Interview. So gut wie überall steht heute schon „KI“ drauf, doch auch das Risiko wächst: EY-Experte Florian Haas spricht über den Markt und verrät, wie er mit 4 Fragen spannende KI-Startups von Blendern unterscheidet.
KI-Startups verzeichnen Investitionsrekord trotz Krise
Der KI-Boom bleibt ein Dauerthema in der Wirtschaft. Allerdings gibt es auch Warnsignale, etwa den rückläufigen Aktienkurs von KI-Chiphersteller Nvidia. Wie groß ist die Bedeutung des KI-Themas für die Wirtschaft und bei Startups? Wie viel Wert legen Geldgeber darauf?
Florian Haas: Künstliche Intelligenz (KI) ist ein Megatrend, der die globale Startup-Landschaft in den letzten Jahren dominiert und auch in Zukunft weiter an Bedeutung gewinnen wird. Der Hype um KI ist dabei kein vorübergehendes Phänomen, sondern basiert auf dem disruptiven Potenzial dieser Technologie, das nahezu alle Wirtschaftsbereiche verändert – von der Medizin über das Finanzwesen bis zur Industrie. Weltweit verzeichneten KI-Startups im Jahr 2024 erneut einen Investitionsrekord. Weltweit flossen über 110 Milliarden USD in KI-basierte Startups – ein Plus von 62% im Vergleich zum Vorjahr.
Besonders stark nachgefragt waren dabei Lösungen im Bereich der Generativen KI, also Technologien, die Texte, Bilder, Videos oder sogar Softwarecode automatisch erstellen können. In China verfolgt die Regierung eine aktive Förderpolitik für KI und hat im Rahmen ihrer „New Generation Artificial Intelligence Development Plan“ angekündigt, bis 2030 der weltweit führende Standort für KI zu werden. Die chinesische Investitionslandschaft wird durch staatliche Fonds und private Risikokapitalgeber gleichermaßen unterstützt.
Der Markt reagiert jetzt schneller
Auch Europa setzt zunehmend auf KI. Mittlerweile sind KI-Startups je nach Erhebung und Definition für 20% bis 30% des gesamten Investitionsvolumens im Technologiesektor verantwortlich. Laut dem State of European Tech Report 2024 sind KI-Anwendungen gerade bei früheren Finanzierungsrunden bis 5 Millionen Euro aktuell der dominante Schwerpunkt (23%). Besonders stark ist das Interesse in den Bereichen Gesundheitswesen (KI für Diagnose und Therapie), Finanztechnologie (KI für Betrugserkennung und automatisierte Beratung) und Industrie 4.0 (KI-gestützte Prozessoptimierung).
Österreich folgt diesem Trend, auch wenn das Investitionsvolumen naturgemäß auf einem niedrigeren Niveau liegt. Wie unser EY Start-up Barometer 2024 zeigt, dass mehr als jede vierte Finanzierungsrunde (28%) an ein Start-up ging, das einen KI-Schwerpunkt hat: Insgesamt wurden 42 solcher Runden gezählt, das sind acht mehr als im Vorjahr. Noch eindrücklicher ist die Entwicklung in Bezug auf das investierte Kapital: 2024 wurden 168 Millionen Euro in österreichische Start-ups investiert, die KI als integralen Bestandteil des eigenen Geschäftsmodells haben – im Vorjahr war es – trotz des insgesamt deutlich höheren Finanzierungsvolumens – mit 77 Millionen Euro ein nicht einmal halb so hoher Betrag.
Investoren schätzen KI-Startups aus mehreren Gründen: Skalierbarkeit, da KI-basierte Lösungen sich oft ohne großen Aufwand vervielfältigen lassen; Innovationspotenzial, da KI bestehende Geschäftsmodelle grundlegend verändern und neue Märkte schaffen kann; Effizienzsteigerung, da KI-Prozesse automatisiert und signifikante Kosteneinsparungen ermöglicht. Allerdings wächst auch die kritische Distanz und teilweise reagiert der Markt mittlerweile schneller und stärker auf überzogene Erwartungen. Zudem wird immer deutlicher, dass Investoren zunehmend Wert auf ethische Standards und Datensicherheit legen, wenn sie in KI-Startups investieren.
„Der Anteil am Kuchen wird für die anderen kleiner“
Sie haben unlängst darauf hingewiesen, dass jedes zweite Startup inzwischen in seinem Geschäftsmodell das Reizwort „KI“ prominent positioniert hat. Bleibt für Nicht-KI-Startups noch genug Seed- und Wachstumskapital übrig?
Florian Haas: Wir sehen aktuell weltweit in vielen Märkten und Ländern einen ähnlichen Trend. Seit den Boom-Jahren 2021 und 2022 gibt es insbesondere beim Volumen insgesamt deutliche Rückgänge, auch wenn manche Ländern wie Deutschland 2024 schon den Turnaround geschafft haben, auf den wir in Österreich 2025 hoffen. Der Kuchen wird also im Vergleich zum Rekordniveau vor 2-3 Jahren kleiner oder nur unerheblich größer, während gleichzeitig ein immer größeres Stück des Kuchens an KI-Start-ups im engeren Sinn geht. Dass Start-ups KI einsetzen, auch wenn sie nicht integraler Bestandteil ihres Geschäftsmodells sind, ist mittlerweile ohnehin Standard.
Ein Blick auf die aktuellen Entwicklungen in Österreich, Deutschland und der Schweiz zeigt, dass Investoren weiterhin in vielfältige Branchen investieren, auch wenn KI-Startups einen zunehmenden Anteil am Investitionsvolumen ausmachen. In Österreich verzeichnete das EY Start-up-Barometer 2024 ein Gesamtinvestitionsvolumen von 578 Millionen Euro, was einem Rückgang von 17% gegenüber dem Vorjahr entspricht. Besonders gefragt sind Software, GreenTech (Investitionen in nachhaltige Technologien, wie erneuerbare Energien und Kreislaufwirtschaft) und HealthTech (digitale Gesundheitslösungen und Biotechnologie).
Die Checkliste: 4 Punkte entlarven KI-Blender
Manche Kritiker sprechen inzwischen schon von „AI-Washing“ analog dem „Greenwashing“. Wann ist ein KI-Startup tatsächlich ein KI-Startup? Worauf sollten Investoren und Geschäftspartner achten, wenn sie einen Businessplan mit „KI“ in der Überschrift vorgelegt bekommen?
Florian Haas: Ein KI-Startup ist aus meiner Sicht nur dann ein KI-Startup im engeren Sinn, wenn KI einen wesentlichen Bestandteil des Geschäftsmodells und der Technologieplattform darstellt. Investor:innen und Geschäftspartner:innen sollten sich folgende Fragen stellen und dann auf diese Punkte achten:
- Wie ist die technologische Tiefe? Das Startup sollte eigene KI-Algorithmen oder innovative KI-Modelle entwickeln und nutzen.
- Wie ist die Expertise des Teams? Das Gründungsteam sollte über nachweisbare Erfahrung in den Bereichen Datenwissenschaft und maschinelles Lernen verfügen.
- Inwiefern spielen ethische Standards eine Rolle? Es sollten klare Richtlinien zur Datensicherheit und zum ethischen Einsatz von KI bestehen.
- Was ist der praktische Mehrwert? Das Startup sollte nachweisen, dass seine KI-Anwendung echten Nutzen für Kunden schafft.
Das passiert auch schon: Studien zeigen, dass die Mehrheit der Venture-Capital-Fonds die KI-Kompetenzen eines Startups heute intensiver prüft als noch vor wenigen Jahren.
Wie steht Österreich da, wenn es um innovative Startups im Bereich IT und die Integration von fortschrittlichen Technologien wie KI in der Wirtschaft geht?
Florian Haas: Österreich hat sich zu einem aufstrebenden Standort für Technologie-Startups entwickelt. Besonders Wien, Graz und Linz haben sich als dynamische Hubs etabliert. Dennoch gibt es Verbesserungspotenzial: Im Bereich Internationalisierung sollten Startups mehr Unterstützung beim Markteintritt in andere Länder erhalten. Der Fachkräftemangel im IT-Bereich bleibt eine Herausforderung, weshalb mehr in Ausbildung und Talentförderung investiert werden muss. Der Zugang zu Kapital für Wachstumsfinanzierungen sollte weiter gestärkt werden, hier haben wir immer schon eine Lücke in Österreich und sind nach wie vor zu abhängig von internationalen Geldgeber:innen, die aktuell sehr zurückhaltend sind. Darüber hinaus sind klare und innovationsfreundliche rechtliche Rahmenbedingungen entscheidend, um die Entwicklung und Integration neuer Technologien wie KI zu fördern.
Wie der Forschungs- und Technologiebericht 2024 zeigt, zählt Österreich zu den zehn forschungsstärksten EU-Staaten im Bereich Künstliche Intelligenz (gemessen an wissenschaftlichen Publikationen). Auch bei KI-nahen Patentaktivitäten, etwa im Bereich Quantentechnologie, hat sich Österreich deutlich verbessert und belegt im EU-Vergleich inzwischen Platz 3. Allerdings wird dieses Potenzial noch zu wenig in wirtschaftliche Wertschöpfung überführt. Der Transfer von Forschung in unternehmerische Praxis ist nach wie vor eine Schwachstelle.
Wie könnte Österreich den Transfer von der Forschung in die Praxis verbessern?
Florian Haas: Gerade im Bereich KI bleibt es oft bei exzellenter Grundlagenforschung, während der Schritt zur Kommerzialisierung und zur Gründung technologiegetriebener Startups ausbleibt. Was es daher braucht ist eine systematische Schnittstelle zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Kapital beim Technologietransfer und eine stärkere Gründungskultur an Universitäten und Forschungseinrichtungen.
Österreich hat zweifellos die wissenschaftliche Kompetenz, um im europäischen Vergleich bei KI vorne mitzuspielen. Doch um diese Stärke auch wirtschaftlich zu nutzen, braucht es gezielte Maßnahmen zur Förderung von Gründungen aus der Forschung, den Ausbau von Transferzentren, mehr Risikokapital für Deep-Tech-Startups – und vor allem eine bessere Verzahnung zwischen Wissenschaft und Unternehmertum. Nur so kann Österreich nicht nur Ideen entwickeln, sondern sie auch erfolgreich international vermarkten.
Im Interview
Florian Haas ist Head of Startup, Head of Brand & Growth bei EY Österreich.