Von Bank bis Strom-Gemeinschaft. Österreichs Genossenschaften wachsen auch in der Wirtschaftskrise, sagen die Prüfer Robert Makowitz und Michael Laminger im Interview. Für den Prüf-Job suchen sie Verstärkung.
Die Wächter der Genossenschaften
Extrajournal.Net: Sie sind beide als Prüfer im genossenschaftlichen Wirtschaftssektor tätig – der eine im Volksbanken-, der andere im Raiffeisen-Sektor. Was sind Ihre Aufgaben?
Robert Makowitz: Wir sind beide Genossenschaftsrevisoren und als solche in unseren Verbänden für die Prüfung der Mitgliedsunternehmen zuständig. Zugleich sind wir im Vorstand der Vereinigung österreichischer Revisionsverbände. Genossenschaftsrevisoren sind mit Wirtschaftsprüfern vergleichbar, nur dass sie nicht der KSW angehören, sondern der Vereinigung österreichischer Revisionsverbände.

Michael Laminger: Wir gehören außerdem dem Bankprüferverband an. Dieser wurde 2021 von unseren beiden Verbänden gemeinsam mit dem Sparkassen-Prüfungsverband gegründet. Unter diesem Verband haben wir dann auch eine im deutschsprachigen Raum einzigartige gemeinsame Ausbildung für Bankenprüfer ins Leben gerufen, die Zertifizierung zum „Certified Bank Audit Manager“.
„Der Genossenschaftssektor wächst“
In der letzten Zeit hat die Gesellschaftsform der Genossenschaft eine Renaissance erlebt, heißt es. Jedenfalls ist die Zahl der Neugründungen gestiegen. Wie geht es den Genossenschaften in der aktuell wirtschaftlich schwierigen Zeit?
Robert Makowitz: Der Genossenschaftssektor wächst und genossenschaftliches Wirtschaften liegt im Trend. Das liegt daran, dass es nachhaltig, kooperativ und regional ist. Vor einigen Jahren haben wir außerdem eine Gründungsoffensive gestartet. Den makroökonomischen Trends können sich natürlich auch die Genossenschaften nicht entziehen. Aber der Unterschied liegt im nachhaltigen Wirtschaften, so konnte über die Jahrzehnte ein ordentlicher Eigenkapitalpolster aufgebaut werden. Dazu kommt, dass es sich meist um sehr vernünftige Geschäftsmodelle handelt.
Sie sagen, dass Genossenschaften ein Stabilitätsanker sind – warum?
Robert Makowitz: Genossenschaften dienen primär der Förderung der eigenen Mitglieder, nicht der kurzfristigen Gewinnmaximierung. Sie sind daher nachhaltiger ausgelegt. Dazu kommt, dass Genossenschaften neben der jährlichen Abschlussprüfung, wie sie andere Unternehmen auch haben, zusätzlich der Genossenschaftsprüfung unterliegen. Das ist eine Gebarensprüfung, die das Unternehmen auch in materieller Hinsicht prüft. Unsere Genossenschaftsrevisoren haben langjährige Erfahrung und Kenntnis der zu prüfenden Genossenschaften. Diese Faktoren führen zu hoher Resilienz von Genossenschaften.
Michael Laminger: Durch die Gebarungsprüfung, wie sie bei Genossenschaften im Gegensatz zu anderen Unternehmen vorgeschrieben ist, können wir unvernünftige Entscheidungen bereits frühzeitig adressieren. Nur über die Jahresabschlussprüfung wäre das nicht möglich. Wir sind ein Hygienefaktor. Durch die jährlich wiederkehrende Zusammenarbeit mit den Geprüften ist es uns auch möglich, in automatisierte Schnittstellen mit den Systemen der zu prüfenden Banken zu investieren. Das erleichtert die Arbeit und ermöglicht eine große Prüfungstiefe. Ein Wirtschaftsprüfer, der jedes Jahr um den Prüfauftrag rittern muss, tut sich mit solchen Investitionen schwerer.
Bei den Wirtschaftsprüfern ist allerdings Rotation vorgeschrieben, damit die Nähe zum Prüfobjekt nicht zu groß wird. Besteht da nicht bei Ihnen genau diese Gefahr?

Robert Makowitz: Bei den einzelnen Revisoren, die für die Prüfung verantwortlich sind, ist auch eine Rotation vorgeschrieben – bei Bankprüfungen spätestens alle sieben Jahre. Allerdings rotieren dabei nur die Prüfer, nicht die Revisionsverbände.
Michael Laminger: Dazu kommt, dass der einzelne Revisor weisungsfrei und kündigungsgeschützt ist. Ich sage immer, dass das eine richterähnliche Stellung ist. Von daher ist Unabhängigkeit gegeben.
Gründungs-Boom durch Energiegenossenschaften
Steigt die Zahl der Neugründungen bei Genossenschaften weiterhin?
Michael Laminger: Absolut: In den vergangenen zwölf Monaten wurden 153 Genossenschaften neu gegründet. Es handelt sich dabei in letzter Zeit vor allem um die neuen Energiegenossenschaften (Anm.d.Red.: Bei diesen können die Teilnehmer Energie – vor allem Photovoltaik-Strom – gemeinschaftlich nutzen bzw. handeln).
Robert Makowitz: Zum Vergleich: Unsere Gründungsoffensive im ÖGV seit 2019 hat mehr als 80 neue Genossenschaften hervorgebracht. Es sind viele Energiegenossenschaften darunter, aber es gibt auch andere clevere Geschäftsmodelle: So haben vor einigen Jahren Spediteure eine Genossenschaft für die gemeinsame effiziente Zollabwicklung gegründet.
Gibt es auch Pleiten von Genossenschaften?
Robert Makowitz: Sehr selten. Der Verband prüft ja bei Neugründungen die Wirtschaftlichkeitsprognose. Wenn wir sehen, dass das Geschäftsmodell nicht funktionieren kann, dann nehmen wir die betreffende Neugründung gar nicht erst auf.
Braucht eine Genossenschaft einen Verband?
Robert Makowitz: Sie muss entweder einem Verband angehören oder – falls kein Verband sie aufnimmt – übernimmt das Gericht die Rolle des Verbandes, überprüft also unter anderem die Wirtschaftlichkeit. Das kommt aber so gut wie nie vor.
Weniger Bürokratie als Herzenswunsch
Könnte der Wirtschaftsstandort Österreich etwas besser machen, was das Umfeld für Genossenschaften betrifft?
Robert Makowitz: Der Wunsch wäre, dass die Regulatorik auf ein sinnvolles und bearbeitbares Maß reduziert wird. Wir hatten im Bankensektor zuletzt mehr als 270 regulatorische EU-Akte im Jahr.
Michael Laminger: Irgendwann wird die viele Bürokratie kontraproduktiv. Je strenger der regulatorische Rahmen, desto geringer die Bereitschaft der Unternehmen, abseits von gesetzlichen Vorgaben etwas für Risikomanagement, Kontrollsysteme und Corporate Governance zu tun; in manchen Fällen werden sogar vernünftige Verbesserungen durch gesetzliche Vorgaben verhindert. Weniger wäre hier oft mehr.
Haben Sie dafür ein Beispiel?
Robert Makowitz: Das wäre zum Beispiel die KIM-Verordnung, die die Vergabe von Immobilienkrediten an erhöhte Sicherheiten, Einkommen und mehr geknüpft hat. Nachdem diese Verordnung von der Bankbranche jahrelang kritisiert wurde, ist sie zwar wieder abgeschafft worden. Doch das ist nur die halbe Wahrheit: Viele der Vorgaben finden sich jetzt im Meldewesen und in FMA-Rundschreiben wieder. So ist die KIM-Verordnung über die Hintertür mehr oder weniger geblieben. Ob das in diesem Bereich wirklich erforderlich ist, ist fraglich, denn keine Bank vergibt einen Kredit, wenn sie erwartet, dass er nicht zurückgezahlt werden kann. Aber der regulatorische Aufwand bleibt.
Michael Laminger: Es handelt sich bei Krediten fürs Eigenheim um den Bereich mit den geringsten Ausfallraten. Ein anderes Beispiel wäre die ESG-Berichterstattung. Ich schicke voraus, dass ich ein Befürworter des Green Deal bin. Aber die Regelungen, insbesondere die EU-Taxonomie, sind zu komplex. Das Ganze soll ja dazu dienen, dass Kapitalgeber grüne von braunen Unternehmen unterscheiden können. Aber wenn es zu komplex wird, dann führt das zu Verunsicherung. Wenn eine Bank einen 400 Seiten starken Nachhaltigkeitsbericht eines Unternehmens auf den Tisch bekommt – der dann auch noch großteils im berühmt-berüchtigten juristischen Kleingedruckten abgefasst ist – wie soll sie dann entscheiden, ob das ein grüner Kreditnehmer ist oder nicht? Das Ergebnis ist dann nicht grün oder braun, sondern eher ein geschecktes Irgendwas. Die Dinge auf das Wesentliche zu reduzieren wäre hier sehr hilfreich.
Recruiting ist ein großes Thema in den Beraterberufen. Suchen auch die Genossenschaftsprüfer Nachwuchs?
Michael Laminger: Das tun wir und ich möchte wirklich sagen: Genossenschaftsrevisor ist ein spannender Beruf, es wäre schön, wenn sich mehr junge Menschen dafür interessieren würden. Wir haben eine niedrige Fluktuation und suchen jährlich etwa zehn Neueinsteiger.
Robert Makowitz: Das kann ich nur unterstreichen. Bei uns sind es aktuell rund fünf pro Jahr.
Im Interview
Robert Makowitz ist Präsident-Stv. im Verband der dezentralen Bankprüfungsverbände Österreichs sowie Revisions- und Finanzvorstand beim Österreichischen Genossenschaftsverband (ÖGV).
Michael Laminger ist Vorstandsmitglied im Verband der dezentralen Bankprüfungsverbände Österreichs und Generalrevisor beim Österreichischen Raiffeisenverband (ÖRV).