende Rohstoffpreise, um ihre Einkaufspreise weiter zu drücken, was die Existenz besonders von Klein- und Mittelbetrieben gefährde.
Die Sache mit Markennamen und No-Names
Durch gezielt hohe Preisaufschläge auf Qualitäts-Markenprodukte durch den Handel entstehe massiver Wettbewerbsnachteil für heimische Produzenten, hießt es. Gleichzeitig werden Eigenmarken – sog. No-Names, die oft in den eigenen Werken der Handelsketten hergestellt werden, künstlich günstig gehalten. Konsumenten greifen daher häufiger zu den billigeren No-Names, was Qualitäts-Markenprodukte untergrabe.
„Aufgezwungene Dritt-Dienstleistungen“
Ein weiteres Problem betrifft Drittunternehmen: Produzenten werden von Handelsketten demnach gezwungen, bestimmte Zahlungs- und Logistikdienstleister zu nutzen und diese zu bezahlen. Die Preisgestaltung dieser Drittdienstleister sei unverhältnismäßig hoch und intransparent. Diese Kosten zahlen am Ende des Tages nicht nur die Lieferanten, sondern auch die Konsumenten – und das zum Vorteil des Handels, heißt es.
„Unfaire Alleinbelieferungsverträge:“
Ein Problem sei auch die starke, in Vertragsform gegossene, Abhängigkeit von Startups und Jungunternehmen: Diese werden durch exklusive Lieferverträge in vollständige Abhängigkeit von einer Handelskette gedrängt, heißt es. Sie müssen demnach für den Handel hohe Investitionen tätigen und Expandieren, um die (volatilen) Bestellmengen fristgerecht liefern zu können – ohne dass der Handel eine Abnahme garantiere. Könne der Produzent die Bestellungen nicht 100% bedienen, werden hohe Vertragsstrafen fällig.
„Das ist bloß ein Promille-Anteil“
„Der Bericht des Fairness-Büros zeigt nicht nur unfaire Handelspraktiken, sondern auch ein zunehmendes Bewusstsein für Fairness entlang der Wertschöpfungskette. Auf Basis dieser Erkenntnisse werden wir aktiv das Gespräch mit den Handelsketten suchen, um auf Augenhöhe gemeinsam Lösungen zu erarbeiten. Unsere Hand ist ausgestreckt“, wird Landwirtschaftsminister Totschnig zitiert (der übrigens wie auch seine Vorgänger zuvor hochrangiger ÖVP-Bauernbund-Funktionär war).
Vertreter des Handels sehen die Sache wenig dramatisch: Die Supermarktketten führen jährlich Millionen von Preisverhandlungen, 800 Beschwerden seien da bloß ein Promille-Anteil, hielt etwa Handelsverband-Geschäftsführer Rainer Will gegenüber dem ORF fest – wobei es aber gelte, jede Beschwerde ernst zu nehmen.
Der neue EU-Agrarkommissar Christophe Hansen hat Maßnahmen gegen unfaire Handelspraktiken angekündigt, heißt es beim Landwirtschaftsministerium. Bis Ende 2025 soll die EU-Richtlinie über unlautere Handelspraktiken (UTP) einer umfassenden Evaluierung unterzogen werden – das Fairness-Büro liefere dazu konkrete Beispiele aus der Praxis.