Interview. Berthold Baurek-Karlic, Head of Digital Transformation von Linde Digital und CEO des Investors Venionaire Capital, schildert die neuen KI-Tools von Linde und welche Umwälzungen kommen.
Legal Tech, Regtech und Taxtech
Extrajournal.Net: Die digitale Strategie des Fachverlags Linde unterscheidet sich von der anderer Verlage. Sie sind einerseits Head of Digital Transformation von Linde Digital und andererseits als CEO von Venionaire Capital seit Jahren ein bekannter österreichischer Business Angel. Wie passen diese beiden Aufgaben zusammen?
Berthold Baurek-Karlic: Benjamin Jentzsch, der Eigentümer des Linde Verlags, und ich haben uns in der Vergangenheit immer wieder Startups im Bereich Legal Tech, Regtech und Taxtech angesehen. Dabei ging es vorwiegend um Digitalisierungslösungen im Bereich Steuer, Recht und Regulatorik. Auch bei Venionaire hatten wir diese Themen in den vergangenen Jahren immer wieder auf dem Schirm. Schließlich haben Benjamin Jentzsch und begonnen, gemeinsame Investments zu tätigen, bei denen auch der Linde Verlag aktiv geworden ist. Zum Beispiel bei Blockpit, unserem „Crypto Tax Agent“. Unter anderem haben wir uns auch Lösungen für digitale qualifizierte Signaturen angesehen. Diesbezüglich gibt es seit Anfang der 2000er Jahre einen Rechtsrahmen in Europa, aber in jedem Land werden andere Tools angeboten. Das erschwert die grenzüberschreitende Zusammenarbeit erheblich. Wir haben in ein eSignature-Unternehmen investiert, das dieses Problem elegant gelöst hat – sproof aus Salzburg.
Diese ersten Schritte haben die Richtung für die Digitalstrategie von Linde vorgegeben, die Benjamin Jentzsch und ich gemeinsam erarbeitet haben. Schnell war uns klar, dass das Thema Digitalisierung bei einer eigenen Tochtergesellschaft des Verlags – Linde Digital – liegen sollte. An ihr hat sich dann auch Venionaire Capital beteiligt. Die Ausrichtung dieser Tochter war durch die Spezialisierung des Verlags bereits vorgegeben, sprich der klare Fokus lag auf Steuern, Recht und Wirtschaft. Somit waren Steuerberater:innen, Rechtsanwält:innen und Notar:innen unsere primären Zielgruppen, aber auch Rechts- und Buchhaltungsabteilungen sowie zahlreiche weitere Betriebsfunktionen bis hin zur Geschäftsführung von Interesse. Doch welchen Mehrwert konnten wir diesen potentiellen Kund:innen liefern?
Uns war schnell klar, dass das Vertrauen in unsere Qualität eine entscheidende Rolle spielen würde, und zwar überall dort, wo Steuern, Recht und Regulierung mitspielen. Gerade, was diese Bereiche betrifft sind Kund:innen vermutlich noch ein Stück vorsichtiger als bei anderen Start-up-Lösungen. Hohe Qualität war also der Schlüssel. Wir mussten jene Firmen identifizieren, die diesen Anspruch erfüllen und ihre Lösungen dann als Verified by Linde auf unserem eigenen Marktplatz zur Verfügung stellen. Eine Single-Sign-On-Plattform für Kund:innen, die besagte Lösungen auch deshalb nutzen, weil sie großes Vertrauen in Linde setzen.
Mit der Zeit ist das Angebot von Linde Digital deutlich gewachsen – den sprichwörtlichen roten Faden, der sich durch alle Beteiligungen beziehungsweise durch alle Lösungen auf dem Marktplatz, zieht, bilden aber bis heute Qualität, Effektivität und Effizienz. In der heutigen Zeit sind es die Leute gewohnt, mittels Swipes und Klicks unmittelbar mit einem Unternehmen zu interagieren. Ein Verlag, der weiterhin nur auf Bücher setzt, kann das nicht liefern. Man muss ein Auge für technische Innovationen und Trends haben. Aktuell ist hierbei natürlich KI einer der ganz großen Game Changer. Wir sehen uns an, wie KI die Arbeit im Verlag optimieren, unsere Arbeit und das Produkterlebnis verbessern kann. Wir befassen uns auch damit, wie KI die Qualitätssicherung verbessert und Kunden effizienter mit unseren Lösungen arbeiten lässt.
„Wir haben 20 Unternehmen in der Pipeline“
Wie viele Produkte gibt es auf dem Marktplatz und was kommt aktuell Neues?
Berthold Baurek-Karlic: Das ist ein sehr dynamischer Prozess. Wir sind zum Beispiel gerade dabei, ein Unternehmen auf den Marktplatz zu bringen, das aus Eingangs- und Ausgangsrechnungen eines Kunden automatisiert seinen CO2-Footprint berechnen und dann auch einen Offset anbieten kann. Insgesamt haben wir etwa 15 Lösungen auf dem Marktplatz und rund 20 weitere Unternehmen in der Pipeline. Die Bandbreite ist groß, es gibt Tools für kleine und größere Kunden, vom Mittelstand bis zu Konzernen. Auch die öffentliche Hand kommt in Frage. Ein Beispiel hierfür sind unsere Security Lösungen, etwa von Cybertrap – ein bahnbrechendes Start-up aus Österreich, das eine Deception-Lösung anbietet, um Hacker nicht nur aufzuspüren sondern sie bewusst abzulenken und in einer Täuschungsumgebung einzusperren.
Wie werden digitale Produkte und Printprodukte in der Zukunft nebeneinanderstehen?
Berthold Baurek-Karlic: Sie werden nicht nebeneinanderstehen, sondern ineinander verschmelzen. Was die Maschine nicht ersetzen kann, ist die menschliche Kreativität. Die Auslegung von Gesetzen ist ja nie so präzise, dass nur eine einzige Lösung denkbar ist – denn sonst würde man sich nicht immer wieder vor Gericht treffen, es bräuchte keine Anwält:innen, keine Anfragen beim Finanzministerium für Auslegungen. Es wären keine Gesetzeskommentare nötig, bei denen der Linde Verlag – der heuer ein rundes Jubiläum feiert – seit 100 Jahren hochqualitative Arbeit leistet. Und dann gibt es noch die vielen EU-Verordnungen und EU-Richtlinien zu bedenken, internationale Abkommen wie die derzeit so aktuellen Handelsabkommen und dergleichen. All das muss laufend bearbeitet werden, und dazu braucht es Fachautoren.
Dieser qualitativ hochwertige Content wird nicht wegfallen – was sich aber verändern wird, ist die Art und Weise, wie wir mit diesem Content interagieren. Wenn Sie heute eine komplexe steuerliche Frage grenzüberschreitend klären wollen – zum Beispiel einen grenzüberschreitenden Merger, der Österreich, Deutschland und die Schweiz betrifft, also zwei EU-Länder und ein assoziiertes Nicht-EU-Land – dann ergeben sich mitunter sehr komplexe gesellschaftsrechtliche und steuerrechtliche Fragestellungen. Im Normalfall sind drei Kanzleien involviert, die jeweils ihre Legal Opinions ausarbeiten. Dadurch entsteht wahnsinnig viel Papierarbeit, und das über einen Zeitraum von mehreren Wochen. Aber es gibt eine Alternative: Sie laden 100 Jahre Rechtsgeschichte – Urteile, Kommentare und so weiter – in eine eigene proprietäre Datenbank und trainieren damit ein KI-Modell. Natürlich so, dass es zuverlässig ist, zum Beispiel mit Knowledge Graphs. Die Arbeit, die bisher sechs Wochen gedauert hat, ist somit in wenigen Minuten erledigt.
„Die Experten werden durch KI nicht ersetzt, sondern schneller“
Die Experten werden durch die KI nicht ersetzt, sondern nur befähigt, ihre Arbeit schneller zu erledigen. Denn in Wahrheit übernimmt dieses System bestenfalls die Arbeit eines Konzipienten oder eines Steuerberatungsmitarbeiters. Aber das Kundenerlebnis ist besser, weil der Kunde seine Resultate schneller erhält. Das wiederum bedeutet für einen Dienstleister, dass er keinen Stundensatz berechnet, sondern „Value“ verkauft – ein Trend, den wir generell in der KI-Ökonomie sehen. Wir sind uns sicher, dass sich Value-based-Pricing auch bei den Beratern durchsetzen wird. Wenn ich eine komplexe Herausforderung schneller löse, dann hat das, wenn Sie so wollen, einen höheren Stundenwert. Außerdem kann ich als Anbieter mit der gleichen Personalstärke mehr komplexe Fälle abarbeiten und meine Profitabilität steigern. Was bedeutet das konkret für Linde? Unsere Kund:innen, unsere Autor:innen und natürlich der Verlag selbst sollen profitieren – wir möchten eine Win-Win-Win-Situation herstellen. Wenn der Linde Verlag diese Aufgabe gut und elegant meistert, dann ist er definitiv fit für die nächsten 100 Jahre. Das ist das Ziel.
Linde hat für diesen Herbst den Start eines eigenen KI-Rechercheassistenten angekündigt. Welche Themengebiete wird der abdecken und was wird er kosten?
Berthold Baurek-Karlic: Leider darf ich zum aktuellen Zeitpunkt noch nicht sagen, in welchen Bandbreiten wir uns bewegen. Das liegt auch daran, dass wir in der Produktentwicklung sehr stark mit Fokusgruppen arbeiten. Wir müssen die erwähnte Win-Win-Win-Situation gewährleisten. Wir können nicht mit Kanonen auf Spatzen schießen. Nur weil man etwas technisch zustande bringt, heißt das nicht, dass man es in einen Release packen sollte. Man muss vielmehr lernen, auf das Feedback der Fokusgruppen zu hören. Weniger ist mitunter mehr. Auch eine Kanzlei von Steuerberater:innen oder Anwält:innen kann letztlich nicht von heute auf morgen aufgrund der KI-gestützten Arbeit ein völlig neues Preismodell implementieren. Das heißt, wir müssen eine Balance finden zwischen dem technisch Möglichen und dem Product-Market Fit.
Der neue KI-Assistent wird aber letztlich eines von vielen Produkten sein, die über den Linde Marketplace zur Verfügung gestellt werden – darunter auch jetzt schon KI-gestützte?
Berthold Baurek-Karlic: Genau, wir haben zum Beispiel bei Blockpit schon jetzt einen KI-gestützten Assistenten im Einsatz. Das ist immerhin Europas führende Software für Besteuerung und Buchhaltung im Bereich Crypto Assets. Aktuell behandelt jedes Land das Thema Besteuerung von digitalen Assets anders – das kann Blockpit sehr gut abbilden. Spannend ist, dass man über Blockpit Zugang zu einem eigenen Marktplatz erhält, auf dem man sich Steuerexperten aussuchen kann. Man kann aber auch den KI-Agenten fragen, der durch die Knowledge Base von Blockpit klares Feedback zur Nutzung des Produkts gibt und auch ein Stück weit steuerliche Implikationen beleuchtet. Bei weiterführenden Fragen verweist der KI-Agent dann auf den physischen Steuerberater, den Experten. Die KI ist also schon im Einsatz und das deutlich sichtbar. Sie arbeitet aber auch im Verborgenen, zum Beispiel bei der Jagd nach Hackern im Firmennetzwerk mit Cybertrap.
Im Interview
Berthold Baurek-Karlic ist Head of Digital Transformation von Linde Digital und CEO von Venionaire Capital.