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ÖJV-Präsident Scheuwimmer: „Juristische Berufe sind im Umbruch“

Alexander Scheuwimmer ©Simon Kupferschmied

Interview. KI beginnt die Rechtsberatung zu verändern, gleichzeitig suchen Anwälte händeringend nach Nachwuchs: Die juristischen Berufe sind im Umbruch, sagt Alexander T. Scheuwimmer, Präsident des Juristenverbands.

Extrajournal.Net: Sie wurden im Jänner für eine weitere Funktionsperiode als Präsident des Österreichischen Juristenverbands wiedergewählt, damit sind Sie bald 10 Jahre im Amt. Wie geht es dem Verband?

Alexander T. Scheuwimmer: Dem Verband geht es sehr gut. Die Zahl der Mitglieder steigt seit vielen Jahren kontinuierlich und liegt aktuell bei 3.000. Er wird auch finanziell immer robuster. Das Aktivitätenspektrum hat sich verbreitert und sowohl die öffentliche Wahrnehmung wie auch die Relevanz bei Juristen hat spürbar zugenommen. Der Juristenverband ist eine der größten Vereinigungen seiner Art in Österreich, was nicht zuletzt unseren Zugpferden zu verdanken ist: Das ist erstens der jährliche Juristenball in der Wiener Hofburg, den wir organisieren – für Mitglieder vergünstigt – und zweitens die Tatsache, dass wir die „Walzen“ verwalten – das sind die Fragensammlungen zur Vorbereitung auf die juristischen Berufsprüfungen. Daneben bieten wir aber noch jeden Monat mehrere weitere Veranstaltungen, eine sehr beliebte Mitgliederzeitschrift und vieles mehr.

69 Prozent machen die Prüfung, aber werden nicht Anwalt

Wie geht es dem juristischen Nachwuchs generell?

Alexander T. Scheuwimmer: Durch unsere große Mitgliederzahl aber auch weil viele unsere sonstigen Aktivitäten auf den Berufsnachwuchs gerichtet sind, haben wir tatsächlich einen guten Überblick über die „Szene“, und wir stellen eine große Veränderung fest. In den letzten zwei Jahrzehnten ist der Anteil der Konzipienten, die tatsächlich den Rechtsanwaltsberuf ergreifen, auf rund 31 Prozent gesunken. Das bedeutet: 69 Prozent machen trotz absolvierter Rechtsanwaltsprüfung nicht den Schritt in die Anwaltschaft. Der tatsächliche Anteil ist sogar noch geringer, wenn man die so genannten „Tagesanmeldungen“ abzieht – das sind jene Kolleginnen und Kollegen, die sich nur für einen ganz kurzen Zeitraum (einen Tag) in die Liste der Rechtsanwälte eintragen lassen, um den Beruf einmal ausgeübt zu haben, aber sich dann sofort wieder zurückziehen.

Welche Gründe hat das?

Alexander T. Scheuwimmer: Erstens gibt es heute mehr Juristinnen und Juristen, und zweitens hat es wohl auch etwas mit dem Arbeitsumfeld und der Work-Life-Balance zu tun. Es gibt jetzt mehr Universitäten, die eine juristische Ausbildung anbieten – zum Wiener Juridicum und der Wirtschaftsuniversität sowie den Unis Graz, Linz, Innsbruck und Salzburg kam neuerdings die Uni Klagenfurt und die privaten Universitäten SFU und CEU in Wien hinzu. Es gibt ja inzwischen auch die Möglichkeit, an den Jus-HAKs Rechtskenntnisse zu erwerben, auch wenn das natürlich nicht die Ausbildung für die klassischen Rechtsberufe ist. Aber klar ist, die Zahl der Absolventen ist gestiegen, die Zahl der Rechtsanwälte dagegen im Verhältnis nicht so sehr.

Wo arbeiten die vielen neuen Juristen?

Alexander T. Scheuwimmer: Die Juristen gehen nur teilweise in andere freie Berufe. Viele gehen in den öffentlichen Dienst und in die Privatwirtschaft. Das sieht man auch an den Stellenanzeigen: Da wird für eine Tätigkeit in der Rechtsabteilung eines Unternehmens oft auf die Rechtsanwaltsprüfung als Qualifikation abgestellt. Den Beruf des Syndikus – also eines in einem Unternehmen der Privatwirtschaft angestellten Anwalts – gibt es in Österreich im Gegensatz zu Deutschland allerding nicht; in Österreich darf ein praktizierender Anwalt nur in einer Anwaltskanzlei oder bei einem anderen Anwalt, angestellt sein.

Sorgen um Finanzierung der Altersvorsorge

Es geht hier also um die juristische Qualifikation, solche Fachkräfte sind in der Privatwirtschaft gefragt?

Alexander T. Scheuwimmer: Absolut, während gleichzeitig die Anwälte händeringend nach Nachwuchs suchen. Es gibt da außerdem auch noch das Altersvorsorge-Problem, mit neun Landeskammern, die jede ihr eigenes, zweigeteiltes Pensionssystem haben. Langfristig machen sich die Anwälte Sorgen, um die Finanzierbarkeit ihres Altersvorsorgesystems.

Es gibt jetzt aber doch mehr Anwälte als früher. Das bedeutet doch mehr Einzahler in das Pensionssystem der Anwälte?

Alexander T. Scheuwimmer: Ja, das ist richtig. Die Anzahl gleicht allerdings nicht aus, um wieviel länger wir Österreicher leben. Die Landeskammern arbeiten bereits seit geraumer Zeit an einer Reform, aber derzeit ist noch nicht absehbar wann eine Lösung umgesetzt wird. Ich glaube, dass diese Unsicherheit dazu beiträgt den Nachwuchs abzuschrecken. Ein weiteres Thema ist die Work-Life-Balance und eine gesunkene Attraktivität der Selbständigkeit generell. Die jungen Leute wollen heutzutage lieber angestellt sein als selbständig – etwa als Anwalt oder Anwältin.

Was könnte man tun, um den Anwaltsberuf in Sachen Work-Life-Balance attrakiver zu machen? Muss man bei den Arbeitszeiten ansetzen?

Alexander T. Scheuwimmer: Es geht hier nicht nur um die Länge der Arbeitszeit oder um den Umsatzdruck – was bei Anwälten letztlich zwei Seiten derselben Medaille sind. Es geht um Dinge wie die Möglichkeit, einfach auf Urlaub zu gehen oder durch einen Krankenstand nicht zu sehr ins Hintertreffen zu geraten. Das ist ein Bereich, in dem Großkanzleien Vorteile haben und tatsächlich ist es aus meiner Sicht auch einer der Gründe, warum es im Gegensatz zur Zeit vor 25 Jahren heute Anwaltskanzleien mit über hundert Beschäftigten auch in Österreich gibt. Solche großen Einheiten tun sich einfach leichter, ihren Angestellten 25 Tage Urlaub im Jahr zu ermöglichen. Die typische Kanzlei besteht dagegen aus einem oder zwei Anwälten – da ist das oft schlicht unmöglich.

Bei den Ärzten wird die Gruppenpraxis als Lösung propagiert. Wäre das auch etwas für Anwälte?

Alexander T. Scheuwimmer: Tatsächlich habe ich das bereits vor Jahren einmal angedacht und vereinzelt gibt es Versuche in diese Richtung, aber bei den Anwälten ist das Interesse äußerst gering. Der Gedanke, dass während des Urlaubs ein Kollege die eigenen Klienten betreut, treibt den meisten Anwälten geradezu Schweissperlen auf die Stirn. Die Furcht, die Klienten dauerhaft an den anderen zu verlieren, ist wohl schlicht zu groß.

Wie viele Anwälte gibt es derzeit in Österreich?

Alexander T. Scheuwimmer: Es sind rund 7.000, das ist doppelt so viel wie zur Jahrtausendwende. Allerdings ist der Zuwachs interessanterweise in den letzten Jahren abgeflaut. Dagegen gibt es sicherlich 20.000 Juristen, die für die Öffentliche Hand und die Wirtschaft arbeiten, außerdem etwa 1.000 Staatsanwälte und Richter und 600 Notare.

Wie wirkt sich die KI-Welle auf den Beruf aus?

Alexander T. Scheuwimmer: Ich glaube der KI-Einsatz wird die Rechtsberatung in der näheren Zukunft tatsächlich verändern. Ich spreche hier nicht vom Nachschlagen in Datenbanken, sondern tatsächlich von juristischen Tätigkeiten wie dem Aufsetzen von Dokumenten und der Beratung, jeweils durch KI-Tools. Der Fortschritt der letzten Zeit ist beachtlich. Am Anfang hatten ChatGPT & Co große Probleme, juristische Sachverhalte zu bearbeiten. Sie brachten österreichisches und deutsches Recht durcheinander, verstanden das Juristendeutsch nicht, usw. Das hat sich deutlich gebessert. Wenn jemand aktuell ein Rechtsproblem hat und imstande ist, eine juristisch korrekte Frage zu formulieren, dann kann ihm ein solches Tool bereits oft eine brauchbare Antwort geben. Das kann für den Bereich der Erstberatung absolut Auswirkungen haben.

Wer ein so konkretes Anliegen hat, der könnte im nächsten Schritt natürlich durchaus Klient eines – menschlichen – Anwalts werden.

Alexander T. Scheuwimmer: Absolut, aber die juristischen Berufe werden davon wohl nicht unbeeinflusst bleiben, es wird zu Veränderungen kommen.

Aus Sicht Japans herrscht in Europa Krieg

Sie sind selbst Anwalt und mit Ihrer Kanzlei Experte für Österreichs Beziehungen zu Japan. Wie wirkt sich der Ukraine-Krieg auf das Interesse japanischer Unternehmen und Privatpersonen aus?

Alexander T. Scheuwimmer: Das muss man differenziert sehen. Da wären einerseits einmal die japanischen Unternehmen. Den Peak der wechselseitigen Wirtschaftsbeziehungen gab es sicherlich Ende der 1980er, Anfang der 1990er Jahre vor dem Crash der japanischen Finanzmärkte. Danach fand eine graduelle Erholung statt. Diese wirkt sich auch positiv auf die Auslandsinvestitionen der Japaner aus. Die japanische Wirtschaft ist durchaus auch interessiert an Österreich und Europa – doch in letzter Zeit wirkt der Ukraine-Krieg als deutlicher Dämpfer. Man muss das verstehen, aus Sicht Japans herrscht in Europa Krieg, und das ist nun einmal nicht attraktiv für Investitionsvorhaben. Ein Ende der Auseinandersetzung wäre hier zweifellos hilfreich. Denn die Beliebtheit Österreichs ist in Japan grundsätzlich weiterhin hoch. Das ist auch das Stichwort für die andere Quelle an japanischen Mandaten: Japanische Privatpersonen. Der Zustrom an Japanern, welche sich in Österreich mehr oder weniger dauerhaft niederlassen ist vergleichsweise konstant. Von meiner Beratungspraxis her findet diesbezüglich eine Verlagerung statt.

Im Interview

Alexander T. Scheuwimmer ist Präsident des Österreichischen Juristenverbands und Gründer und Managing Partner von TAIYO Legal in Wien.

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