Österreich. Die hoch gesteckten Klimaziele Wiens sind laut Constanze Frech und Ulrich Leth vom Wissenschaftsnetzwerk Diskurs nicht erreichbar – außer die Hauptstadt tut mehr bei Gebäuden und im Verkehr.
Die Stadt Wien hat sich mit dem Ziel, bis 2040 klimaneutral zu werden, ehrgeizige Vorgaben gesetzt. Aus wissenschaftlicher Sicht sind jedoch deutlich ambitioniertere Maßnahmen notwendig, um diese Ziele tatsächlich zu erreichen, hieß es bei einem Pressegespräch des Wissenschaftsnetzwerks Diskurs, bei dem Extrajournal.Net dabei war: Im Fokus stehen demnach vor allem der Gebäudesektor und der Verkehr, die gemeinsam rund zwei Drittel der städtischen Treibhausgasemissionen verursachen.
Gasthermen bleiben ein Problem
Die Hintergründe: Im Gebäudebereich entfallen etwa 30 Prozent der Emissionen auf Heizung, Kühlung und Warmwasserbereitung; besonders ins Gewicht fallen die rund 500.000 Gasheizungen, die für 90 Prozent der gebäudebezogenen Emissionen verantwortlich sind. Um Wien bis 2040 klimaneutral zu machen, müssten jährlich mehr als 31.000 Gasthermen getauscht und etwa 30.000 Wohnungen thermisch saniert werden.
„Durch gesetzliche Vorgaben oder Subventionen muss gezielt der Tausch von Gasthermen gegen nicht-fossile Heizformen angestrebt werden“, so Constanze Frech vom FH Technikum Wien (Lektorin, Expertin für erneuerbare Energie). Damit könnte die Dekarbonisierung der Heiz- und Warmwassersysteme der Wiener Gebäude erreicht werden. Neben der Umstellung auf erneuerbare Energien ist auch eine Reduktion des Endenergiebedarfs um 30 Prozent vorgesehen. Es wird dazu eine Ausweitung der Sanierungsverpflichtung auf Wohngebäude empfohlen, um die notwendige Sanierungsrate zu sichern. Auch die Bauordnung wird als zentrale Stellschraube gesehen, etwa durch gezielte Anpassungen zur Förderung von Photovoltaik-Anlagen auf Gebäuden.
Autos verbrauchen viel Platz
Im Verkehrssektor bleibe Wien weiterhin deutlich hinter den Anforderungen zurück. Der Autoverkehr verursacht 35 Prozent der städtischen Emissionen und beansprucht zwei Drittel der Verkehrsflächen, obwohl nur noch ein Viertel der Wege mit dem Auto zurückgelegt wird. „Alle öffentlichen Parkplätze in Wien zusammengezählt beanspruchen so viel Fläche wie die Bezirke 7, 8 und 9 zusammen“, erklärte Ulrich Leth von der TU Wien (Projektassistent am Forschungsbereich für Verkehrsplanung und Verkehrstechnik). Es werde daher eine deutliche Reduktion der Stellplätze empfohlen, um eine Umverteilung der Flächen zugunsten von Rad- und Fußverkehr zu ermöglichen, außerdem eine flächendeckende Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h im Stadtgebiet. Solche Maßnahmen würden nicht nur die Emissionen senken, sondern auch die Verkehrssicherheit und Lebensqualität erhöhen. Grundsätzlich nehme die Bedeutung des Autoverkehrs ab:
- Der Motorisierungsgrad in Wien ist seit 2003 rückläufig: Die Zahl der Privat-Pkw pro 1.000 Einwohner sank von etwa 400 auf unter 350 im Jahr 2023/2024 und soll laut den Angaben bis 2030 weiter auf rund 300 sinken.
- Die Zahl der Pkw-Fahrten pro Tag soll von 1,34 Millionen (2020) auf 0,79 Millionen (2030) sinken, ein Rückgang um 41 Prozent.
Ein Vorbild könnte Paris sein, das in den kommenden Jahren 500 Straßen autofrei machen will. Wien will bis 2035 ebenfalls zahlreiche Straßen in sogenannte „Gartenstraßen“ umwandeln, bleibt aber bei der Flächenumverteilung deutlich hinter Paris zurück. Ein weiterer Aspekt ist das Parkpickerl für Wien, das laut Leth in bestimmten Bezirken zwar den Pendlerverkehr eingedämmt hat – dafür verleitet es dort lebende Personen zu Autofahrten innerhalb des Bezirks: „Möglichkeiten wären kleinere Zonen oder auch höhere Preise für das Parkpickerl.“
Kritisch beurteilt wird zudem das Großprojekt Lobautunnel, das laut mehreren Studien mehr Autoverkehr und Zersiedelung fördern und damit die Erreichung der Klimaziele erschweren würde. Ohne weitergehende gesetzliche Vorgaben, gezielte Förderungen und eine konsequente Umverteilung der Verkehrsflächen werde Wien seine selbst gesteckten Klimaziele nicht erreichen können, so Frech und Leth.